© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/09 10. April 2009

Ein Weltmann aus Halle
Der leibhaftige Barock: Zum 250. Todestag von Georg Friedrich Händel
Wiebke Dethlefs

Zusammen mit den musikalischen Hinterlassenschaften Johann Sebastian Bachs und Georg Philipp Telemanns ist das Werk Georg Friedrich Händels der Inbegriff deutscher Barockmusik. Das „Halleluja“ aus seinem „Messias“ und das sogenannte „Largo“ sind unverzichtbarer Teil eines jeden Samplers „populärer Klassik“ und zählen damit zu den meistgehörten Werken der musikalischen Klassik überhaupt.

Der am 23. Februar 1685 in Halle geborene Händel soll nach dem Wunsch des Vaters, eines kurfürstlich-brandenburgischen Leibchirurgen, zunächst Jurist werden, doch läßt sich sein Drang zur Musik nicht bändigen. Am damals führenden deutschen Opernhaus in Hamburg erhält er 1703 eine Anstellung als Geiger. In den folgenden fünf Jahren entstehen seine ersten Opern, eine davon, „Almira“, sogar auf einen deutschen Text.

Entscheidend für sein künstlerisches Vorankommen wird eine Reise nach Italien, wo er unter anderem die Größen des dortigen Musiklebens wie Corelli sowie Vater und Sohn Scarlatti kennenlernen konnte. Das Kunsterlebnis Italien bewirkt aber auch eine Abwendung von dem gelehrten deutschen Stil beispielsweise eines Dietrich Buxtehude. Auf Empfehlung der Italiener wird er 1710 Kapellmeister des Kurfürsten von Hannover und späteren Königs George I. von England. Bereits zwei Jahre später verläßt er Deutschland für immer und sorgt dafür, daß London, wo er die nächsten 47 Jahre bis zu seinem Tod lebt, zum größten Zentrum der italienischen Opernkunst außerhalb Italiens wird.

Die Gründe für die Übersiedlung sind nicht ganz geklärt, doch wird Händel, der sich zu dieser Zeit als angehender Operndirektor sah, sich in England bessere Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten erhofft haben. Dort wurde gerade die Pressezensur abgeschafft, und ein aufklärerischer Rationalismus beherrschte das gesellschaftliche Leben, in dem die anglikanische Staatskirche nur wenig Einfluß nehmen wollte. Allerdings scheitert er als Impresario dreimal, ohne dabei allerdings vollständig Bankrott zu machen.

Anders als Bach, der von tiefster deutscher, ja spröder Innerlichkeit erfüllt ist, besitzt der Weltmann Händel eine fast kosmopolitisch zu nennenden Tonsprache, die in ihrer besonderen Leuchtkraft, ihrem Festcharakter und nicht zuletzt ihrer besonderen melodischen Prägnanz sich von dem oft einförmigen Stil anderer barocker Meister abhebt. Bachs kontrapunktische Verdichtungen ersetzt Händel durch expansive Monumentalität. Er erstrebt damit eine große Breitenwirkung seiner Kunst und schreibt, auch hier anders als Bach, bewußt „volkstümlich“.

Nicht, daß Händel den strengen Satz und die Fuge nicht beherrschte: Nur handhabt er sie freier und fortschrittlicher als Bach. Karl Marx spricht von Händels „ausgesprochen revolutionärer“ Musik. Romain Rolland sieht in seinem sehr lesenswerten Händel-Essay dieses „bewußt populär Schreiben“ als eine Vorwegnahme der Aufhebung der Klassengesellschaft. Kein Wunder, daß die von Halle ausgehende Händel-Rezeption der DDR eine besonders positive war. Ohne sie wären insbesondere Händels Opern heute nicht wieder so viel gespielt und in vielen Tonaufnahmen präsent.

Händels Gesamtwerk ist von immensem Umfang und von wahrhaft „barocker“ Kraft und Fülle. Es gibt fast zwanzig Concerti grossi, eine Unzahl von Orchestersuiten (darunter die berühmte Wasser- und die Feuerwerksmusik), dazu verschiedenste Solokonzerte für Blasinstrumente. Mit seinen zahlreichen Orgelkonzerten schuf er eine völlig neue Gattung. Kammermusikalisch sind insbesondere seine über 50 Triosonaten für Flöte bzw. Violine und Basso continuo bedeutend. Das Klavier- bzw. Cembalo-Schaffen tritt diesen gegenüber etwas zurück, die „Acht Suiten“ von 1720 sind dabei das Hauptwerk.

Eine zentrale Rolle spielen die Chorwerke: Gut sechzig jeweils abendfüllende Oratorien, anthems, Tedeums und ähnliches liegen vor. In diesen Oratorien übernahm er die Errungenschaften der Opera seria, dabei auf das antike Drama zurückgreifend. Denn der Chor steht an den dramatischen Höhepunkten des Geschehens und nimmt fast immer eine die Handlung betrachtende und reflektierende Rolle ein.

