© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/09 03. Juli 2009

Erziehung und Bildung
Flucht vor dem Staat
Dieter Stein

Anfang des Jahres sorgte ein Brief von 68 Schuldirektoren aus Berlin-Mitte für Schlagzeilen. Das staatliche Schulsystem steht vor dem Bankrott, zuerst in den Problembezirken: Kriminalität, 90 Prozent Schüler mit Migrationshintergrund und 65 Prozent sozial Benachteiligte sind der Sprengstoff. Die Gebäude verkommen, es fehlt an allen Ecken und Enden. Wie reagieren die Eltern darauf? Viele, die ihren Kindern eine gute Ausbildung sichern und sie vor negativen Einflüssen schützen wollen, ziehen in Stadtteile, wo das ethnisch-soziale Umfeld intakt ist, oder nehmen notfalls lange Fahrten der Kinder in Kauf, damit diese eine passable Schule besuchen können. Im Schuljahr 2007/08 ging jeder dreizehnte Schüler, insgesamt über 900.000, auf eine Privatschule, mehr als doppelt so viele wie noch 1992. Ein rasanter Anstieg, der auf die besorgniserregenden Zustände im staatlichen Schulwesen weist.

Anfang dieser Woche führte das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (IDAF) in Berlin ein Symposion zum Thema „Bindung, Bildung, Innovation“ durch (siehe Bericht auf Seite 4). Psychologen warfen dort einen kritischen Blick auf (staatliche) Fremderziehung und wiesen mittels neuester Forschungsergebnisse nach, welche Bedeutung die möglichst lange und enge Betreuung durch die Mutter für die geistige und seelische Entwicklung der Kinder hat. Kurz gesagt: Je länger Kinder im Vorschulalter bei einer treusorgenden Mutter bleiben, um so besser.

Ein amerikanischer Soziologe, Patrick Fagan, ließ die deutschen Zuhörer zudem in die Zukunft blicken, als er die Entwicklung der Zahlen im Bereich „Homeschooling“ in den USA nannte: Über 1,5 Millionen amerikanische Kinder werden von ihren Eltern zu Hause unterrichtet. Die Zahlen steigen permanent. Überdurchschnittlich viele Kinder aus gutverdienenden Familien leisten sich die häusliche Erziehung.

Ist das Ganze ein Modell für Deutschland? Ist die Auflösung der staatlichen Schulen hinzunehmen und die Privatschule der Ausweg? Gesamtgesellschaftlich gesehen, ist der Niedergang des einst hervorragenden staatlichen deutschen Schulwesens eine Katastrophe. Linke Bildungsreformen, Laissez-faire-Pädagogik, Gesamtschulexperimente, Absenkung von Standards, das Schlechtreden des dreigliedrigen Schulsystems, der Gleichheitswahn haben die Fundamente und das Vertrauen in dieses Schulsystem zerstört. Hier ist eine 180-Grad-Wende notwendig, um es zu retten.

Auf der anderen Seite ist es das gute Recht verantwortlicher Eltern, die es vermögen, ihre Kinder nicht einem maroden Schulsystem auszuliefern, sondern Eigeninitiative zu ergreifen. Ein Staat vergeht sich an der kleinsten Zelle der Nation, der Familie, wenn er ihr die Autonomie über die Erziehung streitig macht in der Weise, daß er die Kinder nicht nach oben, sondern nach unten zieht. Und das geschieht in steigendem Maße an staatlichen Schulen, die seltener Ort der Bildung, sondern zunehmend der Verwahrlosung sind. Die Flucht in Privatschulen ist ein Schrei der Verzweifelten nach einer wahren Bildungsreform.

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