© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

„Nieder mit dem Kapitalismus“
Bildungsstreik: Mehr als einmal haben Schüler und Studenten in der vergangenen Woche die Ziele ihrer Proteste aus den Augen verloren
Hinrich Rohbohm

Ich würde da nicht hingehen“, sagt Kevin. Der 15jährige war zusammen mit seinem Freund zum Campus der Hamburger Universität gegangen, um am Bildungsstreik teilzunehmen. Es war die Gewalt, die ihn wieder zum Gehen veranlaßte. Die Demonstration war eskaliert – nur kurz, nur wenige waren beteiligt. Für Kevin Anlaß genug, die Demonstration wieder zu verlassen. Für Hamburgs Medien kein Anlaß, auf den Vorfall näher einzugehen. „Alle sind ganz friedlich“, ist die Reporterin eines Hamburger Radiosenders durch den Äther zu vernehmen.

In der Tat blieb Deutschland beim bundesweiten Bildungsstreik von größeren Gewaltexzessen verschont. In rund 60 Städten der Bundesrepublik sowie im europäischen Ausland gingen Tausende Schüler und Studenten auf die Straße, um für bessere Bildungsbedingungen zu demonstrieren. Allein in Deutschland waren es mehr als 250.000 Demonstranten.

In der Elbmetropole sind es rund 12.000. Die meisten von ihnen kommen in friedlicher Absicht, bringen ihren Frust auf T-Shirts und Transparenten zum Ausdruck, zeigen ihren Unmut über die Schul- und Hochschulpolitik der Regierungen. Etwa darüber, daß bei den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen zu wenig Wahlfreiheit herrscht. Gegen Studiengebühren. Oder  daß Schulen geschlossen und mit anderen zusammengelegt werden. „Wir müssen mitten im Abitur den Schulstandort wechseln, könnt ihr euch vorstellen, was das für ein Streß ist?“ schreit eine Schülerin bei einer Zwischenkundgebung am Hauptbahnhof ins Megaphon. Darüber hinaus regt sich Protest über Stundenausfall, fehlende Unterrichtsräume und das Abitur nach zwölf Jahren.

„Bildung für alle und zwar sofort“, skandieren die Demonstranten, unter die sich wie schon beim Schulstreik im vergangenen Jahr zahlreiche Linksextremisten gemischt haben. Von der Universität aus führt der Demonstrationszug vorbei an der malerischen Kulisse der Alster. Alles ist friedlich. Auch auf der Zwischenkundgebung am Hauptbahnhof. Doch auf dem Rathausmarkt kommt es zu ersten Provokationen. Einige der sognannten „Autonomen“ durchbrechen die Bannmeile, wollen auf das Rathaus zustürmen. Die Polizei drängt sie zurück, läßt die Gewalttäter nicht hindurch. Die Vorfälle von Hannover, als Linksextremisten beim Schulstreik im November vorigen Jahres fast den niedersächsischen Landtag gestürmt hatten, sollen sich in Hamburg nicht wiederholen. Flaschen fliegen in Richtung Polizei. Doch sie sind nur aus Plastik, stellen keine unmittelbare Gefahr für die Beamten dar.

„Ole, komm’ raus, wie haben dir was zu sagen“, rufen die Demonstranten in Richtung Rathaus. Dort rührt sich nichts. Es ist eine paradoxe Situation. Zahlreiche linksalternative Gruppen, die sich unter den Demonstranten befinden, protestieren praktisch gegen sich selbst. Schließlich sitzen die Grünen mit an den Tischen der Entscheidungsträger, bilden in Hamburg seit dem Frühjahr 2008 eine Koalition mit der CDU.

Eine Situation, die in anderen Bundesländern ähnlich ist. Denn auch wenn die Regierungen  anderer Bundesländer keine grüne Couleur aufweisen: Die heutige Situation an Deutschlands Schulen und Hochschulen ist nicht zuletzt das Produkt der Achtundsechziger-Generation und ihrer sozialistischen Ideologie. Es mag eine Ironie der Geschichte sein, daß ausgerechnet Organisationen wie „solid“, Antifa, SDS, Jusos oder „Revolution“ gegen ihre geistigen Väter zu Felde ziehen, um auf den bildungspolitischen Scherbenhaufen der einstigen Revoluzzer-Generation aufmerksam zu machen. „Bildung krepiert, weil Dummheit regiert“, heißt es wie zum Hohn auf einem Transparent. Zugleich nutzen sozialistische Gruppierungen den Unmut um die Bildungsmisere, um für ihre Zwecke Stimmung zu machen. „Eine Schule für alle“, stimmen sie an: so wie einst in der DDR. „Nieder mit dem Kapitalismus“, kommen plötzlich wie auf Bestellung Rufe aus dem autonomen Block und den Lautsprecherwagen hinzu. Die Masse plappert nach: dumpf, bereit, so ziemlich allen zumeist politisch sehr einseitigen Forderungen zu folgen, die von Vorsprechern ins Megaphon gebrüllt werden. Es ist mehr Party statt Politik, statt Selterwasser wird Flaschenbier gereicht. Dazu laute und schrille Musik. Am Abend steigt für die Massen die richtige Party. Belohnung für  „Zivilcourage“.

 Dabei ist längst nicht jedem Demonstrationsteilnehmer klar, wofür er durch die Straßen zieht. „Für eine bessere Bildung“: Das sagt noch so ziemlich jeder. Doch bei der konkreten Benennung von Mißständen hapert es. „So gut kenne ich mich da nicht aus“, meint ein 18 Jahre alter Gymnasiast. „Am besten mal die Verantwortlichen fragen.“ Dergleichen Antworten von Protestlern sind keine Seltenheit. Nahezu gleichgültig nimmt man die Argumente linksradikaler Kräfte im Demonstrationszug auf: Masse, die sich nur allzu leicht manipulieren läßt – und für andere Zwecke instrumentalisiert werden kann.

Wie das geht, wurde unter anderem bei den Demonstrationen in Berlin deutlich. Hier wurde die Bildungskritik in allgemeine Kapitalismuskritik umgemünzt. Etwa 120 Protestler besetzten zwei Bankfilialen. Die Polizei sah keine andere Möglichkeit, als beide Kredit­institute zu schließen. Auch in anderen Städten waren Banken blockiert worden. In Göttingen und Heidelberg wurden Institutsgebäude besetzt. In Mainz besetzten Demonstranten den rheinland-pfälzischen Landtag. Unter anderem wurden Wände beschmiert und Teile einer Ausstellung zum 20. Jahrestag des Mauerfalls gestohlen.

Im Vorfeld des Bildungsstreiks hatten der Ring Christlich Demokratischer Studenten und die Liberale Hochschulgruppe Kritik geübt und vor einer politischen Instrumentalisierung der Schüler und Studenten durch linke Gruppen gewarnt.

Foto: Schüler- und Studentendemonstration in Hamburg: Eine Party zur Belohnung so bedaure ich das sehr und entschuldige mich ausdrücklich."

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