© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/09 05. Juni 2009

Mit Glasfaser gegen Wahlmüdigkeit
Europawahl II: Die Europäische Union und die Parteien reagieren hilflos auf die stetig sinkende Teilnahme an der Stimmabgabe zum Europaparlament
Hans Christians

Europa geht uns alle an“ oder „Europa-Wahl – Ziemlich egal“: Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich die Stimmungslage vor den Wahlen zum Europäischen Parlament am Sonntag. In den 27 Mitgliedsländern der Europäischen Union sind die Menschen aufgerufen, um über die Verteilung der 736 Abgeordneten im Straßburger Parlament zu bestimmen, 99 Sitze entfallen   auf Deutschland. Angesichts der immer größer werdenden Kompetenzen der europäischen Gremien müßte eine hohe Wahlbeteiligung eine Selbstverständlichkeit sein. Doch der Trend spricht dagegen, die Menschen lassen sich nach wie vor nur schwer für das Thema Europa begeistern. Im Durchschnitt ist die Wahlbeteiligung von knapp 63 Prozent beim Auftakt 1979 auf den Tiefstand von 45,6 im Jahr 2004 gesunken. In Deutschland lag die Zahl vor fünf Jahren gar nur bei schwachen 43 Prozent.

Für Rolf-Dietrich Krause, Leiter des ARD-Studios in Brüssel, ist dies bedauerlich, da er die Arbeit des Europaparlaments für besser als den allgemeinen Ruf hält. Dennoch: Auch für den Experten steht ein Negativrekord bei der Wahlbeteiligung zu befürchten. „Die Menschen haben einfach nicht das Gefühl, daß sie so veritabel Macht verteilen können wie beispielsweise bei den Bundestagswahlen. Insgesamt ist die EU ein schwer durchschaubares Konstrukt“, sagt Krause. Was für die Bundesrepublik gilt, gilt für die „jüngeren“ EU-Länder in besonderem Maße. So war die Beteiligung 2004 in einigen Ländern, die erstmals ihre Abgeordneten wählten, auffallend niedrig. In Polen und der Slowakei beteiligten sich nur rund 20 Prozent der Bürger.

Der slowakische EU-Parlamentarier Miroslav Mikolasik glaubt, daß den Menschen „das Gefühl fehlt, daß nur 14 nationale Abgeordnete ihre Interessen einflußreich vertreten können“. Zwar entsendet Deutschland wesentlich mehr Abgeordnete nach Brüssel, doch das Spitzenpersonal der etablierten Parteien ist traditionell eher unbekannt. Die CDU schickt mit Hans-Gert Pöttering einen erfahrenen Parlamentarier in die Wahlschlacht, besondere Bedeutung auf Bundesebene hat der spröde Niedersachse jedoch nie erlangen können. Der SPD-Frontmann Martin Schulz ist breiten Wählerschichten wohl nur durch seine primitiv-provokanten Attacken gegen den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi in Erinnerung geblieben, und die FDP-Spitzenfrau Silvana Koch-Mehrin ist zumindest auf den Wahlplakaten ihrer Partei flächendeckend präsent. Lediglich die Grünen sowie die Linkspartei schicken mit Reinhard Bütikofer und Lothar Bisky bundespolitische Prominenz ins Rennen. Aufgrund dieser jahrelangen Praxis ist in weiten Teilen der Bevölkerung der Eindruck entstanden, die Parteien entsandten lediglich die zweite Garnitur nach Straßburg beziehungsweise besserten politischen Auslaufmodellen deren Altersbezüge etwas auf. Zu der Personalknappheit gesellt sich eine bedenklich inhaltsleere Gestaltung der Wahlkämpfe.

Ein Blick auf die Portale und die Konzepte der Parteien verdeutlicht dies. Es ist viel davon zu lesen, daß man sich für mehr Transparenz, für mehr Demokratie einsetzen wolle. Die Frage, warum dies in den vergangenen Legislaturperioden unterblieben ist, bleibt unbeantwortet. Daß die Polit-Veranstaltungen in Brüssel und Straßburg praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden, hat nun auch die EU-Institutionen selbst auf den Plan gerufen. Mittels einer europaweiten Kampagne sollte den Bürgern Lust auf mehr Europa und eine Wahlteilnahme schmackhaft gemacht werden. Zu den Aktivitäten gehörten 54 Großinstallationen aus Glasfaser, die durch alle 27 Mitgliedsländer transportiert wurden und auf denen die Aussage „Europa – Deine Entscheidung“ zu lesen war. In der Bundesrepublik war diese Werbefläche in Stuttgart, Hamburger, Nürnberg, Berlin und München zu sehen. In anderen Städten wurden „Europaboxen“ aufgebaut, in denen die Politinteressierten eine Videobotschaft aufzeichnen konnten, die nach der Wahl an die deutschen Abgeordneten ausgehändigt werden soll. In Kooperation mit TV- und Rundfunkanstalten wurden außerdem Werbefilme mit Prominentenbeteiligung geschaltet

Daß die Europawahl allen anderslautenden Aussagen zum Trotz nur zweite Wahl ist, zeigt sich an den Wahlkampf-etats der deutschen Groß-Parteien. Die Union plant für die Bundestagswahl im Herbst mit einem Budget von 20 Millionen Euro, für die Straßburger Kampagne stand dagegen nicht einmal die Hälfte zur Verfügung, und die Zahl der öffentlichen Großkundgebungen hielt sich in engen Grenzen. Und selbst die Linkspartei, die mit Kritik an den undemokratischen Strukturen in Brüssel nicht zimperlich ist, hat nur einen vergleichsweise geringen Teil ihres Jahres­etats investiert. Angesichts dieser Tatsache ist es kein Wunder, daß die Europawahl allenfalls als Testlauf für Berlin taugt.

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