© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/09 19. Juni 2009

Das Hexeneinmaleins des Dollar
Währungspolitik: Der Euro kann wegen interner Probleme nicht vom Niedergang der US-Währung profitieren
Wilhelm Hankel

Am 15. August 1971 hielt US-Präsident Richard Nixon seine wohl folgenreichste Rede an die Nation. Darin erläuterte er nicht nur seine neue Wirtschaftspolitik – er verkündigte zugleich, daß die US-Währung ihre Bindung an das Gold aufgebe. Bis dahin war der Wert auf zuletzt 42 Dollar je Feinunze festgelegt gewesen, doch nun begann die Talfahrt des Greenback. Damals zahlte ein Deutscher umgerechnet etwa 1,80 Euro für den Dollar. Im Sommer 2008 war der Dollar zeitweise nur noch 63 Euro-Cent wert. Nach einem kurzen Zwischenhoch von 81 Euro-Cent waren es vergangene Woche lediglich 70 Euro-Cent. Die US-Währung hat in 38 Jahren für Ausländer über 60 Prozent an Wert verloren. Je Feinunze waren Anfang Juni bereits über 950 Dollar zu zahlen.

Das US-Haushaltsdefizit lag im Mai bei 189,65 Milliarden Dollar – das kumulierte Budgetminus im laufenden Fiskaljahr erreicht damit den Rekordwert 991,95 Milliarden Dollar. Das chronische Defizit in der US-Handelsbilanz ist allein im April – trotz der krisenbedingten Konsumflaute – auf 29,2 Milliarden Dollar gestiegen. Und angesichts der milliardenschweren Konjunktur- und Rettungspakete sowie der lockeren Geldpolitik der US-Notenbank (Fed) müßte der Dollar eigentlich weiter fallen.

Doch der Euro hat innerhalb von zehn Jahren nur um gut 18 Prozent zum US-Dollar aufgewertet. Davor lag eine beispiellose Dollar-Odyssee – einige Zeit ging es wieder mal rauf, im Endresultat aber runter. Dies geschah jedoch die längste Zeit gegenüber einer Weltwährung, die es nicht mehr gibt: der auf dem Altar EU-Europas geopferten D-Mark. Das wirft die Frage auf: Wie konnte die Welt dieses Hexeneinmaleins verkraften? Wie Europa? Und wie der Noch-Export-Weltmeister Deutschland?

Die Weltwirtschaft hat sich vor der in keinem Index ausgewiesenen und in keinem Lehrbuch behandelten externen Inflation ihrer Leitwährung auf ebenso pragmatische wie abenteuerliche Weise geschützt: durch die folgenschwerste Kreation ihrer Finanzmärkte, die sogenannten Derivate. Über die darin eingebauten „Währungswetten“ konnte sich jeder Exporteur, Importeur oder Auslandsinvestor gegen die seine Kalkulation durchkreuzenden Währungsschwankungen schützen: sich selbst versichern. In der jetzigen Weltfinanzkrise sind die an diesen Märkten weit über ihren realen Bedarf hinaus, in unvorstellbarem Billionen-Umfang spekulativ abgeschlossenen Risikokontrakte mit hörbarem Knall geplatzt. Der „Crash“ an den Derivate-Märkten hat die großen Finanzhäuser kalt erwischt. Er hat sie zu armseligen Bittstellern der bisher von ihnen hochmütig bis mitleidig belächelten Regierungen gemacht. Ohne das von den Regierungen mobilisierte Geld der Steuerzahler kann die westliche Hochfinanz nicht überleben.

Ihr Traum vom Reichwerden durch Spekulation, ohne harte Arbeit, wagnisbereites Investieren und reale Wertschöpfung hat sich als der größte Kreditbluff (wenn nicht Betrug) der Menschheitsgeschichte entlarvt. Ohne das ehrliche Geld des Sparers und die Kontrolle des Kreditgeschäfts der Banken durch Zentralbanken und staatliche Kreditaufsicht wird es in Zukunft keine Aktivitäten an den globalen Finanzmärkten geben. Die Bankwelt wird sich von ihrem selbst verschuldeten Imageschaden so bald nicht erholen. Eine freiwillige Selbstkontrolle durch von ihr bezahlte Rating-Agenturen und Unter-sich-Absprachen à la Basel I und II wird es in Zukunft nicht mehr geben.

