© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/09 08. Mai 2009

„Wir Tschechen sind ein singendes Volk“
Bauern auf der Bühne: Mit eigenwilligen Opern wehrte sich Friedrich Smetana gegen den Ruf, ein böhmischer Wagner zu sein
Wiebke Dethlefs

Obwohl „Die Moldau“ und „Die verkaufte Braut“ von Friedrich Smetana zu den weltweit meistgespielten Werken nicht nur der tschechischen Musik gehören, ist die Wirkung des Gesamtschaffens dieses sicherlich größten tschechischen Künstlers und Begründers einer tschechischen Kunstmusik größtenteils auf den böhmischen Raum beschränkt geblieben. Das gilt für seine Klaviermusik, seine Vokalwerke, seine Lieder, seine Orchesterwerke (ausgenommen der Zyklus „Mein Vaterland“ mit der unverwüstlichen „Moldau“) und insbesondere für seine Opern, die bedeutendste Werkgattung seines Schaffens, die außerhalb Böhmens fast nirgendwo (nur mit der erwähnten Ausnahme) aufgeführt werden.

Von Smetanas acht vollendeten Opern (eine neunte, „Viola“, nach Shakespeares „Was ihr wollt“, blieb ein 365taktiges Fragment) sind zwei Werke Komödien („Die verkaufte Braut“, „Zwei Witwen“), drei dem romantischen Genre zuzuordnen („Der Kuß“, „Das Geheimnis“, „Die Teufelswand“), drei weitere beziehen ihre Handlung aus der tschechischen Geschichte („Die Brandenburger in Böhmen“, „Dalibor“) bzw. dem Mythos („Libussa“).

Auch in der Heimat ihres am 2. März 1824 im ostböhmischen Leitomischl (Litomyšl) geborenen Verfassers war und ist deren Wertschätzung unterschiedlich: Smetana selbst mußte gegen Ende seines Lebens beklagen, daß man die „Verkaufte Braut“ seinen anderen, wie er sagte, „viel besseren Opern“ vorziehe. Während deren Vernachlässigung heute im Westen angeblich auf die „zu sehr tschechischen“ Sujets zurückgeführt wird, warf man Smetana noch zu seinen Lebzeiten „Verrat am Tschechentum“ vor, weil er sich in der Tonsprache der Opern trotz aller „Böhmismen“ zu sehr an Wagner anlehne.

Dabei setzt Smetana im Vergleich zu diesem nur ganz sacht die Leitmotivtechnik ein. Die sparsame Verwendung von markanten Motiven gerät im „Dalibor“ (1868), einer Handlung, die jener von Beethovens „Fidelio“  verwandt ist, durch den monothematischen Aufbau sogar zum Extrem. Denn alle Ariosi, alle Motive sind hier aus einer einzigen motivischen Keimzelle abgeleitet, was wiederum ganz unwagnerisch ist. Aber er konzipierte das Werk ohne größere Ensemble und Chorszenen ganz im Sinne von Wagners Reformideen. Dabei lehnte Smetana dessen „unendliche Melodie“ ab:  „Wir Tschechen sind ein singendes Volk und können diese Methode nicht akzeptieren.“

Nach nur sechs Aufführungen abgesetzt, begann die Oper erst zwei Jahre nach Smetanas Tod ihren Siegeszug an den böhmischen Bühnen. Wahrscheinlich ist es die Verbindung zur alten Nummernoper (wenngleich sie auch in einer zweiten Fassung durchkomponiert ist), die der „Verkauften Braut“ anfangs die größere Beliebtheit verlieh. Smetana komponierte diese Oper gleichsam aus Trotz, um sich gegen den Vorwurf zu wehren, Wagnerianer zu sein. Und mit diesem Ansatz erzielte er einen Welterfolg. Doch zweifellos hat das außerordentlich gute Libretto der „Verkauften Braut“ daran das größte Verdienst. „Braut“ und „Dalibor“ sind heute beide die komische und die tragische tschechische Nationaloper. Ein Kuriosum ist, daß die Wiener Hofoper bis zu Gustav Mahlers Zeiten die „Verkaufte Braut“ ablehnte, da es „sich nicht gehört, böhmische Bauern auf eine seriöse Bühne zu bringen“.

Die ungewöhnlichste der Opern Smetanas und eine singuläre Erscheinung der Operngeschichte überhaupt ist „Libussa“. Sie hat mit Sicherheit außerhalb Böhmens keine Chance, aufgeführt zu werden. Dieses bezüglich der Leitmotive und der „unendlichen Melodie“ wagnerischste aller seiner Bühnenwerke ist ein Weihespiel größten Stils. Titelfigur ist die sagenhafte Gründerin Prags und Ehefrau Přemysls, des Ahnherrn des ersten böhmischen Herrscherhauses.

Zum ersten und einzigen Mal betritt der Komponist in dieser Oper das Feld des Mythos. Ihr Schluß mündet in einer gewaltigen Apotheose des Tschechentums, wenn Libussa in fünf Bildern Visionen vom zukünftigen Ruhm des Landes erfährt. Das Werk endet mit dem gewaltigen, einst jedem Tschechen heiligen Hussitenchoral „Die ihr Gottes Streiter seit“. Anders als in einem Wagnerschen Werk fußt die Handlung nicht auf philosophisch-weltanschaulichem Hintergrund, sondern auf vaterländischem Pathos, das freilich die realistisch agierenden Figuren überhöht. Smetana vollendete das Werk 1872, 1881 erfuhr es bei der Einweihung des neuen Prager Nationaltheaters seine Uraufführung und wird seither als nationale Fest- und Feieroper nur zu ganz besonderen Anlässen aufgeführt.

Der Beginn einer später letalen Gehirnkrankheit ließ den Komponisten 1875 völlig ertauben. Dennoch konnte er noch drei Bühnenwerke vollenden. „Der Kuß“ (1876, tschech. „Hubička“),  spielt wie die „Verkaufte Braut“ im ländlichen Milieu, ist jedoch weit verfeinerter gehalten. Der erste Akt gilt als Smetanas dramaturgisch beste Schöpfung. „Das Geheimnis“ („Tajemstvi“), ein ländlich-komisches „Romeo und Julia“-Sujet wird gemischt mit einer guten Portion Räuberromantik. Doch wird diese Oper gemeinhin als die kunstvollste des Komponisten angesehen. Die polyphonen Ensemblesätze wie auch die einzigartige Tristan-Begeisterung des Liebesduetts im 2. Akt stehen einzigartig in Smetanas Werk da.

„Die Teufelswand“ (1882, tschech. „Čertova stěna“), ist des Komponisten letzte vollendete Oper. Mag es daran liegen, daß er zum Teil musikalisches Neuland betritt – dieses Werk gilt als spröde, außerdem als schwach in der Textvorlage –, wie es überhaupt neben den „Brandenburgern in Böhmen“ die am wenigsten gespielte Oper des Meisters ist. Aber die ungewöhnliche Harmonik voller übermäßiger Dreiklänge, die überall die Hauptfigur, den Teufel Rarach, begleiten, verleiht dieser Oper einen fast revolutionären Charakter. Die reiche Chromatik wie auch die ungewöhnlichen Alterationen und Modulationen zeigen, daß Smetana einen neuen Weg eingeschlagen hatte, den aber weiterzugehen sein Tod am 12. Mai 1884 vereitelte.

Foto: Friedrich Smetana (1824–1884): Die „Moldau“ ist unverwüstlich

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