© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/09 15. Mai 2009

„Aus Liebe zu den Menschen“
Populistin? Egomanin? Anwältin des Volkes? Gabriele Pauli ist Deutschlands schillernste Polit-Senkrechtstarterin
Moritz Schwarz

Frau Dr. Pauli, würden Sie sich selbst eine Populistin nennen?

Pauli: Ich folge meinem Weg, meiner Überzeugung, unabhängig davon, ob es mir Ämter oder Status einbringt. Populisten sind Fähnchen im Wind, sie können keine ehrlichen Motive haben.

Was unterscheidet die Freien Wähler – nun, wo sie an der Europawahl und vielleicht auch an der Bundestagswahl teilnehmen – noch von einer normalen Partei?

Pauli: Für die Bundestagswahl wird es möglicherweise notwendig sein, formal Parteienstatus anzunehmen. Aber entscheidend ist doch nicht das Formale, sondern die Frage: Wollen die Freien Wähler so arbeiten wie eine Partei? Parteien zeigen starke Verfilzung und nur ein starres Auswahlverfahren von Kandidaten. Wenn man dort mal „oben“ angekommen ist, ist man abgeschliffen und konform, neue Ideen finden dann keinen Zugang mehr. Wir aber wollen unsere Offenheit wahren – und das wird uns von einer herkömmlichen Partei immer unterscheiden.

Das Beispiel der Grünen zeigt, gute Vorsätze helfen gar nichts. Ist man in den Institutionen erst etabliert, „verparteit“ man unweigerlich.

Pauli: Damit uns das nicht passiert, möchten wir ja auch die Strukturen verändern.

Auch das haben die Grünen schon versucht.

Pauli: Lassen Sie mich unsere Vorschläge erst einmal nennen: Zum Beispiel sollten bei der Wahl des Bundespräsidenten nicht nur Parteien Kandidaten aufstellen können, sondern auch Bürgergruppierungen. Überhaupt sollten mehr plebiszitäre Elemente eingeführt werden wie etwa Volksabstimmungen auch zu „großen Themen“. Minsterpräsidenten und auch der Bundeskanzler oder Kanzlerin sollten direkt gewählt werden.

Spätestens wenn Sie in Straßburg und Berlin  einziehen, geht es nicht mehr mit ehrenamtlichen Abgeordneten, dann müssen Sie einen hauptamtlichen Apparat ausbilden.

Pauli: Das ist ja in Ordnung. Aber die Freien Wähler werden immer ein starkes kommunalpolitisches Standbein haben, das wird auch in Zukunft unsere Nähe zum Bürger garantieren. Um politischen Einfluß auszuüben, müssen wir uns jedoch auch auf höherer Entscheidungsebene einschalten. Um etwas zu verändern, muß man auch Verantwortung übernehmen.

Warum wollen Sie eigentlich ins Europaparlament? Ist Brüssel nicht die Ebene, die am weitesten von der kommunalen Heimat der Freien Wähler weg ist?

Pauli: Der Filz, gegen den die Freien Wähler antreten, ist dort eben besonders ausgeprägt. Je weiter eine politische Ebene vom Bürger entfernt ist, desto mehr Pfründen haben sich Politiker gesichert. Angefangen mit dem Europäischen Gerichtshof, der mit Richtern besetzt ist, die – man faßt es kaum! – noch nicht einmal Berufsrichter sind. Weil sie einen guten Draht zu Entscheidungsträgern haben, werden die Bewerber mit diesen Posten versorgt. Um so schlimmer angesichts der Tatsache, daß das dort gesprochene Recht nationales Recht bricht.

Wollen die Freien Wähler wirklich ins Europaparlament – oder ist das nur der typische Testlauf für die Bundestagswahl im Herbst?

Pauli: Die Teilnahme an der Bundestagswahl ist bei den Freien Wählern noch gar nicht richtig diskutiert worden. Unser Engagement für die Europawahl ist also durchaus unabhängig davon. Nachdem wir 2008 in Bayern so erfolgreich waren, spüren wir bei den Bürgern ein Verlangen danach, das politische System umzustrukturieren. Europa ist die Ebene, die unsere Entscheidungsfreiheit vor Ort erheblich beeinträchtigt und wo wir so sehr außen vor sind wie sonst auf keiner Entscheidungsebene.

Was kritisieren die Freien Wähler genau? Den Integrationsprozeß an sich oder nur das „Wie“, also etwa Demokratiedefizit, Bürokratie oder Straßburger Spesenrittertum?

