© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/09 10. April 2009

Erster Denkzettel für islamische AKP
Türkei: Erstmals seit ihrer Gründung 2001 hat die AKP unerwartete Einbußen erlitten / Laizisten siegen in Küstenregionen, Kurden wählen eigene Vertreter
Günther Deschner

Die jüngsten türkischen Regionalwahlen waren ein Stimmungstest für Premier Recep Tayyip Erdoğan und seine islamischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Doch das Ergebnis läßt keine eindeutigen Interpretationen zu. Erstmals seit ihrer Gründung 2001 hat die AKP unerwartete Einbußen erlitten. Sie blieb zwar mit Abstand die stärkste Partei, doch ihr Ziel einer landesweiten absoluten Mehrheit verfehlte sie deutlich. Im Wahlkampf hatte Erdoğan das Abschneiden seiner Partei zum Referendum über seine Regierungspolitik erklärt.

Das Ergebnis muß den aus der islamischen Milli-Görüş-Bewegung stammenden 55jährigen nachdenklich stimmen: Einerseits erreichte die AKP mit 39 Prozent einen deutlichen Vorsprung vor der laizistischen Republikanischen Volkspartei (CHP), die als wichtigste Oppositionskraft 23 Prozent errang, und der rechten Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) mit 16 Prozent. In 45 der insgesamt 81 Provinzen werden weiter AKP-Vertreter das Sagen haben – immer noch eine klare Mehrheit.

Der AKP ist es damit nicht gelungen ist, sich überall in der Türkei als die führende Kraft zu präsentieren. Weder in den Küstenregionen, die Hochburgen der oppositionellen CHP geblieben sind, noch im kurdisch besiedelten Südosten, der weiterhin von der prokurdischen DSP dominiert wird, konnte sie Gewinne erzielen. Die Hoffnung, das Machtzentrum der Partei geographisch aus dem zentralanatolischem Raum in den kurdischen Südosten ausdehnen zu können, blieb für den erfolgsverwöhnten Erdoğan trotz aufwendigen Wahlkampfs unerfüllt.

Insgesamt hat die AKP 15 Bürgermeisterposten an die Opposition verloren. Zwar konnte sie die Vormachtstellung in Istanbul und Ankara mit geschrumpftem Vorsprung verteidigen. Andere Schlüsselstädte wie İzmir (Smyrna) im Westen oder die beiden im Süden gelegenen Städte Adana und Antalya sowie die Kurden-Metropole Amed (Diyarbakır) gingen aber an die Opposition. Das Ergebnis in der mit etwa 1,5 Millionen Einwohnern größten Stadt der Südost-Türkei ist von hoher Symbolkraft.

Dort konnte die DTP der AKP im Vergleich zu 2004 zehn Prozentpunkte abnehmen und erreichte 66 Prozent. Analysten wie Gereth Jenkins, Türkeiexperte der Washingtoner Jamestown Foundation, sehen darin ein Indiz für das Anschwellen kurdischer Autonomiestimmungen und die Aufforderung an Ankara, den Kurden der Türkei mehr als kosmetische Zugeständnisse anzubieten. „Der Appell der AKP an die Wähler, islamische Solidarität über die ethnische Identität zu stellen, hat ganz eindeutig nicht verfangen“, so Jenkins.

Auch für die Gesamt-Türkei wird der Wahlausgang als Signal dafür verstanden, daß sich in der öffentlichen Wahrnehmung das Bild der AKP zu verändern beginnt. Als die Partei 2002 erstmals Regierungsverantwortung übernahm, beruhten ihre Wahlerfolge zum einen auf ihrer komplexen Fähigkeit, eine Form islamischer Identität zu projizieren, die den Vorwürfen der kemalistischen Opposition kaum Anhaltspunkte für den Verdacht liefern konnte, das eigentliche Endziel der AKP sei die Umwandlung der Türkei in eine islamische Republik. Außerdem trug auch Erdoğans erfolgreiche Reform- und Wirtschaftspolitik in den ersten Jahren zur anhaltenden Zustimmung der Wähler bei.

Daß sie jetzt bröckelt, ist sicher auch darauf zurückzuführen, daß Erdoğan in jüngster Zeit einen zusehends autokratischeren Regierungsstil pflegte und daß ihm die Opposition nicht ganz grundlos Hybris, Korruption und die staatliche Behinderung oppositioneller Medien vorwerfen kann. Hauptgrund für den Popularitätsverlust sind aber zweifellos die Wirtschaftsprobleme, deren Ausmaß Erdoğan noch im November 2008 – als sie den Wählern schon längst bewußt waren – zu verharmlosen suchte: 13 Prozent Arbeitslose, eine Jugendarbeitslosigkeit von 26 Prozent und ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um sechs Prozent.

Noch angesichts dieser Signale lehnte Erdoğan im Januar das Angebot eines Unterstützungskredits des Internationalen Währungsfonds (IWF) ab. Die Probleme seien schon längst überwunden, sagte er im Wahlkampf. Doch die Opposition nannte den wahren Grund der Ablehnung: den mit der Kreditgewährung verbundenen Sparappell an Erdoğans Regierung.

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