© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/09 24. April 2009

Verharmlost und verklärt
Erich Loest emigriert von Leipzig nach Halle
Ronald Berthold

Es gibt gewisse Dinge, über die muß nicht mehr gestritten werden: daß die Erde eine Kugelform hat oder daß es einen magnetischen Nordpol gibt, ist beispielsweise sicher. In dieselbe Kategorie gehört die Frage nach der Einordnung der DDR. Doch zwanzig Jahre nach deren Zusammenbruch werden nicht nur der „Trabant“ und die Plattenbauwohnung verherrlicht. Plötzlich wird die sozialistische Diktatur ins Sonnenlicht mitteleuropäischer Staatsformen gerückt. Sie sei kein „Unrechtsstaat“ gewesen, faselte erst kürzlich der aus Westdeutschland stammende mecklenburgische Ministerpräsident Erwin Sellering – und er fand Unterstützer.

Der Schriftsteller Erich Loest verzweifelt nun an seinem Leipzig, weil sich dort eine von oben gesteuerte Ostalgie breitmache. In der vergangenen Wochenend-Ausgabe der FAZ schilderte der 83jährige die unhaltbaren Zustände in der „Heldenstadt“ von 1989. Er prangert „Verharmlosung und Verklärung der DDR“ an.

So wird eine bereits demontierte 33 Tonnen schwere Karl-Marx-Bronze in der umgebauten Leipziger Universität angebracht. Loest hatte gegen das vom Hochschuldirektor Franz Häuser (auch ein geborener Westdeutscher) verehrte Monstrum angeschrieben – vergeblich. Dem Schriftsteller, der einst selbst SED-Mitglied war, dann aber – wie 300.000 andere Einwohner des Unrechtsstaates auch – aus politischen Gründen im Gefängnis saß, zeigte man die kalte Schulter.

Nach Marx kommt auch noch das gigantische von der SED in Auftrag gegebene Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“ zurück, das, so Loest, „den Sieg des Kommunismus über Aufklärung und Humanismus an der Leipziger Universität feierte“. Loest ist angewidert und will zum zweiten Mal Leipzig verlassen. Nach permanenten Stasi-Schikanen war der namhafte Autor 1981 in die Bundesrepublik ausgereist.

Nun „emigriert“ er nach Halle, denn er sieht in den fatalen kulturellen Entscheidungen ein Menetekel für die künftige politische Entwicklung. Die Servilität der SPD gegenüber der umbenannten SED äußere sich schon darin, daß sie für das Amt des Kulturbürgermeisters erst gar keinen Kandidaten suchte, sondern die Linksfraktion bat, „dies zu übernehmen“. Und auf Landesebene habe die SPD, die der Autor nach eigenem Bekunden seit seiner Übersiedelung in die BRD gewählt hat, eine Koalition mit den alten Unterdrückern gar nicht erst ausgeschlossen. Für ihn ist nun Schluß. Er wolle keinen Vorschub leisten „für einen kommunistischen Ministerpräsidenten“. Loest: „Wenn ich die Sozialdemokraten ankreuze, wähle ich die Linken mit.“

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