Pauli: Wir sind für ein Europa-Modell, das nur dann „leben“ kann, wenn es auch demokratisch ist. Formal ist es etwa so aufgebaut wie die Bundesrepublik, also föderalistisch. Es kann aber nicht funktionieren, wenn die Subsidiarität nicht klar geregelt ist. Eine EU-Glühbirnenverordnung zum Beispiel ist ein zu starker Eingriff in die untere Ebene der Bürger – und noch nicht mal ökologisch zu rechtfertigen. Solche Ziele sollten lieber auf dem Wege des Bewußtseinswandels erreicht werden. Außerdem gibt es Wichtigeres zu entscheiden.

Sie haben sich für einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen, Die CSU nennt Sie deshalb die „Türken-Gabi“. Ärgert Sie das?

Pauli: Das zeigt nur das Denken der CSU, etwa das dort nicht bewältigte Thema des Umgangs mit anderen Nationalitäten. Natürlich ist so eine Formulierung beinahe ausländerfeindlich, denn man versucht ja, mich allein dadurch zu diffamieren, daß man mich mit dem Wort „Türken“ in Verbindung bringt. Im übrigen wird die wichtige Frage eines Türkei-Beitritts dadurch wieder mal nur zu Wahlkampfzwecken mißbraucht. Tatsächlich habe ich keineswegs die Aufnahme der Türkei gefordert. Richtig dagegen ist, daß ich auf einem Parteitag den Antrag gestellt habe, an der Stelle im Programm der CSU, wo es heißt, ein Beitritt der Türkei sei ausgeschlossen, die Worte „in der jetzigen Situation“ zu ergänzen.

Läuft das nicht de facto auf eine grundsätzliche Befürwortung eines Beitritts hinaus?

Pauli: Nein, das heißt nur, daß man eine Frage von solcher Bedeutung nicht für alle Zeiten zementieren sollte. Auch wenn wir uns einen Beitritt heute in der Tat nicht vorstellen können, sollten wir uns nicht die Entscheidungsfreiheit für die Zukunft nehmen lassen.

Peter Scholl-Latour meint, die Türkei ist ein nicht abendländisch, sondern islamisch geprägtes Land und habe deshalb grundsätzlich und für alle Zeiten nichts in der EU verloren.

Pauli: Für unsere heutige Ablehnung eines Beitritts gibt es gute Gründe, die sollten jedoch nicht mit Religion begründet werden. Wir haben auch bei den bisherigen Beitrittskandidaten nicht auf die Religion geachtet.

Was meinen Sie? Alle Beitrittsländer bisher waren christlich geprägte Länder.

Pauli: Oder konfessionslos, denken Sie etwa an die ehemaligen Ostblockstaaten. Es ist doch so: Wir Europäer sollten überlegen, was ein Beitritt der Türkei für uns bedeutet. Natürlich muß die Türkei dafür gewisse Kriterien erfüllen, die Achtung der Menschenrechte zum Beispiel. Ein Beitritt der Türkei könnte aber auch im Hinblick auf ihre Brückenkopf-Funktion für uns von Vorteil sein. Im Gegenteil: Wenn wir uns nicht an die bereits 2004 gemachte Zusage der Europäischen Kommission halten, dann besteht die Gefahr, daß sich die Türkei der islamischen Welt zuwendet.

Die Türkei steht vor eine explosiven Bevölkerungsentwicklung. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Pauli: Ich habe bereits mehrfach geäußert, daß ich durchaus auch das Konzept der CDU einer privilegierten Partnerschaft unterstützen kann. Im Moment gibt es in der Tat keinen zwingenden Grund für eine Aufnahme. Trotzdem sollten die bundesdeutschen Parteien ihren Schlingerkurs aufgeben. Diese Angelegenheit wird doch nur als ein dankbares Wahlkampfthema hervorgekramt. Ich fordere die notwendige Ernsthaftigkeit. Es geht hier um Verantwortung für viele Millionen Menschen.

Ist für Sie Europa das christliche Abendland?

Pauli: Das christliche Abendland hat sich im Lauf der Geschichte immer verändert. Folglich gibt es keine wirklich gültige Definition dafür. Aber an dieser Frage scheiden sich bekanntlich die Geister. Auch in den Reihen der Freien Wähler gibt es dazu unterschiedliche Ansichten. Wir sind ja ein sehr heterogener Zusammenschluß mit großer Eigenständigkeit der einzelnen Verbände. Die Rechtspopulisten-Debatte jüngst rührt ja gerade auch daher.