Gelitten hat zugleich der Ruf der ökonomischen Wissenschaft. Ihre tonangebenden Exponenten haben vor 38 Jahren die Regierungsbeschlüsse zur Aufgabe der festen Wechselkurse in US-Dollar (und damit indirekt zum Gold) mehrheitlich begrüßt und die Auflösung des bis dahin geltenden Weltwährungssystems von Bretton Woods als Sieg des Marktes über die Zwangsbewirtschaftung der Währungen durch den Staat begeistert gefeiert. Der Gedanke, daß Währungen (ein öffentliches Gut!) etwas anderes sind als frei handelbare Aktien, Rohstoffe oder Schweinebäuche kam ihnen nicht. Ausgestattet mit diesen „Einsichten“ in die Zusammenhänge zwischen Währungen, Finanzmärkten und Realwirtschaft mußten sie den Zusammenbruch dieser Finanzordnung – er hatte sich lange angekündigt – ebenso übersehen wie fehldeuten.

Noch kurz vor der Subprime-Krise sowie der IKB-Pleite (JF 34/07) und sogar vor dem Lehman-Brothers-Kollaps attestierten bekannte Professoren und Unternehmensberater der Bankwelt aufgrund ihrer Buch- und Spekulationsgewinne Leistungsstärke und höchste Bonität – statt sie wegen unseriöser Luftbuchungen zu brandmarken. Den Crash sahen nur Außenseiter kommen (JF 45/07). Sie wurden von Insidern und Fachpresse entweder als Panikmacher verketzert oder totgeschwiegen, die öffentlichen Medien boykottierten sie (JF 43/08).

Und Europa mit seinem Währungsexperiment, dem Euro? Es hat in dieser Krise seinen Anspruch (und seine große Hoffnung) verspielt, mit der Gemeinschaftswährung den US-Dollar abzulösen. Von den 16 EU-Staaten, die ihn benutzen, stehen zwölf entweder dicht vor dem Staats- und Bankenbankrott oder mittendrin. Und warum? Weil sie den Euro entgegen den Bestimmungen des EU-Vertrags nicht als Verpflichtung zur Währungsstabilität und „Konvergenz“ mit den stabilitätsgerechten Maßnahmen ihrer Währungspartner verstanden haben, sondern als Blankoscheck für das Gegenteil: hemmungsloses Über-die-Verhältnisse-Leben und ungebremste Auslandsverschuldung. Jetzt fließt dieses Auslandsgeld ab, und diese Staaten bilden „zweite Islands“ mitten in der Euro-Zone. Jetzt soll ihnen die Europäische Zentralbank (EZB), die das nicht verhindern konnte, im Verein mit den vier seriösen Euro-Staaten (Deutschland, Niederlande, Österreich und Finnland) aus der Patsche helfen. Doch wie und womit? Denn Deutschlands gigantische Exportüberschüsse, die bislang den Euro über Wasser gehalten haben, sind seit diesem Jahr Vergangenheit.

Deutschland und Europa hätten sich und der Welt die schlimmsten Krisenfolgen ersparen können, wenn sie an der D-Mark festgehalten hätten. Hunderte von Milliarden Krisen-Fluchtgelder wären im „sicheren DM-Hafen“ vor Anker gegangen und nicht als Nachfrage verschwunden. Die Bundesregierung hätte genügend Privatinvestoren (ehedem „Heuschrecken“) gefunden, die ihr die Sanierung von Commerzbank und HRE oder Opel & Co. abgenommen hätten. Jetzt büßen alle für das, was ihnen Politiker „des kurzen Verstandes und der raschen Hand“ (Friedrich Nietzsche) vor zehn Jahren angetan haben.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel leitete unter Karl Schiller die Währungsabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums und war Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Er veröffentlichte zuletzt das Buch „Die Euro-Lüge und andere volkswirtschaftliche Märchen“.

Foto: Dollar-Zeichen im Meßschieber: Das US-Haushaltsdefizit erreicht im laufenden Fiskaljahr schon jetzt den absoluten Rekordwert von 991,95 Milliarden Dollar

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