© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/09 15. Mai 2009

Friede, Freude, Fahnenflucht
Geschichtspolitik: Mit der Entscheidung, ein Denkmal für Deserteure zu errichten, folgt Köln dem Beispiel zahlreicher anderer Städte
Christian Vollradt

Mit der Entscheidung, ein Denkmal für Deserteure zu errichten (JF 20/09), fügt sich die Stadt Köln in die Reihe der deutschen Kommunen ein, die Fahnenflüchtige des Zweiten Weltkriegs pauschal würdigen.  Gegen den Beschluß des Stadtrats zur Errichtung eines solchen Denkmals hatte im November vergangenen Jahres nur die Pro-Köln-Fraktion gestimmt.

Die erste Initiative, für „Deserteure, ‘Wehrkraftzersetzer’ und Kriegsdienstverweigerer der Nazi-Herrschaft“ ein Denkmal zu errichten, hatte 2006 die PDS im Kölner Stadtparlament eingebracht. Vergleichbare Initiativen gab und gibt es in ganz Deutschland.  So ließ die Stadt Erfurt 1995 dem „unbekannten Wehrmachtdeserteur“ sowie „den Opfern der NS-Militärjustiz“ und „allen, die sich dem Naziregime verweigerten“ eine Stelengruppe aufstellen.

In Berlin erinnert seit 2002 das an einer ehemaligen Hinrichtungsstätte errichtete Mahnmal an 230 wegen Fahnenflucht oder Kriegdienstverweigerung erschossene Personen. Die Inschrift nimmt Bezug auf die 1997 im Deutschen Bundestag initiierte und fünf Jahre später beschlossene Rehabilitierung ehemaliger Wehrmachts-Deserteure.

Die Stadt Kassel gedenkt bereits seit 1987 offiziell mit einer das städtische Gefallenenehrenmal ergänzenden Tafel der „Kasseler Soldaten, die sich dem Kriegsdienst für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verweigerten und dafür verfolgt und getötet wurden“.

In Göttingen wurde am 1. September 1990 am Amtshaus eine Gedenktafel für Deserteure durch den damaligen Oberbürgermeister enthüllt. Die Steinrelieftafel trägt die Inschrift: „Nicht aus Furcht vor dem Tod, sondern aus dem Willen zu leben“; ein Zitat des Schriftstellers Alfred Andersch (1914–1980), der 1944 in Italien aus der Wehrmacht desertiert und zu den Amerikanern übergelaufen war. Die Tafel war auf Antrag von SPD und Grünen gegen die Stimmen von CDU und FDP gefertigt worden.

Da Fahnenflucht auch nach heutigem Recht eine Straftat ist, wurde auf einem ergänzenden Hinweisschild der Kreis der Adressaten des Gedenkens auf jene eingeschränkt, die „aus Gewissensgründen (...) während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ den Dienst an der Waffe verweigerten (siehe Foto).

Solche Einschränkungen wurden nicht überall vorgenommen. In Stuttgart weihte man 2007 im Beisein hochrangiger Kommunalpolitiker ein Denkmal „für alle Deserteure“ ein, wie es in einem Bericht der federführenden Initiative hieß. An der Zeremonie nahm symbolträchtig nicht nur ein ehemaliger Wehrmachts-Deserteur, sondern auch ein im Frühjahr 2007 fahnenflüchtig gewordener Soldat der amerikanischen Armee teil. Die Festrede hielt Manfred Messerschmidt, einst Leitender Historiker im Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr. Zu den Unterstützern des Denkmals gehörten unter anderem der Stuttgarter DGB sowie die örtliche „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen“ (DFG-VK) und die vom Landesamt für Verfassungsschutz als linksextrem eingestufte „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA).

Auch das 2005 in Ulm errichtete Denkmal beschränkt sich nicht auf  Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg. „Nicht das Desertieren ist verwerflich, sondern der Krieg“, lautete das Motto der Initiative ehemaliger Bundeswehr-Reservisten, die als sogenannte „Spätverweigerer“ das Vorhaben bereits 1988 in Gang gebracht hatten. Nach der ersten ungenehmigten Aufstellung vor der ehemaligen Ulmer Festung im Jahre 1989 mußte die Stahlkonstruktion sofort wieder abgebaut werden und ihr Dasein zunächst auf privatem Gelände fristen, da auch der Ulmer Stadtrat gegen die Aufstellung war. Erst 2003 konnten sich die Initiatoren „unter dem Eindruck des Irak-Kriegs“ mit ihrem Ansinnen gegen Widerstände durchsetzen.

In Potsdam befindet sich seit 2001 ein „Stein des Anstoßes“ zur Erinnerung an deutsche Deserteure, der ursprünglich für die Stadt Bonn bestimmt, dort aber nicht erwünscht war.

Seit 1999 steht ein den „Deserteuren des Zweiten Weltkrieges“ gewidmetes, offizielles Denkmal vor einer ehemaligen Kaserne in Marburg, das elf Jahre zuvor von der örtlichen „Geschichtswerkstatt“ im Rahmen einer „antimilitaristischen Provokation“ erstmals präsentiert worden war.

Gescheitert ist dagegen bisher die Aufstellung eines Deserteur-Denkmals in Braunschweig. Ein zuletzt Mitte der neunziger Jahre unternommener Versuch scheiterte, nachdem die inoffiziell aufgestellte Steinskulptur entwendet worden war. Auch die Städte Mannheim und Karlsruhe lehnten die Aufstellung eines als „Geschenk“ angebotenen Denkmals ab.

Foto: Deserteurs-Denkmal in Göttingen, Hinweistafel

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