© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/09 03. Juli 2009

Liebkind für alle
Die Unionsparteien bieten für jeden etwas – außer für Konservative
Kurt Zach

Jedermanns Liebling ist jedermanns Depp. Schade, daß in CSU und CDU keiner mehr auf Franz Josef Strauß hört. Hätte man in den Parteizentralen der Unionsschwestern sich dieses Raunzers des vor zwei Jahrzehnten verstorbenen CSU-Schlachtrosses erinnert, wäre uns vielleicht die Zumutung eines solchen „Wahlprogramms“ erspart geblieben: ein Gemischtwarenladen von Wünschbarkeiten und Liebessignalen in alle Koalitionsrichtungen, ungedeckt bis zur Lächerlichkeit, allen wohl und keinem wehe, nur konservative Inhalte muß man mit der Lupe suchen und findet sie doch nicht. Die Union im Bundestagswahlkampf 2009 – das ist Linkspartei für Sozialliberale.

Schon die Hauptbotschaft ist von haltlosem Opportunismus: Als Partei der Steuersenkung will sich die Union den Wählern andienen. Freilich wird nicht verraten, wer die Zeche dafür bezahlen soll; von der Rechnung für die Rekord-Schuldenmacherei im Namen der Krisenbewältigung ganz zu schweigen. Merkels und ihrer Getreuen Beschwörungen, niemand habe die Absicht, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, klingen den Wählern etwa so vertrauenerweckend in den Ohren wie Walter Ulbrichts Distanzierung vom bereits beschlossenen Mauerbau.

Die Abweichler in den eigenen Reihen, die trotz Diskussionsverbots vorlaut an der Steuerschraube drehten, waren dabei noch die Ehrlicheren. Die Mutigeren waren sie nicht. Will man nämlich in Krisenzeiten die Bürger entlasten und den Haushalt sanieren, ohne nach Sozialistenart die Staatsquote zu erhöhen, kommt man am Kern des Problems nicht vorbei: Die Staatsausgaben sind aus dem Ruder gelaufen, der ausufernde Umverteilungsstaat muß dringend zurückgeschnitten werden, sollen die Finanzen jemals saniert werden. Aber an dieses heiße Eisen traut sich die Union nicht. Dazu müßte man ja ein freiheitlich-konservatives Welt- und Menschenbild haben.

Und man müßte zu vielen Lobby-Gruppen und zu vielen potentiellen Koalitionspartnern zur Linken auf die Füße treten. Die scheint man im Konrad-Adenauer-Haus weit intensiver ins Visier genommen zu haben als die FDP, die man als offiziellen Wunsch-Koalitionspartner ins Programm geschrieben hat. Tatsächlich hat der unionsinterne Steuerstreit den neuerlichen programmatischen Linksruck auf breiter Front in den Hintergrund gedrängt, den CDU und CSU mit diesem Wahlprogramm 2009 vollzogen haben.

Über weite Strecken liest sich das Wahlprogramm wie ein Rückversicherungsvertrag für die Fortsetzung der Großen Koalition oder wie ein Empfehlungsschreiben für Schwarz-Grün – der stillschweigende Abschied von der Kernkraft und das forsche Bekenntnis zu noch mehr Klimaschutzwahn weisen in diese Richtung. Auch mit sozialdemokratischem Weichspüler wurde nicht gespart. Mindestlöhne, höheres Schonvermögen für ALG-II-Empfänger, mehr Kindergeld, noch mehr Steuergelder fürs Gesundheitssystem – alles geht auf einmal mit der Merkel-Union. Fast scheint es, als wollte die CDU mit sozialistischen Umverteilungsversprechen SPD und Linkspartei in einem Aufwasch überflüssig machen.

Am sichtbarsten offenbart sich die radikale Entkonservativierung der Union in der Familienpolitik. Hier geht es nicht um sozialpolitische Organisationsfragen, sondern um Werte: Wie haltet Ihr’s mit dem Elternrecht und mit der Autonomie der Familien? Verstaatlichung der Kindererziehung, schallt’s im grün-rot-schwarzen Chor zurück. Der Krippensozialismus à la von der Leyen wird ausgebaut, nicht mal vor der verfassungsrechtlich fragwürdigen Kindergartenpflicht schreckt die CDU noch zurück. Mehr Staatsausgaben pro Kind, das könnte in jedem Linksprogramm stehen; wer ohnehin von öffentlicher Zuwendung lebt, mag sich freuen. Das Gegenteil vom Ausbau der Umverteilung über die Staatskasse, ein reales Familiensplitting mit vollem Steuerfreibetrag für Kinder, soll allerdings auch richtig sein. Die Gegenfinanzierung für beides steht – in den Sternen.

Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit gibt es bei der CDU jedenfalls schon lange nicht mehr. Wer sich um die Risiken und Nebenwirkungen von Einwanderung, Ghettobildung und Multikulturalismus sorgt, wird mit Wortgeklingel vom „Integrationsland“ abgespeist. Wem die Desintegration des zum gesellschaftlichen Reparaturbetrieb degradierten Schulwesens schlaflose Nächte bereitet, der ist herzlich eingeladen, mit Angela Merkel von der „Bildungsrepublik“ zu träumen, in der Vater Staat mit viel gepumptem Geld schon alles richten wird. Steigende Kriminalität? Die CDU ist für mehr Internetzensur, das muß ja wohl genügen.

Die letzten konservativen Stammwähler, denen es im Phrasenwunderland nicht behagt, in dem jeder seinen rundgeschliffenen Wunschzettel mit dem des anderen zusammenkleben kann, mögen ruhig zu Hause bleiben, scheint man im Adenauer-Haus zu denken. Der CDU und der ganzen politischen Klasse ist es offensichtlich egal, ob sich die Leistungsträger der schrumpfenden Mittelschicht, die diesen Staat mit Disziplin und Arbeitsethos noch immer am Laufen halten, in die innere Emigration zurückziehen.

Das ist der Preis dafür, daß die Union ihr Glück als neue Sozialdemokratie versucht: Sie sichert die eigene Macht und richtet dabei den Staat zugrunde.

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