© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/09 17. April 2009

Mit dem Nationalstaat gegen die Globalisierung
Berlin: Die überparteiliche „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“ des Journalisten Jürgen Elsässer entpuppt sich als binnenlinke Reformveranstaltung
Michael Kreuzberg

In der vergangenen Woche ging die von dem Journalisten Jürgen Elsässer gegründete überparteiliche „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“  im Berliner „Russischen Haus“ in der Friedrichstraße in die zweite Runde. Nachdem am Ende der ersten Veranstaltung dank „handfester Kritik“ von sogenannten „Antifaschisten“ mehrere Verletzte zurückgeblieben waren (JF 4/09), wurde diesmal am Eingang streng kontrolliert.

Die Befürchtungen waren jedoch unbegründet. Das Publikum machte diesmal einen deutlich „seriöseren“ und weniger politsektiererischen Eindruck, womit wohl zusammenhängt, daß Elsässer und sein Mitstreiter, der bekennende „Kommunist“ Peter Feist, sich mit markigen linken Parolen eher zurückhielten. Zur Diskussion geladen waren der Diplomwirtschaftler Klaus Blessing, der in der DDR unter anderem den Posten eines Staatssekretärs im Ministerium für Erzbergbau innehatte, und der Wirtschaftswissenschaftler und JF-Autor Wilhelm Hankel.

Den größten Erkenntnisgewinn des Abends brachte zweifellos Hankels unaufgeregt-sachlicher Vortrag über die Ursachen der Wirtschaftskrise. Das vom Dienst an der Volkswirtschaft entkoppelte spekulative Kapital zerstöre die bürgerliche Gesellschaft und ruiniere das Geldwesen nachhaltiger als es je ein Lenin erträumt hat. Die nur spärlich vorhandene Bankenaufsicht durch den Staat, die etwa den Hedge-Fonds-Strategien der supranationalen Hochfinanz freien Lauf läßt, bewirke eine Überflutung der Weltwirtschaft mit Zahlungsmitteln, die nicht durch reale Güter gedeckt sind, was in der Folge eine gigantische Inflation verursache. Hankel wies die Vorstellung als „dumm“ zurück, der Euro könne nun als „Bollwerk“ fungieren: in der Tat seien dreiviertel der Volkswirtschaften, die den Euro als Währung übernommen haben, inzwischen bankrott, zu Lasten der anderen Mitgliedsstaaten. Wurde der Euro von seinen Apologeten einst als der große „Unifier“ gepriesen, hat er sich nun als europäisches Pulverfaß erwiesen.

Damit kam Hankel zum zentralen Anliegen der Volksinitiative, dem Eintreten für den souveränen Nationalstaat, der als einzige Instanz imstande sei, den „Heuschrecken“ Einhalt zu gebieten, durch Verstaatlichung der Banken einerseits und Förderung des Binnenmarkts und der wirtschaftlichen Infrastrukturen andererseits. Diesen Entwurf sekundierte Elsässer im wesentlichen, um zu einem Rundumschlag gegen die deutsche Linke auszuholen, der er politische Realitätsblindheit vorwarf. Sie verstünde nicht, daß es „um alles oder nichts“ gehe, und flüchte sich ins „Unkonkrete und Radikale im schlechten Sinne“.

Als Beispiel nannte er die Anti-Nato-Kampagne, die sich nicht nur ein irriges, nebensächliches Ziel ausgesucht hätte, sondern auch noch mit blödsinnigen „Slogans“ auf englisch betrieben werde. Davon können sich weder die von der Krise betroffenen Arbeiter, noch die Masse des Volkes, noch die „hier lebenden Muslime“ angesprochen fühlen. Linke Politik müsse Forderungen stellen, die auch reale „Adressaten und Subjekte“ haben. Und schließlich: wer solle denn all diese Forderungen der Linken erfüllen? Allein der Nationalstaat käme hier in Frage. Weiter bekräftigte Elsässer, man müsse versuchen, angesichts der Krise zu den alten westdeutschen Verhältnissen zurückzukehren, die eine soziale Marktwirtschaft und eine stabile Währung garantierten.

Dem widersprach der 1936 geborene sozialistische Hardliner Klaus Blessing entschieden. Wenn auch jetzt Handlungsbedarf bestehe und keine Zeit für ideologische Grundsatzfragen sei, so seien am Ende doch Sozialismus und Kapitalismus unvereinbar. Man müsse angesichts der Krise nach ihren tieferen Ursachen suchen, die im kapitalistischen System an sich liegen eine langfristige Überwindung des Kapitalismus sei weiterhin ein gebotenes Ziel.

Spätestens hier wurde klar, daß die Volksinitiative vor allem eine binnenlinke Reformveranstaltung ist, die noch weit entfernt davon ist, erfolgreich an anderen Ufern zu fischen. Angesichts von Hankels und Elsässers Analysen fragt man sich, ob Blessing aus Höflichkeit oder als sozialistischer Aufputz eingeladen wurde; für die weitere Praxis der Initiative werden sich Köpfe wie er wohl eher als Klotz am Bein erweisen.

Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings sein Einwand, ob die Vorstellung einer bloßen Rückkehr zur staatlich kontrollierten sozialen Marktwirtschaft nicht illusorisch und oberflächlich sei. Immerhin hat die Globalisierung inzwischen eine weltweite Dynamik und Vernetzung des Marktes bewirkt, deren Geflecht sich auch ein souveränerer Nationalstaat nicht so leicht entziehen kann. Das „Linke“ der Volksinitiative wird auch in der rein funktionalen, allenfalls „standortpatriotischen“ Auffassung des Nationalstaates deutlich, die die historische Konkretheit der zugrundeliegenden Nation weitgehend ausblendet.

So empfahl Elsässer in Mißachtung geschichtlicher und geographischer Verhältnisse überspitzt der Bundesrepublik die Schweiz als glänzendes Vorbild, nicht zuletzt auch wegen ihres „Vielvölkerstaat“-Charakters. Zwar hat Elsässer mit allen Vorwürfen gegen die Linke recht; aber auch er macht die typische links-materialistische Rechnung ohne den Wirt, indem er die funktionierende Ökonomie für eine ausreichende Bindekraft für den Nationalstaat, und damit ausbuchstabiert: auch für die Nation hält.

Bereits in dieser Woche stand eine weitere Veranstaltung der Volksinitiative auf dem Programm, diesmal mit den Globalisierungkritikern von attac.

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