© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/09 24. April 2009

Bürger in Uniform
Politische Zeichenlehre LXXII: Einheitskluft
Karlheinz Weissmann

Es ist allgemein üblich geworden, die thailändische Opposition als „Rothemden“ zu bezeichnen, so wie die regierungsfreundlichen Kräfte „Blauhemden“ genannt werden. Inwieweit die Farbwahl für politische Gesinnung spricht – also Rot für Revolution und Blau für Reaktion – kann für diesen Zusammenhang außerhalb der Betrachtung bleiben. Wichtiger erscheint die Wiederkehr eines Phänomens, das man fast erledigt glaubte: die politische Uniform.

Selbstverständlich haben T-Shirts oder Polohemden nichts Uniformartiges, aber die Einheitlichkeit bewirkt doch, was sonst nur Tracht oder Uniform bewirken. Die politische Uniform im Gegensatz oder als Ergänzung zur militärischen oder zivilen hatte ihren Ursprung wie so vieles der modernen Symbolsprache in der Französischen Revolution. Deren radikale Führer waren fasziniert von der Idee, ganze Bevölkerungen umzukleiden und dadurch umzuerziehen und symbolisch zu verschmelzen. Nachdem man im Oktober 1789 die Kleiderprivilegien von Klerus und Adel abgeschafft und 1793 die Freiheit des Gewands eingeführt hatte, machten sich vor allem unter Jakobinern rasch Vorbehalte gegen die allgemeine Beliebigkeit geltend und man verlangte ein neues „von der Vernunft bestimmtes, vom guten Geschmack anerkanntes Nationalkostüm“ für alle Franzosen, um „die Kleidung zu ihrem ursprünglichen Zweck und den Sitten der Gleichheit“ zurückzuführen.

Die Folge war eine Menge von Entwürfen für Reformkleider, die allerdings keine Aussicht auf Verwirklichung hatten. Dem turbulenten Verlauf der Revolution entsprach ein ebenso turbulenter Wechsel der Moden, die bis zum Konsulat Napoleons immer extravaganter und lasziver wurden, aber nie dem Ideal eines vernünftigen und einfachen „Nationalkostüms“ entsprachen.

Das Scheitern derartiger Projekte wiederholte sich regelmäßig, bei Ernst Moritz Arndts „Teutschen Rock“ – hochgeschlossen, schwarz, mit ebensolchem Barett – ebenso wie beim korsettfreien Wandervogelkleid und der „Kluft“ der Bündischen oder Otto Strassers Abendanzug ohne Binder. Die Idee, ein Gewand einzuführen, das alle Glieder der Gemeinschaft freiwillig annehmen sollten, war in einer modernen Gesellschaft wirklichkeitsfremd.

Wenn überhaupt eine Wiedervereinheitlichung zu erreichen war, dann nur auf dem Weg des Zwangs. Dementsprechend hatte schon Saint Just die Uniformierung aller Staatsbürger per Dekret gefordert; nach Altersgruppen und Aufgaben klassifiziert, wollte er jeden Franzosen nötigen, eine bestimmte Kleidung anzulegen, solchermaßen Abweichungen zerstören, das Individuum nach seiner Funktion für das Ganze erkennbar machen und die Söhne und Töchter der Freiheit vom Rest der Menschheit absondern.

Entsprechende Ideen haben seitdem die soziale Phantasie nachhaltig beschäftigt, was sich vor allem an den Staatsbürgeruniformen erkennen läßt, die seit der Französischen Revolution auftraten: von der Einheitskleidung der sowjetischen Funktionäre über die Mao-Kluft bis zu den dunklen Straßenanzügen der Nation of Islam in den USA.

Von entsprechenden Absichten wird man die Rothemden Thailands sicher freisprechen können, die mit ihrer gleichartig gefärbten Oberbekleidung vor allem das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und den plakativen Effekt nutzen wollen. Das entspricht eher dem Konzept politischer Uniform, das oppositionelle Bewegungen nutzen, angefangen bei den Sansculotten den Revolution über die Rotröcke Garibaldis bis zu den Schwarz-, Braun-, Blau-, Grün-, Grauhemden oder „Hemdlosen“ der Zwischenkriegszeit.

Der belgische Historiker Pol Vandromme hat das Europa der letzten Zwischenkriegszeit ein „Europa im Hemd“ genannt und darauf hingewiesen, wie stark mit dem Wandel des politischen Stils ein Wandel der Mentalität verbunden war. Die Krise des liberalen Systems ließ den einzelnen damals seine Isolation immer stärker empfinden und trieb ihn zu dem Versuch, seine Isolation zu überwinden, indem er mit vielen anderen einzelnen zusammentrat. Die Einheitskleidung trug wesentlich zur Disziplinierung der Masse bei und bewirkte eine dramatische Steigerung von Selbstwahrnehmung und kollektivem Kraftgefühl. Das erkannten nicht nur Faschisten und Nationalsozialisten, die sich früh der politischen Uniformierung bedienten, sondern mit einiger Verzögerung auch ihre Gegner, als deutlich wurde, daß man es hier mit einem symbolischen Mittel erster Ordnung zu tun hatte.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Foto:  „Rothemden“-Protest: Kollektives Kraftgefühl

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