Was halten Sie von dieser Debatte?

Pauli: Mir ist dadurch erst richtig bewußt geworden, wie lose die Freien Wähler tatsächlich organisiert sind – daß sich im Grunde fast jeder „Freie Wähler“ nennen kann. Landesverbände gründen sich bei uns eben von unten und treten dann erst dem Bundesverband bei – ohne daß der Bundesverband weiß, was man in diesem Landesverband genau denkt. Das ist ganz anders als in einer herkömmlichen Partei wie der CSU, wo die Strukturen von oben ausgerichtet sind. Bei uns dagegen weiß keiner, ob nicht jemand in Bremen, Brandenburg oder sonstwo politische Erklärung abgibt, die eigentlich gar nicht so auf Freie-Wähler-Linie liegen.

Schleswig-Holstein ist als Reaktion auf den Vorwurf der „Unterwanderung von rechts“ in Bremen und Brandenburg umgehend aus dem Bundesverband ausgetreten (JF berichtete). War das eine angemessene Reaktion?

Pauli: Ich kenne diesen Landesverband nicht und kann nicht beurteilen, ob die Entscheidung wirklich vom ganzen Verband getragen worden ist oder nur die Kurzschlußreaktion einzelner war. Jedenfalls will Schleswig-Holstein nun ja wieder eintreten.

Ja, nachdem die beschuldigten Landesverbände Brandenburg und Bremen ausgeschlossen worden sind. War diese Entscheidung richtig?

Pauli: Ich denke, der Bundesverband hat die Sachlage genau geprüft, bevor er zum Ausschluß geschritten ist. Offenbar hat er festgestellt, daß in beiden Landesverbänden Personen aktiv waren, die untragbar sind. Wenn das der Fall ist, dann war das schon richtig. Allerdings bin ich dafür, daß wir immer wieder genau hinsehen und den Einzelfall prüfen und auch den Menschen gerecht werden, die ein Recht auf ihre eigenen Ideen und ihre Freiheit – gerade Meinungs- und Gedankenfreiheit – haben. Sicher, wir wollen keine extremen oder radikalen Gedanken in unseren Reihen, denn wir sind für die Achtung des Menschen. Aber zur Achtung des Menschen gehört auch, daß man seine Meinung achtet.

Sind ehemalige Mitglieder der Schill-Partei Radikale bzw. Extremisten?

Pauli: Viele von ihnen kamen aus der CDU, manche sind auch wieder dorthin zurückgekehrt. So allgemein kann man das also bestimmt nicht sagen.

Allerdings entspricht dann der Ausschluß Brandenburgs und Bremens nicht dem eben von Ihnen formulierten Prinzip der Achtung vor der Gedanken- und Meinungsfreiheit.

Pauli: Deshalb hätte ich es gut gefunden, es den betroffenen Landesverbänden zu überlassen, die Fragen intern zu klären und sich eventuell neue Vorstände zu wählen.

Glauben Sie, die CSU hat den Vorwurf der „Unterwanderung von rechts“ ernst gemeint?

Pauli: Die CSU sucht nach Themen, die man gegen die Freien Wähler in Stellung bringen kann. Ich weiß selbst, wie stark hier in Bayern die Verflechtung zwischen Politik und Fernsehen ist – bekanntlich gingen die Vorwürfe ja von einer „Report“-Sendung aus München aus. Ich finde, wir hätten uns das so nicht aufdrängen lassen sollen. Denn man versucht  das, was uns ausmacht, gegen uns zu wenden: nämlich, daß wir wirklich sehr viel Meinungsfreiheit zulassen. Andererseits mußten wir aber auch klarmachen, wo die Grenzen sind. Ich glaube, das ist durch diesen Beschluß des Bundesvorstands geschehen.

Wenn Sie das Ganze selbst als eine Kampagne bewerten – dann haben sich die Freien Wähler doch vorführen lassen?

Pauli: Man muß das verstehen, die Freien Wähler sind Kommunalpolitiker und nicht gewöhnt, plötzlich so im Feuer zu stehen. Es gab sehr viele erschreckte Stimmen an der Basis, die gezeigt haben, daß die Leute bei uns mit so einer Situation noch nicht umgehen können. Aber sobald man die Macht einzelner gefährdet, beginnt das Polarisieren und ungehobelte Gegenreaktionen. Auch hier möchten die Bürger einen anderen Stil.

