© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/09 15. Mai 2009

Zeitschriftenkritik: Baltische Studien
Arndts Wiederbelebung
Daniel Kunze

Von Ernst Moritz Arndt (1769–1860), dem „Sänger der Deutschen“, hört man nur noch selten. Eine nennenswerte Arndt-Rezeption gab es in der alten Bundesrepublik nicht, obwohl die Biographie dieses Bonner Professors, „1848ers“ und poetischen Rhein-Wächters zur geschichtspolitischen Verwertung einlud. Die DDR hingegen vereinnahmte den größten Sohn der Insel Rügen für ihr „progressives Erbe“, was nicht ohne Gewaltsamkeit abging. Nach 1989, in der „weltoffenen“ Berliner Republik, mußte der militante Patriot und Gegner des „Kosmopolitismus“ – einer Ideologie, die nach Arndts Ansicht die Deutschen nur an ihrer nationalen Selbstbestimmung hindern sollte – endgültig in der Versenkung verschwinden.

Darum ist man den Baltischen Studien, den Pommerschen Jahrbüchern für Landesgeschichte, die man schon zu Arndts Zeiten las, und die kürzlich den 140. Band der Gesamtreihe ausliefern, dankbar für Wiebke Ottes Aufsatz „Europagedanke und Nationalismus bei Ernst Moritz Arndt im Vergleich mit August Wilhelm Schlegel“. Frau Otte widmete dem Thema bereits ihre Dissertation („Arndt und ein Europa der Feinde?“, Marburg 2007), die jedoch wesentlich präsentistischer („War Arndt ein Befürworter der Europäischen Union?“) ausgefallen ist als ihr Vergleich zwischen Arndt und Schlegel. Immerhin scheint sich mit ihren Sondierungen sowie mit einem im stets erfreulich üppigen Rezensionsteil der Baltischen Studien besprochenen Sammelband, der die Resultate eines Forschungsprojekts über „Deutschen Nationalismus – Europa – Transnationale Perspektiven“ in Arndts Werk präsentiert (Tübingen 2007), eine bescheidene   Wiederbelebung des Interesses im Vorfeld des 150. Todestages im Januar 2010 anzudeuten.

Ottes Aufsatz ist leider der einzige, der den Leser in diesem Band aus der Frühen Neuzeit hinausführt. Nach kurzzeitiger Öffnung für zeitgeschichtliche Themen widmen sich die meisten Beiträge in den Bänden seit 2005 nämlich der Geschichte und Landeskunde Pommerns zwischen 1300 und 1700. So auch hier wieder, mit Hans Georg Thümmels Streiflicht zur „Frühgeschichte der Greifswalder Universitätsbibliothek“, mit Heiner Lücks Suche nach den Verbindungen der Universität Wittenberg mit Pommern, oder der umfangreichsten Arbeit des Aufsatzteils, Stefan Sienells Mikroanalyse zur hinterpommerschen Agrargeschichte, die das „Kolberger Stadteigentumsdorf Bork und seine Einwohnerschaft am Ende des 17. Jahrhunderts“ unter die Lupe nimmt.

Hätte der Leser drei Wünsche frei und wäre die Redaktion eine gute Fee, dürfte er sich im nächsten Jahr freuen auf eine stärkere Berücksichtigung der pommerschen Geschichte zwischen 1871 und 1945, auf die Agrargeschichte Hinterpommerns in diesem Zeitraum und auf mehr Kulturgeschichte, insbesondere auf eine Musterung der literarischen Kultur.

Kontakt: Gesellschaft für Pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst (Hg.): Baltische Studien. Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte, Neue Folge Band 94, 2008, Verlag Ludwig, Kiel 2009, 279 Seiten, Abbildungen, 20 Euro

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