© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

Die Realität wird ausgeblendet
Wahlparteitag: Die Linkspartei gibt sich von ihrem schlechten Europawahlergebnis unbeeindruckt und kämpft für die reine Lehre
Christian Dorn

Auf dem Weg zum Wahlparteitag der Linkspartei in Berlin verwittern die letzten Plakate von der Europawahl. Auf denen hatte die Linkspartei in populistischer Manier „Millionäre zur Kasse“ gebeten. Einige von diesen vermuteten „Millionären“ finden sich auch im Präsidium des Parteitages wieder, etwa Diether Dehm, der Landesvorsitzende der Partei in Niedersachsen, Gregor Gysi, Fraktionschef im Bundestag, oder Parteichef Oskar Lafontaine. Freilich wäre hier zwischen den verschiedenen Besitzarten (Grundbesitz, Barvermögen, Einkommenshöhe) zu unterscheiden – also genau jene Differenzierung erforderlich, mit der es die Partei lieber nicht so genaunehmen will.

Ausweis dessen ist am zweiten Tag die Diskussion über die Abschaffung von Hartz IV. Ein Delegierter des Realo-Flügels tritt da an das Saalmikrofon und erinnert, daß die Partei seit Jahr und Tag diese Forderung wiederhole, bis heute aber keine sozialpolitische Alternative hierfür erarbeitet habe. Doch natürlich kann, wer die Gesellschaft verändern will, sich mit solchen Detailfragen nicht aufhalten, weshalb auch dieser Einwurf „links“ liegengelassen wird.

In der Tat ist es so, wie der Journalist Jan Fleischhauer schreibt: Der Möglichkeitssinn ist dem Linken essentieller als der Wirklichkeitssinn, würde der Linke doch andernfalls das Zutrauen „in seine Gestaltungsmacht verlieren“. Beispielhaft hierfür ist Gysi, der das unerwartet schlechte Abschneiden der Partei mit 7,5 Prozent bei der Europawahl mit „irgendwelchen Gründen des Zeitgeists“ erklärt, dem zufolge die Konservativen und Liberalen etwas von Wirtschaft verstünden – eine Wahrnehmung, die für den beschlagenen Advokaten schlicht „unzulässig“ und „nicht wahr“ sei. Berauscht vom eigenen Avantgarde-Bewußtsein verkehrt er die derzeitigen Verhältnisse und bescheinigt der SPD, „im Augenblick“ für die Linke nicht koalitionsfähig zu sein.

Ebenso absurd muten die Töne der Neostalinistin Sahra Wagenknecht an, die ausgerechnet Andrea Nahles und Co. als Gegner bezeichnet, „mit denen keine linke Politik zu machen ist“. Ihr Fazit: „Es braucht viel mehr französische Verhältnisse!“. Das Gejohle hierauf im Saal ist stärker als bei der vorangegangenen Rede Lafontaines. Vor dieser hatte kurz der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf das Wort ergriffen und die aus seiner Sicht historische Gesetzmäßigkeit verdeutlicht, mit der die Linke heute nach der Macht im Bund verlangt. Offensichtlich ist für Wolf die Parallele zu der Machtübernahme in Berlin, schließlich sei bereits damals ein Bankenskandal Ausgangspunkt gewesen für eine rot-rote Regierungsbildung.

Dies auch auf Bundesebene Wirklichkeit werden zu lassen, beginnt Lafontaine seinen Vortrag. Was zunächst als ein Plädoyer für die „Aufrechterhaltung des Fünf-Parteiensystems“ beginnt, zeigt am Folgetag deutlichere Konturen – gemäß dem Diktum Walter Ulbrichts, wonach es demokratisch auszusehen, man aber alle Fäden in der Hand zu halten habe. Ausdruck dessen ist ein Polit-Theaterstück, das auf dem Podium spielt. Dort wird die „Mitte“ lächerlich gemacht, in der sich jeweils in Gelb, Grün, Schwarz und Rosa gewandete Figuren drängeln. Schließlich, als der Moderator des Stücks – im roten Gewand – den anderen „die Wahlkampfmittel abgenommen“ hat, scheucht er diese mit symbolischen Fußtritten von der Bühne. Der darauf einsetzende Applaus erinnert unwillkürlich an die Ausführungen des Parteivorsitzenden, der zuvor ein Verbot für Parteienspenden von großen Unternehmen, Banken und Versicherungen gefordert hatte. Es ist nur einer der vielen Punkte, die vor allem auf eine grundlegende Veränderung der Eigentumsverhältnisse abzielen, welche die Grundursache der aktuellen Wirtschaftskrise seien.

So postuliert Lafontaine, daß Privateigentum „nicht Grundlage einer freien und gerechten Wirtschaftsordnung sein“ könne. Entsprechend erfordere die Bewältigung der Finanzkrise die „Verstaatlichung des Bankenwesens“. Lafontaine sieht darin – nach 1945 – nunmehr den zweiten Versuch auf deutschem Boden, die „Wirtschaft zu demokratisieren“, jetzt, da der Finanzkapitalismus die „Demokratie zerstört“ habe. Die aktuelle Krise biete daher die „Chance, die Eigentumsverhältnisse grundlegend zu ändern“. So sei es „das mindeste“, den Beschäftigten von jenen Betrieben, die Steuergelder zur Sanierung erhalten, sowie den Arbeitnehmern, die mit Lohnverzicht zum Überleben des Unternehmen beitrügen, automatisch Betriebsanteile zu übertragen. Bemerkenswert ist Lafontaines wirtschaftspolitisches Verständnis auch hinsichtlich der Lohnkosten: „Wer die Lohnquote senkt, macht den Staat handlungsunfähig!“ Dies hindert den Napoleon von der Saar aber nicht daran, einen Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde zu fordern. Außerdem sollen mal einfach so 200 Milliarden Euro ausgegeben werden zur Schaffung von zwei Millionen Arbeitsplätzen, die Hälfte davon im öffentlichen Sektor.

Foto: Lafontaine während seiner Rede auf dem Parteitag: „Chance, Eigentumsverhältnisse zu verändern“

 

Arbeit der JF behindert

Die Linkspartei und die Jusos haben am Wochenende die Berichterstattung der JUNGEN FREIHEIT massiv behindert. Während die Jusos einem JF-Mitarbeiter den Zutritt zu ihrem Bundeskongreß verweigerten, erteilte die Linkspartei unserem Autor am zweiten Tag ihres Parteitages Hausverbot. In beiden Fällen wurden politische Gründe angeführt. Die JF prüft daher juristische Schritte gegen diese Einschränkung der Pressefreiheit. (JF)

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