Das Selbstverständnis der Freien Wähler ist, die Macht der Etablierten einzudämmen und Anwalt der Bürger zu sein. Doch nun läßt man sich bei erster Gelegenheit selbst herumschubsen. Verlieren Sie damit nicht das Vertrauen der Bürger in Ihr zentrales politisches Versprechen?

Pauli: Ich kann nur wiederholen, die Freien Wähler bestehen auch nur aus ganz normalen Menschen mit all ihren Schwächen. Viele haben eben auch Angst, ihre bürgerliche Reputation zu verlieren. Ich sehe es allerdings als meine Aufgabe bzw. als Aufgabe aller, die bei uns an der Spitze stehen, dem nicht nachzugeben. Wir müssen lernen: Schlagzeilen sind Schlagzeilen und nicht automatisch die Wahrheit. Also sollten wir uns nach unseren eigenen Maßstäben richten und nicht nach denen, die andere aus möglicherweise durchsichtigen Gründen an uns herantragen.

Wie links bzw. rechts darf man bei den Freien Wähler sein?

Pauli: Links, rechts, darum geht es doch gar nicht, sondern darum, was die Wahrheit ist. Denn es gibt nur eine Wahrheit, und die wollen wir vertreten. Politik sollte aus Liebe zu den Menschen gemacht werden und aus keinem anderen Motiv.

Sie sagten zu Beginn, die Debatte um die Beteiligung der Freien Wähler an der Bundestagswahl sei noch nicht endgültig geführt. Der Landesverband Baden-Württemberg weigert sich anzutreten, Sie dagegen haben angedeutet, eine Teilnahme zu favorisieren.

Pauli: Ich habe gesagt, daß wir nach der Europawahl weitersehen werden: Wir sollten uns für den Fall, daß wir am 7. Juni erfolgreich sind, vorbehalten zu überlegen, diesen Elan dann auch für einen Anlauf im Bundestagswahlkampf zu nutzen. Ich möchte das nicht ausschließen, ebensowenig möchte ich es aber vorwegnehmen.

Hauptgegner der Freien Wähler bei der bayerischen Landtagswahl 2008 war die CSU. Wer wird es bei der Bundestagswahl sein? Die CDU?

Pauli: Wir vertreten unsere Themen und definieren uns nicht über andere.

Wenn die Freien Wähler in den Bundestag einziehen, mit wem wollen Sie koalieren?

Pauli: Diese Frage stellen Sie viel zu früh. Lassen Sie uns unsere Kräfte erstmal auf den 7. Juni konzentrieren. Danach sehen wir weiter.

 

Dr. Gabriele Pauli: ist Spitzenkandidatin der Freien Wähler (FW) für die Europawahl am 7. Juni ( www.gabriele-pauli.de ). Seit 2008 ist die ehemalige CSU-Landrätin von Fürth Abgeordnete des bayerischen Landtags und dort als einziger Vertreter der Freien Wähler Vorsitzende eines Ausschusses (Kommunales und Innere Sicherheit). Bekannt wurde die 1957 in Schweich an der Mosel geborene, aber in Franken aufgewachsene Diplom-Kauffrau und promovierte Politologin durch ihre Rolle beim Sturz des damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Bis 1990 war Pauli stellvertretende JU-Landesvorsitzende, danach Mitglied im CSU-Landesvorstand. 2007 verließ sie die Partei im Zwist und wandte sich ein halbes Jahr später den Freien Wählern zu. Obwohl deren bayerischer Landeschef Hubert Aiwanger Vorbehalte gegen ihre Aufnahme hatte, nominierten die FW sie nur ein weiteres halbes Jahr später zur Spitzenkandidatin der Bundeswählergruppe FW Freien Wähler Deutschland für die Europawahl. 

 

FW Freie Wähler Deutschland e.V.: (Logo oben) ist die im Januar 2009 in Würzburg gegründete Formation der Freien Wähler zur Teilnahme an der Europawahl ( www.fw-europa.eu ). Die FW Freie Wähler Deutschland ist keine Partei, sondern eine nach bayerischem Vorbild – wo die Freien Wähler 2008 mit 10,2 Prozent Stimmenanteil erstmals erfolgreich an einer überkommunalen Wahl teilgenommen haben – gestaltete unabhängige Wählergruppe, der ausschließlich natürliche Personen als Mitglieder beitreten können.

Kontakt und Informationen: Münchner Str. 15, 84359 Simbach am Inn, Telefon: 085 71 / 28 50.

Foto: Gabriele Pauli: „Es gibt nur eine Wahrheit, und die wollen wir vertreten“ nichts mehr zu melden.“

 

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