© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

Der Wahlkampf hat längst begonnen
Große Koalition: Das politische Handeln von Union und SPD wird immer deutlicher von der nahenden Bundestagswahl bestimmt
Paul Rosen

Eine merkwürdige Mechanik der Macht beschleunigt zur Zeit die Berliner Politik. Damit sie sich nicht gegenseitig das Blockierer-Image andichten können, bringen die Koalitionsparteien Union und SPD die letzten Vorhaben dieser Legislaturperiode auf den Weg. Treiber ist dabei die SPD, denn Anliegen wie die Begrenzung der Managergehälter oder die Bekämpfung der Steueroasen stoßen in der Unionsfraktion auf heftigen Widerstand. Aber obwohl zahlreiche CDU/CSU-Politiker vermögendere Bundesbürger vor Besuchen der Steuerprüfung im häuslichen Wohnzimmer schützen wollten, ist dieser Punkt in dem vom Bundeskabinett bereits beschlossenen Gesetzentwurf enthalten.

Nicht einigen konnte sich die Koalition jedoch auf die Einführung eines Mindestlohns in der Zeitarbeiterbranche. Hier wollte die Unionsfraktion genausowenig mitmachen wie bei der Neuordnung der Arbeitslosenverwaltung, für die eine Grundgesetzänderung erforderlich gewesen wäre. Der Kompromiß war im Auftrag von Kanzlerin Angela Merkel von dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) und Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) ausgearbeitet worden, wurde aber in einer Sitzung der Unionsfraktion verworfen, weil der Wirtschaftsflügel nicht schon wieder nachgeben wollte, nachdem die Kanzlerin den Wirtschaftspolitikern mit der Banken-Verstaatlichung bereits viel zugemutet hatte. Merkel stimmte in der Sitzung gegen den von ihr mitgetragenen Kompromiß. Nur so konnte sie vermeiden, kurz vor Eröffnung des Wahlkampfes in der eigenen Fraktion überstimmt zu werden. Fraktionsjurist Günter Krings spottete, mit dem Kompromiß wäre der zweigliedrige Bundesstaat dreigliedrig geworden: Neben Bund und Ländern wäre die Arbeitsverwaltung die dritte Ebene geworden. Und auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wandte sich gegen eine erneute Grundgesetzänderung. Es sei schon zuviel in der Verfassung geändert worden, wurde er von Sitzungsteilnehmern zitiert. Zwar schwächt der Aufstand in der Fraktion Merkels Position, aber Wahlkampf betreiben läßt sich damit nicht. Das Thema ist zu kompliziert.

Besser geeignet für den Wahlkampf ist der Mindestlohn, der prompt Eingang in das SPD-Wahlprogramm fand. In anderen Politikbereichen wird die Union weiter getrieben: „Die Zeit läuft uns davon. Wir brauchen endgültig Klarheit, ob der Koalitionspartner bei wichtigen Themen mitmacht“, forderte SPD-Chef Franz Müntefering. Dieser Druck führt wohl dazu, daß die Union nachgeben und eine Begrenzung der Managergehälter passieren lassen wird – eine Forderung, die nach dem Versagen zahlreicher Bankvorstände auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Ebenso populär ist seit dem Fall des früheren Postchefs Klaus Zumwinkel, der Millionen nach Liechtenstein gebracht hatte, der Kampf gegen Steuerhinterziehung und angebliche Steuerparadiese, die Besitzer großer Vermögen mit verschwiegenen Banken und geringen Steuersätzen anlocken. Im Kampf gegen Steuerhinterziehung geht Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) viel weiter: Er will Bundesbürgern mit hohen Einkünften (über 500.000 Euro Einnahmen pro Jahr) die Steuerprüfung ins Haus schicken. Rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unverletzlichkeit der Wohnung oder die Unschuldsvermutung spielen bei der Gesetzgebung der Koalition allenfalls eine nachgeordnete Rolle. Denn einer besonderen Begründung bedarf der Hausbesuch der Steuerprüfer künftig nicht mehr. Wer den Prüfer nicht ins Haus läßt, soll geschätzt werden. Das riecht nach mittelalterlicher Fiskalpolitik und Willkür.

Die Union hat sich offenbar dem Druck der SPD gebeugt, weil sie nicht in den Ruf kommen will, Millionäre wie Zumwinkel zu schützen. Genausowenig wird sie bei anderen Projekten noch Widerstand leisten können. Der Autobauer Opel muß gerettet werden. Falls es nicht zu einer Lösung wie aus dem Märchen „Tausendundeine Nacht“ kommt und sich kein milliardenschwerer Scheich als Investor findet, muß der Staat Verantwortung übernehmen. Das haben Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier und Müntefering schon erklärt. Die Union wird sich nicht verweigern und Opel pleite gehen lassen können. Dann hätte sie die Bundestagswahl verloren.

Und das ganze Land können weder Union noch SPD pleite gehen lassen. Daher wird es schnell zu einer Lösung für die Banken kommen und eine Art „Bad Bank“ für toxische Wertpapiere gegründet werden. Die Zeche bezahlt wieder einmal der Steuerzahler, der Giftmüll der Finanzwelt dürfte auf seine Kosten entsorgt werden.

Foto:  Wahlkampf als Kartenspiel: Die Union hat sich in der Frage der Steuerhinterziehung dem Druck der SPD gebeugt

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