© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/09 29. Mai 2009

„Ich stand neben Ohnesorg“
Der ehemalige Apo-Kopf und Dutschke-Weggefährte Bernd Rabehl war am 2. Juni 1967 Ohrenzeuge der Ereignisse
Moritz Schwarz

Herr Professor Rabehl, Sie waren auf der Anti-Schah-Demonstration in Berlin, bei der Karl-Heinz Kurras Benno Ohnesorg erschoß.

Rabehl: Ja, ich stand neben Ohnesorg, als Kurras und seine Kollegen mit haßverzerrten Gesichtern auf uns zugesprungen kamen, um Einzelne von uns herauszugreifen und zu verhaften. Da ich – im Gegensatz zum offenbar unerfahrenen Ohnesorg – diese Typen kannte, habe ich mich geduckt und bin in Richtung Krumme Straße weggelaufen. Ich habe natürlich nicht damit gerechnet, daß gleich geschossen werden würde, erst recht nicht auf einen so harmlosen, friedlichen Kerl wie Ohnesorg, der ja kein Linker war, sondern aus der evangelischen Jugend kam.

Woher wußten Sie, daß er Ohnesorg war?

Rabehl: Das habe ich erst hinterher erfahren, bis dahin war er für mich nur der junge Mann neben mir mit Oberlippenbart, rotem Hemd und mit dem Transparent „Freiheit für die Teheraner Uni“. Ich habe seine Ermordung auch nicht miterlebt, aber aus der Ferne den Schuß gehört. Ich konnte nicht fassen, daß geschossen wurde, und ging nicht von gezielten, sondern von Warnschüssen aus.

Sie sprechen von „Ermordung“, Kurras wurde aber wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Rabehl: Es war Mord, ich bin mir sicher. Immerhin hieß die Polizeiaktion „Füchse jagen“, und Ohnesorg wurde in den Hinterkopf geschossen! Ich habe später mit Otto Schily und Horst Mahler gesprochen, die den Prozeß gegen Kurras führten. Mahler riet mir davon ab, mich als Zeuge zu melden. Er befürchtete, daß mir – um mich als Zeugen unglaubwürdig zu machen – umgehend unterstellt würde, ich hätte Kurras angegriffen. So waren die Methoden damals.

Kurras stand im Sold der Stasi.

Rabehl: Ob die Stasi eine aktive Rolle bei diesem Geschehen spielte, wird sich noch herausstellen. Der Mann hat drei Jahre wegen Waffenbesitzes, vielleicht unter „Wehrwolf“-Verdacht, im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen gesessen. Unwahrscheinlich, daß er danach wirklich Kommunist geworden ist. Vielleicht haben ihn ja auch die Amerikaner aufgebaut. Immerhin hat er dem ZK der SED seine Dienste angeboten und ist an die richtige Adresse gelangt. Instinkt oder gute Beratung leiteten Kurras. So wurden Agenten plaziert. Immerhin waren die West-Berliner Behörden von Zuträgern für den Osten durchsetzt. Die Amerikaner wollten an die Quellen und wissen, wer ist wer. Doppelagenten erreichten Beweiskraft.

Kurras ein US-Agent?

Rabehl: Das würde immerhin die zahlreichen Widersprüche erklären, die entstehen, wenn Sie davon ausgehen, daß er tatsächlich ehrlichen Herzens Kommunist war. Die Amerikaner haben damals Leute gesucht, die sie für ihre Zwecke einsetzen können.

Haben Sie dafür irgendwelche Beweise?

Rabehl: Sagen wir so: Ich bin mir sicher, über Kurras liegen längst noch nicht alle Fakten auf dem Tisch.

Dann wäre noch unverständlicher, daß er geschossen hat und so den US-Bündnispartner West-Berlin belastete.

Rabehl: Kurras war am Ende des Weltkriegs quasi als Kindersoldat rekrutiert worden, ist dann Polizist geworden. Mit der Waffe ist er aufgewachsen, die Waffe war seine Emotion, war seine Männlichkeit. Nun sah er sich einer politischen Demonstration gegenüber: Er hatte den polizeilichen Auftrag, Provokateure festzunehmen oder sogar den „Fangschuß“ anzusetzen. Den Gegnern der amerikanischen Kriegspolitik sollte in West-Berlin eine Lektion erteilt werden. Im Eifer seiner „Mission“ ist er durchgedreht.

Dann würden die jüngsten Entdeckungen keine Rolle spielen.

Rabehl: Die Stasi hat beim Ohnesorg-Mord sicher keine Rolle gespielt. Die politische Dimension liegt im fragwürdigen Umgang der Justiz mit diesem Mord.

Sie waren ein enger Freund Rudi Dutschkes, wie hat er auf den Tod Ohnesorgs reagiert?

Rabehl: Er war schockiert. Und ich bin gespannt, was eines Tages noch über seinen Attentäter Josef Bachmann ans Tageslicht kommt. Im Gegensatz zu Kurras tippe ich bei ihm durchaus auf die Stasi als Drahtzieher. Denn es waren nicht nur die Verhältnisse in der BRD, auf die Rudis Revolution zielte, sondern auch auf die in der DDR.

 

Prof. Dr. Bernd Rabehl: Der emeritierte Berliner Soziologie-Professor war ehemals engster Vertrauter Rudi Dutschkes und einer der wichtigsten Theoretiker der Apo und des SDS. Geboren wurde er 1938 in Rathenow.

 

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