© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

Ernste Praxis, heitere Theorie
Flottes Intrigentheater: Friedrich Schillers Schauspiel „Parasit“ in Würzburg
Peter Knoll

Manchmal ist die Wirklichkeit schlimmer, schauriger und brutaler als der fantasierende Sadismus eines Krimiautors, wenn wir an den Amoklauf von Winnenden denken oder an den Fall Fritzl mit jahrzehntelang eingesperrten Kellerkindern. Ähnliches könnte für den Karrierealltag gelten. „Mobbing in der Provinz auf Weltniveau“, betitelte die Würzburger Main-Post eine Kritik zu „Der Parasit oder Die Kunst, sein Glück zu machen“ Ob die Regionalzeitung nur auf die Komödie von Friedrich Schiller anspielte? Vielleicht gilt auch hier: Die Theorie ist weit harmloser als die Praxis, Theaterstücke sind weit blasser als Intrige und Verschwörung an einem Stadttheater.

Vielleicht spielte die Main-Post auf die fristlose Entlassung des Dirigenten Jin Wang an, der bis zum 15. November 2008 Generalmusikdirektor am Würzburger Stadttheater war. Mit Legenden und Horrorgeschichten aus der Gerüchteküche sei eine Rufmordkampagne gegen Wang betrieben worden, meint der Würzburger Rechtsanwalt und Verwaltungsexperte Wolfgang Baumann. Mit Anrufen im ganzen Bundesgebiet habe der Kulturdezernent ein Geheimdossier  auch über Wangs Privatleben erstellt, außerdem sei er für Bespitzelung und Bedrohung im Dunstkreis des Theaters verantwortlich. Baumann war Vorsitzender der Freunde der Würzburger Philharmoniker e.V.

Der Vorwurf gegen Wang, Spezialist für Richard Wagner und Richard Strauss: Der ehrgeizige Chinese mit österreichischem Paß ist zu autoritär mit den Musikern umgesprungen. Die große Mehrheit des Würzbürger Orchesters wollte nicht, daß Wangs Vertrag über das Jahr 2010 hinaus verlängert wird. Zweiter Vorwurf: Wang habe eine Musikstudentin nach einem Restaurantbesuch sexuell genötigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte auf Betreiben des Kulturdezernenten, nicht auf Antrag der Aushilfsgeigerin. Ein Gerichtsurteil wurde niemals gesprochen.

Soweit die ernste Praxis in Würzburg. Die heiter verkleidete Theorie zeigt sich auf der Bühne: Ein Wahlplakat acht Meter mal zwölf Meter ragt in den Zuschauerraum. Zu sehen ist übergroß der Kopf jener Person, die im Stück den neuen Minister spielt, darunter sein Wahlspruch „Provinz auf Weltniveau“ (der bereits früher als Werbespruch der Stadt Würzburg diskutiert wurde). Rechts und links der Bühne stehen große, silberfarbene Metallgitter, mit Türen versehen, durch die die Schauspieler ein- und ausgehen, oft dagegenrennen, hineinstolpern oder gar hinfallen – besonders jene Figuren, die sich mit der geschmeidigen Kunst der Anpassung schwertun. Das Bühnenbild ändert sich die ganzen zweieinhalb Stunden nicht, die Kulissenschieber haben also nichts zu tun.

Zu Beginn erschallt die Bayernhymne, schließlich das Frankenlied, das die Schauspieltruppe gekonnt zum besten gibt. Der frischgewählte Minister Narboni (Rainer Appel) bedankt sich im Stil einer Stoiber-Rede bei den Wählern, das Theaterpublikum spendet reichlich Beifall für die kabarettistische Glanzleistung. Tochter und Ehefrau des Ministers winken.

Dann wird es ruhig auf der Bühne, das eigentliche Stück von Friedrich Schiller beginnt werktreu. Erzählt wird die Geschichte um den Aufstieg von Selicour, der auf eine Karriere als Gesandter erpicht ist und auch noch die Tochter des Ministers heiraten möchte. Gezielt schaltet er Konkurrenten wie La Roche aus und schmückt sich mit den Leistungen des gutmütigen Kollegen Firmin.

Französische Personennamen deuten auf den Ursprung des Lustspiels hin. Friedrich Schiller übersetzte es aus dem Französischen und ergänzte einige Passagen. Die Vorlage stammt von dem Erfolgsdramatiker Louis-Benoit Picard (1769–1828). Schillers Variante wurde 1803 am Weimarer Hoftheater erstaufgeführt. Zahlreiche Premieren in mehreren deutschen Städten folgten. Schiller konzentrierte sich in seinen letzten Jahren auf Übersetzungen, weil er damals bereits krank und kraftlos war, von Magenkrämpfen und Koliken geschüttelt wurde. Das Schreiben eigener Dramen strengte ihn zu sehr an.

Regisseur Bernhard Stengele bringt die Bürokomödie flott und kurzweilig auf die Bühne, lediglich kurze Einschübe markieren aktuelle Wahlkämpfe und „Germany’s next Topmodel“ Maria Beckmann, Tochter der ehemaligen Oberbürgermeisterin Pia Beckmann (CSU). Ansonsten hält sich Stengele streng an das Textoriginal von Friedrich Schiller. Folge: Er driftet nicht in die flachen Gewässer des Klamauks ab  wie bei seiner  Inszenierung von Mozarts „Così fan tutte“.

Begabte Schauspieler bevölkern die Bühne. Der fleißige Firmin (Max De Nil) spitzt und spitzt seine Bleistifte, schüttet die Bleistiftreste in seine Jackettasche. Wozu er das tut, bleibt unklar. Bei Schiller ist er der fähigste Mitarbeiter. Mit guter Stimme Karlotta, die Tochter des Ministers (Anne Diemer), die halbnackt mit schwarzen Stiefeln und schwarzem Rock aus dem pornographischen Machwerk „Feuchtgebiete“ liest und Vaters Riesenfoto mit „Heil Papa“ grüßt, eine Mischung aus Nina Hagen und Model.

Bei Schiller siegt das Gute, der fleißige und fähige Firmin steigt zum Gesandten auf, sein Sohn heiratet die Tochter des Ministers. Und wer siegt in der Realität? In Würzburg erhielt Dirigent Wang eine Abfindung von 105.000 Euro.

Die nächsten Aufführungen im Mainfranken-Theater Würzburg, Theaterstr. 21, finden statt am 3., 6., 16. und 30. Mai 2009. Kartentelefon: 09 31 / 39 08-124, Internet: www.theaterwuerzburg.de

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