© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

Natürlich leidet die Seele mit
Die psychologischen Auswirkungen von Abtreibungen bei Frauen im Spiegel wissenschaftlicher Untersuchungen
Martina Zippe

Die Mehrzahl der werdenden Väter, deren ungeborenes Kind getötet wird, berichtet über negative Gefühle; sogar von Seelenqualen sprachen Männer im Magazin der Wochenzeitung Die Zeit, die die Folgen der Liberalisierung der vorgeburtlichen Kindestötung in den vergangenen dreißig Jahren auf der Titelseite thematisierte (Ausgabe 08/2009 vom 12. Februar). Was Männern zu schaffen macht, soll hiernach nicht für werdende Mütter gelten, die ihr Kind abgetrieben haben.

Das erscheint paradox, sind Frauen doch am unmittelbarsten betroffen. Der Zeit-Autor kommt zu diesem Schluß kommt, weil er sich auf eine Studie sützt, nach der der Anteil jener Frauen, die auch Jahre später noch psychische Probleme haben, nicht größer sein solle als in der gesamten weiblichen Bevölkerung. Verantwortlich zeichnet für diese Studie 2008 die Amerikanische Gesellschaft für Psychologie (APA). Wichtige Studien, die das Gegenteil darlegen, nämlich daß Frauen unter psychischen Spätfolgen der Abtreibung leiden, werden den Lesern nicht bekanntgegeben. Diese Studien sprechen dafür, daß man den Eingriff der Tötung eines ungeborenen Menschen dreißig Jahre lang verharmlost hat. Die Liberalisierung der Abtreibung hat somit den werdenden Müttern gerade keinen Fortschritt gebracht, sondern das Gegenteil: tiefe Verzweiflung und stille Wut. Die vorgeburtliche Kindestötung ist damit ein verhängnisvoller Irrtum der Frauenbewegung, was man ungern zugibt.

In der Studie der APA (American Psychological Association), die ältere Studien untersucht, wurde keine deutschsprachige Untersuchung berücksichtigt. Doch die Würzburger Psychologin Maria Simon hatte bereits aufgezeigt, daß etwa achtzig Prozent der Frauen unter psychischen Spätfolgen der vorgeburtlichen Kindestötung leiden: Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, Stimmungsschwankungen und Depressionen (IMABE-Quartalsblätter, 2/1993). Das Post-Abortion-Syndrom (PAS) umfaßt  die Gesamtheit der Symptome, die bei Frauen auftreten können, die ihr Kind im Mutterleib töten lassen, neben psychischen auch psychosomatische (etwa Unterleibsschmerzen, Kopfschmerzen, Migräne) und körperliche Folgen. Zu letzteren gehören Blutungen und Infektionen der Gebärmutter oder Eileiter, Halteschwäche des Gebärmutterhalses mit der Gefahr späterer Früh- oder Fehlgeburten sowie ein erhöhtes Brustkrebsrisiko.

Die APA-Untersuchung, auf die sich neben der Hamburger Wochenzeitung auch die Frauenzeitschrift healthy living (April 2009) stützt, meint nun, mentale Probleme bei Frauen, die ihr ungeborenes Kind töten ließen, hätten auch ohne die Abtreibung auftreten können, es gebe auch andere Risikofaktoren. Hierbei blieb jedoch eine neuseeländische Studie unberücksichtigt, welche diese zusätzlichen Risikofaktoren genau kontrolliert hat und weltweit eine der umfangreichsten Studien zum Thema darstellt: David M. Fergusson wies im Journal of Child Psychology and Psychiatry (1/2006) nach, daß fast jede zweite Frau nach einer Abtreibung psychisch erkrankt, etwa an Depressionen, Angstzuständen, Selbstmordgefährdung und Suchtverhalten. Aus einer Gruppe von 1.265 Mädchen, die seit ihrer Geburt im Jahre 1977 beobachtet wurden, wurden 41 Prozent der Mädchen bis zum Alter von 25 Jahren schwanger. 14,6 Prozent ließen ihr Kind abtreiben. Von jenen 90 Frauen, die eine Abtreibung vornehmen ließen, entwickelten 42 Prozent innerhalb der nächsten vier Jahre eine schwere Depression. Auch der Drogen- und Alkoholmißbrauch stieg bei dieser Gruppe signifikant an. Diese Verhaltensweisen und Erkrankungen könnten auf keine früheren Erlebnisse zurückgeführt werden, so Studienleiter Fergusson von der Universität von Otago. Nach seiner Meinung ist es ein Skandal, daß die psychischen Folgen dieses chirurgischen Eingriffs, der bei jeder zehnten Frau durchgeführt wird, nicht besser erforscht werden.

