© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

Meister des deutschen Kartellrechts
Nachruf: Der Berliner TU-Professor Folkmar Koenigs ist kurz vor Vollendung seines 93. Lebensjahres verstorben
Jörg Fischer

Ende der sechziger Jahre erfährt die westdeutsche Hochschullandschaft tiefgreifende Umwälzungen. Neben organisatorischen Reformen und der Abschaffung von Studiengebühren gibt es von seiten der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition (Apo) weitergehende Forderungen, die das traditionelle deutsche Universitätssystem grundsätzlich in Frage stellen. Radikale Studenten stören Vorlesungen mißliebiger Professoren, manche werden öffentlich verleumdet und angegriffen.

In dieser Situation entstanden Gesprächskreise von betroffenen und um die Freiheit von Forschung und Lehre besorgter Professoren. Zuerst organisierten sie sich im damaligen West-Berlin, wo die Situation besonders dramatisch schien. Im Dezember 1969 gründete sich dort die „Notgemeinschaft für eine freie Universität“ (NofU), die im darauffolgenden Jahr zur West-Berliner Sektion des Bundes Freiheit der Wissenschaft (BFW) wurde. Zum BFW-Gründungskomitee gehörten der spätere bayerische Kultusminister Hans Maier, der Historiker Ernst Nolte oder der Leiter des ZDF-Magazins Gerhard Löwenthal.

Bei ihrer ersten Mitgliederversammlung am 9. Februar 1970 werden unter der Ägide des Historikers und SPD-Mitglieds Thomas Nipperdey renommierte Professoren in den NofU-Vorstand gewählt – darunter der Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Technischen Universität Berlin, Folkmar Koenigs, der nun am 9. Mai im Alter von 92 Jahren verstarb.

Geboren am 12. Juni 1916 in Düsseldorf, kam Koenigs später nach Berlin, wo sein Vater Staatssekretär im Verkehrsministerium war. 1934 legte er sein Abitur am humanistischen Zweig des Arndt-Gymnasiums ab. Die Berliner Koenigs­allee ist übrigens seit 1895 nach einem Mitglied der Familie Koenigs benannt, dem Bankier und Mitbegründer der Villenkolonie Grunewald, Felix Koenigs.

Folkmar Koenigs studierte Rechtswissenschaft in Freiburg, Königsberg, München und Berlin. 1938 wird er über das Thema „Die Haftung für Personenschäden im deutschen Verkehrsrecht“ promoviert. Der Wehrdienst, den er als Abwehroffizier leistet, und die Folgen des Zweiten Weltkrieges unterbrechen seine wissenschaftliche Laufbahn, so daß er erst 1950 seine zweite juristische Staatsprüfung ablegen kann. Koenigs wird Assistent und Habilitand am Lehrstuhl von Hans Würdinger an der Universität Hamburg. 1956 geht Koenigs zum Bundeswirtschaftsministerium nach Bonn, 1957 habilitiert er, 1958 wechselt er zum neuen Bundeskartellamt nach West-Berlin. 1964 wird Koenigs von der TU Berlin auf den Lehrstuhl für Handels- und Wirtschaftsrecht berufen, den er bis zu seiner Emeritierung 1981 tätig ist. In den folgenden Jahren hält Koenigs – trotz Krankheit – weiter Lehrveranstaltungen zum europäischen Wirtschaftsrecht ab. Seine Vorlesungsunterlagen waren so brillant, daß sie sogar von Juristen aus der Praxis vielfach genutzt wurden.

„Als einer der ersten Hochschullehrer gestaltete er seine Vorlesungen als skriptgestütztes Kolloquium. Neben seiner Lehrtätigkeit baute er die Rechtsbibliothek als Teil der Wirtschaftswissenschaftlichen Dokumentation auf. Sein neu geschaffenes Signatursystem gilt noch heute“, sagte TU-Professor Axel Hunscha anläßlich der Beendigung der Vorlesungen von Koenigs am 30. Mai 2008. Ursula Besser, langjährige Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, erinnert sich noch heute an dessen präzise Vorschläge zur Universitätsreform.

Koenigs, dessen Vater im Zuge der Aktionen gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 ins Konzentrationslager kam, hat im Laufe seines Lebens eine tiefe Abscheu gegen totalitäre Gesellschaftsmodelle entwickelt. „Die Tür seines Dienstzimmers bekam sicherheitshalber einen Metallbeschlag“, erinnerte sich Hunscha. 1971 berichtete sogar das US-Magazin Newsweek unter der Überschrift „The Painted Professor“ über eine seiner spektakulären Aktionen, die Koenigs nach einer gegen ihn gerichteten linksradikalen Gewaltattacke startete: „Von einem Anhänger der Roten Zelle Ökonomie (Rotzök) mit gelber Farbe überschüttet, flüchtete er nicht in häusliche Geborgenheit, sondern stellte sich am Kranzlereck der Öffentlichkeit mit einem Plakat um den Hals: ‘TU-Professor, den Kommunisten mißliebig’. Viel Feind, viel Ehr!“, so charakterisierte Hunscha Koenigs.

Da er ab 1987 kurze Zeit Mitglied der Republikaner war, verunglimpften ihn seine Gegner noch in den neunziger Jahren als „Fossil aus rechtsradikalem Urgestein“. Auch nach der Wiedervereinigung blieb Koenigs politisch aktiv. Als Europarechtsexperte kritisierte er den Maastricht-Vertrag, gab aber diesbezüglichen Klagen wenig Aussicht auf Erfolg: „Das Bundesverfassungsgericht kann nur prüfen, ob Verfassungsgrundsätze und Grundrechte der Bürger verletzt sind“, sagte er der JF (4/98). „Das Verfassungsgericht kann und darf nicht die politischen und wirtschaftlichen Vor- und Nachteile einer solchen Währungsunion beurteilen.“

Die später gescheiterte EU-Verfassung nannte er „unbrauchbar“ und einen „bewußten Etikettenschwindel zur Förderung der Wunschvorstellungen von Politikern“ (JF 33/04). Der Prodekan der Fakultät für Wirtschaft an der TU Berlin, Jürgen Ensthaler, würdigte Koenigs in einer Laudatio 2008 als einen „Meister des deutschen Kartellrechts“ – doch auch sein hochschulpolitisches Wirken sollte in Erinnerung bleiben.

Foto:  Folkmar Koenigs: Streitbar

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