Wenn er auch musikhistorisch in seinen 33 Opern der bedeutendste Vertreter der italienischen Opera seria im gesamten 18. Jahrhundert war, überlebte er sich als Opernkomponist selbst. Bezeichnend dafür ist, daß nachweislich nach 1754, also bereits fünf Jahre vor seinem Tod, bis zum Beginn der berühmten Göttinger Händel-Renaissance 1920 keine seiner Opern mehr in Europa auf die Bühne kam.

Auch heute noch genießen Händels Oratorien eine größere Wertschätzung als seine Opern. Und das trotz eines weltberühmten Ohrwurms, des „Largo“ (im Original mit der Tempobezeichnung „Larghetto“). Diese ursprüngliche Eingangsarie des Titelhelden aus der Oper „Xerxes“ (1738) erfuhr insbesondere im 20. Jahrhundert eine religiöse Verkitschung (unter anderem wurde es bei Trauerfeiern sehr oft gespielt), die übersah, daß es ursprünglich ein reines Preislied auf die Schönheit der Natur ist.

Die völlige Mißachtung der Händelschen Opern in jenen Jahren war keineswegs ihrer musikalischen Qualität geschuldet, sondern ausschließlich der völligen Veränderung des Operngeschmacks in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Händel konzipierte seine Opern nicht auf eine dramatische Entwicklung hin, sondern setzte verschwenderisch-episch einen Einfall nach dem anderen. Auch waren alle Opern dieser Zeit nach einem starren Schema eingerichtet, in dem unter anderem jede Hauptfigur fünf Arien singen mußte, wobei Duette selten waren, und Terzette sowie Ensemblesätze überhaupt fehlten.

Dazu kam, daß Händels Opernkunst schon zu seinen Lebzeiten parodiert wurde wie in der „Beggar’s Opera“ (1728), deren ungeheurer Erfolg Händel an die Seite schob. Nicht zuletzt deshalb ließ er ganz bewußt zu Beginn der 1740er Jahre vom Opernkomponieren ab und widmete sich ausschließlich dem Oratorium.

Auch Händels äußere Erscheinung ist mit dem Attribut „barock“ glänzend charakterisiert. Zwar blieb er lebenslang ein Junggeselle, dem keine Liebesgeschichte nachzuweisen ist und der sein Eros ausschließlich in die Musik umsetzte (im Gegensatz zu Bach, der in zwei Ehen zwanzig Kinder zeugte). Von ähnlich beleibter Gestalt wie Bach, war er allerdings der weitaus größere Esser gewesen. Die ausufernde Lebensweise führte 1737 zu einem Schlaganfall, dessen gesundheitliche Folgen er erst vier Jahre später hinter sich lassen konnte.

Großartig ist hierbei Stefan Zweigs Schilderung von Händels „Auferstehung“ die er den „Sternstunden der Menschheit“ zurechnet. Im Sommer 1741 erhielt Händel den Text für ein Oratorium zugesandt. Dieser Text habe den Kranken innerlich so erregt, daß er ihn sogleich in Musik setzte und in kaum begreifbarem Schaffensrausch nach nur drei Wochen, am 14. September 1741 das ganze Oratorium beendete, das seine Unsterblichkeit begründete: „Der Messias“. Danach war auch seine Gesundheit wiederhergestellt.

Mit „Judas Maccabäus“ brachte Händel 1746 seinen zweiten oratorischen „Welterfolg“ heraus. Doch jetzt läßt die Sehkraft des über Sechzigjährigen nach. Die letzten acht Jahre seines Lebens ist er vollständig blind. Obwohl Händel zeit seines Lebens die englische Sprache nur unzureichend beherrscht, fühlt er sich doch immer mehr dem Land verbunden. 1727 bereits hatte er die britische Staatsangehörigkeit erhalten. Zum Lebensende versteht er sich, nicht zuletzt wegen der überwältigenden Aufnahme von „Messias“ und „Judas Maccabäus“, fast als britischer Nationalkomponist und ersucht in seinem Testament um die Beisetzung in der Westminster-Abtei, wo die Nation ihre Großen seit Jahrhunderten zu Grabe trägt. Am 14. April 1759, „noch waren die Osterglocken nicht erwacht, starb endlich dahin, was an Georg Friedrich Händel sterblich gewesen“ (Stefan Zweig).

Bild: Philip Mercier, Georg Friedrich Händel ohne Perücke (Öl auf Leinwand (1730 oder 1735): „Ausgesprochen revolutionär“

 

Händel-Ausstellung

Pünktlich zum Händel-Jubiläum präsentiert sich die Dauerausstellung im Händel-Haus in Halle (Saale) ab dem 15. April täglich außer montags den Besuchern in neuem Gewand. An die Stelle des bisher chronologischen Aufbaus ist nun unter dem Titel „Händel der Europäer“ eine thematische Gliederung zu den Schwerpunkten „Persönlichkeit und Schaffen“, „Der Arkadier“ und „Der Staatskomponist“ getreten. Internet: www.haendelhaus.de.

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