Die APA stützte ihre Untersuchung weiterhin darauf, daß andere Studien geeignete Vergleichsgruppen vermissen ließen, nämlich einen Vergleich mit Frauen, die sich statt Abtreibung alternativ für Mutterschaft oder Adoption entschieden hätten. Doch eine finnische Studie von Mika Gissler zeigt, daß Frauen im Jahr nach einer Abtreibung dreimal so häufig Selbstmord begehen wie die Durchschnittsbevölkerung und sogar sechsmal so häufig wie Frauen, die im selben Zeitraum ein Kind geboren haben (British Medical Journal 1996).

Nach einer Doktorarbeit von Marion Poensgen an der Universität Würzburg 1990 treten Depressionen nach Abtreibung doppelt so häufig auf wie nach Adoptionsfreigabe. Auch insofern läßt die APA-Studie wichtige andere Studien außer acht, die schwerwiegende Folgen der vorgeburtlichen Kindestötung darstellen. Daher ist es nicht richtig, daß „die meisten Frauen eine Abtreibung seelisch gut verkraften“, wie das Magazin healthy living meint. Die Unstimmigkeiten der APA-Studie wurden von Zeitgeist-Journalisten nicht hinterfragt. Vielmehr drängt sich sogar der Verdacht auf, daß es der APA weniger um Wissenschaft als vielmehr um eine Kampagne zur Rechtfertigung der vorgeburtlichen Kindestötung ging: Nachdem Fergusson ermittelt hatte, daß die APA etliche gegenteilige Studien ignoriert hatte, antwortete diese einem Journalisten: „Es ist ohne Belang, was die Fakten erweisen“, so Manfred M. Müller in seinem Buch „Mehr Licht. Die Heilung der Abtreibungswunden“. Verantwortlich für die APA-Studie war Nancy Felipe Russo, die an der Legalisierung der Abtreibung in den USA beteiligt war.

Angesichts der schwerwiegenden Folgen muß die Liberalisierung der Abtreibung nicht nur im Interesse der statistisch erfaßten 4,3 Millionen in den letzten dreißig Jahren umgekommenen Ungeborenen in Deutschland, sondern auch zum Schutz der werdenden Mütter und Väter selbst zur Disposition gestellt werden. Dies wäre durch eine Strafbarkeit der vorgeburtlichen Kindestötung möglich, die nur im Ausnahmefall einer akuten Bedrohung des Lebens der werdenden Mutter nicht greift.

Derzeit bemüht man sich im Deutschen Bundestag um eine Neuregelung der Spätabtreibungen, die ein Beratungsangebot bei der Diagnose eines behinderten Kindes sowie eine dreitägige Bedenkfrist vor einem entsprechenden Schwangerschaftsabbruch vorsieht (JF 18/09). Dies ist eine kleine Änderung für einen speziellen Fall.

Groß bleibt die Aufgabe der Medien, die Probleme der Abtreibung für alle Beteiligten darzustellen und nicht auch noch unter den Tisch zu kehren. Dies geschieht leider zu selten, was in dem Vorwurf vieler Frauen zum Ausdruck kommt: „Warum hat mir niemand vorher gesagt, wie sehr ich unter der Tötung meines ungeborenen Kindes leiden würde?“

Foto:  Trauer und Schuldgefühl nach der Abtreibung: Ein verhängnisvoller Irrtum der Frauenbewegung, was man ungern zugibt

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