© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/09 08. Mai 2009

Schizophrene Republik
Krawalle am 1. Mai: Hysterie nach rechts, Kapitulation nach links
Kurt Zach

Es war ein Desaster mit Ansage: Berlin erlebte die schwersten und blutigsten Maikrawalle seit langem – und die Berliner Republik ein Lehrstück in politisch-medialer Schizophrenie, das seinesgleichen suchen darf.

Mal angenommen, ein Politiker einer rechtsextremen Partei hätte eine Demonstration angemeldet, aus der heraus es zu blutigen Krawallen gekommen wäre. Der Ruf nach Parteiverboten, zumindest aber nach einem härteren Durchgreifen gegen Rechtsextreme wäre auf dem Fuße gefolgt. Der betreffende Politiker säße vermutlich schon in Untersuchungshaft.

Nun, der Linkspartei-Bezirksverordnete Kirill Jermak läuft noch frei herum, seine kommunistische Regierungspartei muß kein Verbotsverfahren fürchten, und Programme „gegen Links“ sind auch nicht in Sicht. Dafür fordert die NRW-SPD mal wieder ein Konzept „gegen Rechtsextremismus“, samt zusätzlicher „finanzieller Ausstattung“ natürlich – weil in Dortmund Rechtsextremisten eine DGB-Kundgebung attackiert hatten. Schließlich könne „das gewaltsame Treiben von einigen hundert Rechtsextremen am hellichten Tag im Zentrum einer deutschen Großstadt“ nicht folgenlos bleiben. D’accord – aber wie steht es mit dem linksextremistischen Treiben?

Ein Blick nach Hannover: Da wurde ein „Neonazi-Aufmarsch“ kurzerhand verboten, wegen der zu erwartenden Gewaltbereitschaft der „autonomen Nationalisten“ in ihren „Schwarzen Blöcken“. Vergleichbare präventive Konsequenz am anderen Ende des politischen Spektrums hätte den Berlinern viel Ärger ersparen können.

Von ihrem Innensenator Erhart „Hasenfuß“ Körting haben die Hauptstädter da allerdings nicht viel zu erwarten. Der sieht hartnäckig lauter „Einzeltäter“ und „unpolitische Randalierer“ am Werk, wo die politische Aufladung durch die Drahtzieher mit Händen zu greifen ist. „Deeskalation“ ist für ihn „alternativlos“, und er praktiziert sie ja auch selbst: Körting fürchtet sich hinterm sicheren Schreibtisch nicht vorm schwarzen Mann, wenn er aber kommt, dann läuft er schnell davon.

Seine Polizeibeamten, denen er ähnliche Überlebensstrategien verordnet, müssen sich dafür im kommunistischen Neuen Deutschland zynisch für ihr „besonnenes Verhalten“ loben lassen, weil sie unter Helm und Schild abwarteten, „bis der Gegenseite die leeren Flaschen zum Werfen ausgingen“. In manchen Flaschen waren freilich Brandsätze – pures Glück, daß keiner der Beamten getötet wurde, die von der Politik „zur Steinigung freigegeben“ worden waren.

Beschädigt wurde dafür der Rechtsstaat. Die nur noch partiell „wehrhafte Demokratie“ verheizt ihre Polizisten als Prügelknaben, schaut dem Verfall staatlicher Autorität durch die Demütigung ihrer uniformierten Hoheitsträger achselzuckend zu und verschließt ihre Augen noch fester vor dem mit brutaler Gewalt vorgetragenen Angriff auf den Rechtsstaat aus einer bestimmten Richtung. Der oft bemühte Vergleich mit dem Endstadium der Republik von Weimar gewinnt gespenstische neue Aktualität. Der Feind allerdings steht diesmal links.

Mit diesem Feind fertigzuwerden, ist freilich nicht allein eine Frage der richtigen Polizeitaktik. Daß konsequentes Durchgreifen, verbunden mit schnellen und harten juristischen Folgen, mehr Eindruck macht als das sorgsame Umhegen subkultureller Biotope dürfte – außer bei sympathisierenden Feuilletonisten und Zeitungskommentatoren sowie bei politisch korrekten Karrierebeamten – unstrittig sein. Die Polizei allein aber wird die eskalierende linke Gewalt nicht in den Griff bekommen.

Dazu bedarf es in erster Linie des politischen Willens zum „Kampf gegen Links“. Nicht daß neue sozialpädagogische Programme aufgelegt und mit Steuergeldern dotiert werden müßten. Es reicht, zum antitotalitären Grundkonsens der deutschen Demokratie zurückzukehren und gegen Extremisten jeder Couleur mit derselben Konsequenz und nach denselben Maßstäben vorzugehen.

Wer nicht dulden will, daß Neonazis Stadtteile oder Straßenzüge zu no-go areas für Ausländer erklären wollen (ob es die gibt, sei dahingestellt), der darf nicht im Namen der „Deeskalation“ mit Linksextremen polizeifreie Zonen aushandeln. Wer rechtsextreme Vereine verbieten oder wenigstens von staatlichen Zuschüssen fernhalten will, der darf nicht „antifaschistische“ Clubs und Infoläden aus den reichlich fließenden Quellen für den Kampf „gegen Rechts“ päppeln. Und das Demonstrationsrecht gilt für alle; sowohl sein Schutz als auch seine Einschränkung ist keine Frage des politischen Standpunkts.

Es ist ein gefährliches Spiel, die eine Spielart des Extremismus unter Artenschutz zu stellen und zu verharmlosen, während gegen die andere mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Der gewaltbereite Linksextremismus ist keine Naturgewalt, deren alljährliche Ausbrüche man nur mit eingezogenem Kopf möglichst glimpflich zu überstehen hätte und gegen die, so die gängige linksliberale Kommentatoren-Münze, ja doch kein „härteres Durchgreifen“ helfen könnte. Rechtsfreie Räume entstehen dort, wo die Staatsgewalt sie zuläßt. Um das zu verhindern, muß sie handeln, ohne die Feuilletonisten zu fragen. Die Bürger haben einen Anspruch darauf. Sie sollten den Mut finden, ihn einzufordern.

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