© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/09 19. Juni 2009

Antimaterie, Gottesteilchen und die Rache des Galileo
Fiktionen aus dem aktuellen Kinofilm „Illuminati“ und ihr realistischer Ansatz nach den Gesetzen der Physik
Michael Manns

Die Physiker vom weltgrößten Teilchenbeschleuniger CERN bei Genf sind keine weltfremden Tüftler, sondern haben durchaus ein Händchen für Öffentlichkeitsarbeit: Im Februar empfingen sie Filmstar Tom Hanks und feierten den Besuch unter dem Motto: „Hollywood comes to CERN“. Und eine Drehgenehmigung für den Film „Illuminati“ gab es vorher auch. Außerdem setzten sich die Physiker durchaus ernsthaft mit dem naturwissenschaftlichen Wahrheitsgehalt der aktuellen Dan-Brown-Verfilmung auseinander. Was ist also dran an dem Rachefeldzug gegen den Vatikan mit einer Antimaterie-Bombe?

Die Atomforschungsanlage CERN hat einen Beschleunigerring mit einem Umfang von 27 Kilometern, der sich in einem Tunnel rund hundert Meter unter der Erde befindet (JF 37/07). Die rasanten Kamerafahrten durch die mannshohen Röhren sind deshalb real. Und die CERN-Forscher stellen auch Antimaterie her. 1995 wurden erstmals Antiwasser-Atome fabriziert, später Millionen davon. Aber das ist eine äußerst geringe Menge. So benötigte man 10 Billiarden Mal diese Menge, um auch nur einen Luftballon mit Antiwasser-Gas zu füllen. Die Herstellungszeit würde mehrere Milliarden Jahre dauern.

Schwierig ist die Aufbewahrung von Antimaterie, denn jeder Kontakt zwischen einem Teilchen und seinem Antiteilchen führt zur Zerstörung („Annihilation“). Sind die Antiteilchen elektrisch geladen, kann man sie in sogenannten elektromagnetischen Fallen aufbewahren. Stoßen sich die Ladungen gegenseitig ab, ist es nicht möglich, größere Mengen „gefangenzuhalten“. Und ist die Ladung neutral, kann man sie überhaupt nicht magnetisch einschließen. Im Film ist der Zylinder mit Antimaterie versteckt. Dieser ist batteriebetrieben, um die Antimaterie unter Verschluß zu halten. Um das aber zu leisten, bedarf es gewaltiger Energiemengen, die Akkus nicht leisten könnten.

Im Film wird von „brennbarer“ Antimaterie und vom „Feuer“ der Energie gesprochen. Diese Metaphernwahl ist grenzwertig. Feuer beschreibt eine chemische Reaktion (mit Sauerstoff). Die Prozesse bei den Materie-Antimaterie-Reaktionen spielen sich auf viel tieferer Ebene ab – man spricht besser von „Annihilation“ (Vernichtung von Elementarteilchen).

Der Filmdialog wechselt schnell von der Antimaterie zu den „Gott-Partikeln“. Im Weltbild der Teilchenphysik fehlt ein entscheidender Baustein: das Higgs-Boson. Dieses wird bisweilen als „Gottesteilchen“ bezeichnet. Warum? Es soll den einzelnen Teilchen die jeweilige Masse verleihen. Das Higgs-Boson wurde aber noch nicht gefunden. Große Hoffnung setzt man auf den neuen Beschleuniger von CERN. Zudem: Das Higgs-Boson hat mit Antimaterie zunächst wenig zu tun.

Im apokalyptischen Finale des US-Action-Films detoniert in einer grellen Explosion wenige hundert Meter über dem Vatikan die Materie-Antimaterie-Mixtur. Die Sprengkraft soll etwa einem Viertel der Hiroshima-Bombe entsprechen. Bei dieser Annihilation würde soviel elektromagnetische Strahlung frei, daß die Umstehenden verbrannt und verstrahlt würden. Bei einer Sturmböe, die durch den Petersdom fegt, würde es keinesfalls bleiben.

Der Film darf Fakten ignorieren, er erzählt eine fiktive Geschichte. Wichtiger sind Niveau und Botschaft. Darin geht es um das Verhältnis zwischen Glauben und Wissenschaft. Ein Verhältnis, das die europäische Geistesgeschichte geprägt hat – worauf im Film mit Galilei Bezug genommen wird. Aber leider gelingt es nicht, dessen Konflikt mit der Kirche angemessen darzustellen. Denn es stehen nicht einfach zwei Welten gegenüber: religiöse Finsternis versus strahlendes Licht der Vernunft. Dieses Verhältnis ist komplizierter, und Atheismus und Wissenschaft sind keine eineiigen Zwillinge, wie man uns seit dem 19. Jahrhundert suggerieren will. Galilei focht mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit. Die Kirche hingegen verlangte von ihm nur, er solle behaupten, sein Planetenmodell sei lediglich eine denkbare, mathematische Hypothese – ein heutzutage gängiger wissenschaftstheoretischer Ansatz. Ironie der Geschichte: Galilei sollte auch wieder irrren. Denn seine Planetenbahnen sind keine Kreise, sondern Ellipsen, wie Kepler herausfand.

Aber das ist heute nicht mehr das Problem. Das Verhältnis von Religion mit ihren ethischen Normen und Naturwissenschaft wird anders diskutiert. Zum Beispiel am Recht auf Leben, in der Neurobiologie, Gentechnik, bei der Stammzellenforschung. Oder an staatlichen Vorgaben oder den Interessen der Geldgeber. In einem Nebensatz der Physikerin Vittoria Vetra klingt das an, als sie sagt, sie hätten Angst gehabt, daß die Antimaterie in die Finger von Energiekonzernen käme ...

So bleibt es dabei: „Illuminati“ ist eine wenn auch spannende Schnitzeljagd, vollgepumpt mit einem Sammelsurium von Geheimgesellschaften, Verschwörungstheorien, Mythen, religiöser Symbolik, mittelalterlichen Bauten, Intrigen und Mord in sakralen Hallen und an heiligen Plätzen. „Illuminati“ ist das Produkt einer effizienten Traumfabrik und Gelddruckmaschine. Hollywood-Kirmes eben.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen