© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/09 03. Juli 2009

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Psychologie
Karl Heinzen

Der von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsentwurf für 2010 sieht eine Netto-Neuverschuldung von 86,1 Milliarden Euro vor – ein Wert, der in der deutschen Nachkriegsgeschichte bislang noch nie erreicht wurde. Zum Ende der Legislaturperiode weist die Bilanz der Großen Koalition auf dem Gebiet der Finanzpolitik somit exakt das Gegenteil dessen aus, was zu ihrem Beginn als Ziel verkündet wurde. Anstatt durch eiserne Disziplin die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß schon in naher Zukunft ein ausgeglichener Bundeshaushalt präsentiert werden kann, hat man die Verschuldung auf neue Rekordhöhen getrieben.

Die Öffentlichkeit ist fair genug, sich einer Regierungsschelte ob gebrochener Wahlversprechen zu enthalten. Die Krise, so die weitverbreitete Auffassung, ist derart dramatisch, daß der Staat schließlich nicht in Untätigkeit verfallen kann. In diesem Lichte müsse man es sogar als besonderes Qualitätsmerkmal der Regierung begreifen, daß sie ihre finanzpolitischen Maximen pragmatisch und schnell über Bord wirft, weil es die prekäre Lage nun einmal erfordert. Der Einwand, daß die Menschheitsgeschichte keinen Staat kennt, dem es gelungen wäre, nachhaltig die Konjunktur zum Besseren zu wenden, greift zu kurz. Es kommt nicht so sehr darauf an, der Wirtschaft Impulse zu vermitteln, sondern der Psyche der Bürger Halt zu geben, und hierfür ist jeder noch so fragwürdige Aktivismus der Regierung, so er denn von Zuversicht getragen zu sein scheint, hilfreich.

Allerdings muß sich die Politik darüber im klaren sein, daß die Rückkehr zu einem strikten Sparkurs bis auf weiteres nicht mehr möglich sein wird. Schritt für Schritt wurden vor 2008 die staatlichen Leistungen reduziert, um jeden Euro, den man besonders Bedürftigen zugestehen dürfe, erbittert gefeilscht. Die Bürger nahmen dies als Schicksal hin, weil sie der Auffassung Glauben schenkten, zu einem Sparkurs gäbe es keine Alternative. Nun sind sie durch die Regierung selbst eines Besseren belehrt. Milliardenschwere, kreditfinanzierte Programme, die einst belächelte Forderungen der Linken als moderat erscheinen lassen, gelten plötzlich als unbedenklich.

Unpopulär ist dieser neue Stil eilig auf den Weg gebrachter Ausgaben und unbeschwerter Schuldenaufnahme keineswegs. Das Staatshandeln ist vielmehr erstmals seit langem für den Bürger psychologisch nachvollziehbar: Wer sowieso keine Aussicht hat, seine Schulden jemals zurückzuzahlen, wäre einfältig, wenn er keine neuen aufnähme, solange ihm dies noch möglich ist.

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