© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/09 24. April 2009

Kampf um die Wahlfreiheit
Volksentscheid: Am Sonntag stimmen die Berliner darüber ab, ob die Schüler künftig zwischen Ethik- und Religionsunterricht wählen können
Christian Dorn

Am Sonntag sind die Berliner aufgefordert, in einem Volksentscheid darüber abzustimmen, ob das Schulfach Religion in der deutschen Hauptstadt noch eine Heimat haben soll. Deshalb geht es den Initiatoren des Volksentscheids von „Pro Reli“ um eine Gleichstellung mit den anderen Bundesländern, wo der Religionsunterricht – gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes – „ordentliches Lehrfach“ ist. Diesbezügliche Ausnahmefälle bilden neben Berlin lediglich Bremen und Brandenburg. Für diese gilt die sogenannte „Bremer Klausel“ nach Artikel 141 GG, der zufolge die Regelung des Religionsunterrichts als „ordentliches Lehrfach“ dort nicht zur Anwendung kommt, wo bereits vor dem 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. In Bremen wird demzufolge ein nicht-konfessioneller Biblischer Geschichtsunterricht (BGU) erteilt, dessen Lehrpersonal sich aus Religionswissenschaftlern rekrutiert. Alternativ erhalten die Schüler hier Ethikunterricht. In Brandenburg wiederum wurde 1996 Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde (LER) als ordentliches Unterrichtsfach eingeführt, das die Schüler abwählen können, wenn sie sich statt dessen für den Religionsunterricht entscheiden.

Auch Berlin zählt zu diesen Ausnahmen, zurückgehend auf die Beschlüsse des von den Kommunisten dominierten Magistrats unter der sowjetischen Besatzung 1945, der den Religionsunterricht möglichst aus den Schulen verbannen wollte. Vor diesem Hintergrund droht das Ansinnen des rot-roten Senats, den Religionsunterricht – zugunsten des im Schuljahr 2006/07 eingeführten Pflichtfachs Ethik – an den Rand oder gar aus der Schule zu drängen, zu einem späten Sieg der Sowjets zu werden. Schließlich hatte Lenin das – von Karl Marx abgeleitete – Diktum formuliert, dem zufolge Religion Opium für das Volk sei.

Ein erstes Ergebnis hat die atheistische Stoßrichtung des rot-roten Senats bereits gezeitigt. So ist die Teilnehmerzahl am Religionsunterricht in den zunächst betroffenen Klassenstufen 7 bis 10 um ein Viertel gesunken. Dies ist nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, daß Ethik als neues Pflichtfach mit zwei Wochenstunden veranschlagt ist. Anders als im Religionsunterricht gibt es zudem Zeugnisnoten, die für die Versetzung zählen. Hinzu kommt die vor drei Jahren eingeführte Verkürzung der Gesamtschulzeit, die für die Schüler eine zeitliche Mehrbelastung bedeutet, die kaum noch Freiraum für einen nur mehr fakultativen, zeitlich an den Rand gedrängten Religionsunterricht läßt. Dennoch hält der Senat an seinem Zwangsfach Ethik fest, bei dem sich so mancher an den indoktrinierenden Staatsbürgerkunde-Unterricht der DDR erinnert fühlt.

Problematisch an der aktuellen Situation ist auch die Zukunft des von der Islamischen Föderation (IFB) seit 2001 angebotenen Religionsunterrichts, an dem in Berlin derzeit rund 4.600 Schüler teilnehmen. Denn nach bestehender Rechtslage hat die Schulverwaltung keine Möglichkeit, den Unterricht zu kontrollieren. Schließlich gilt in Berlin Religionsunterricht bis heute als „Sache der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“, dessen Qualität dem Senat augenscheinlich egal ist. Dabei gilt es als offenes Geheimnis, daß der Verband enge Verbindungen zu der als extremistisch eingeschätzten Organisation Islamische Gemeinschaft – Milli Görus (IGMG) unterhält.

Gerade vor diesem Hintergrund wirkt die von Linkspartei und SPD geführte Kampagne gegen Pro Reli und den in Gesetzesform vorgelegten Volksentscheid alles andere als glaubwürdig. Beide Parteien argumentieren nämlich, daß einzig durch das Pflichtfach Ethik die „Werte des Grundgesetzes wie Toleranz, Gewaltfreiheit, Gleichberechtigung und Demokratie“ vermittelt werden könnten. In einer Mischung aus Demagogie und Desinformation wird den Vertretern von Pro Reli dagegen vorgeworfen, diese wollten „den gemeinsamen Ehtikunterricht für alle abschaffen“, „die Klassen nach Religionszugehörigkeit spalten“ und beabsichtigten „weniger Wertevermittlung an den Oberschulen“.

Während die SPD in diffamierender Weise von „Wahlzwang“ spricht, den Pro Reli erreichen wolle, zeigt die Linkspartei auf ihren Plakaten in zynisch-gehässiger Manier das Dürer-Motiv der betenden Hände mit dem Motto „Religion ist freiwillig“.

Dabei geht es den Initiatoren von Pro Reli genau darum – und zugleich um die Gleichberechtigung des Religionsunterrichts mit den anderen Fächern als Wahlpflichtfach. So könnten die Schüler wählen, für welches der Fächer sie sich entscheiden, wenn das Quorum erreicht wird und mindestens ein Viertel aller Berliner Stimmberechtigten mit Ja stimmt. Der TV-Moderator Günther Jauch wirbt im Radio für eine Summe von „610.000“ – so viele Stimmen brauche es, „damit unsere Kinder frei wählen können“: Das Ergebnis des Volksentscheid ist für den Senat rechtlich bindend.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen