© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/09 03. Juli 2009

„Guck mal, der Ritter da“
Truppen aus Studenten, Handwerkern und Angestellten tragen die Varusschlacht von neuem aus
Hinrich Rohbohm

Kampfgebrüll ertönt. Die Germanenstämme dreschen mit Schwertern gegen ihre Schilde, machen sich Mut für den Kampf mit den römischen Legionären. Langsam nähern sich die Soldaten des Kaisers Augustus, in Erwartung der Attacke ihrer Gegner. In Reih und Glied marschieren sie über die Waldeslichtung. Erste Speere fliegen. Die Legionäre heben ihren Scutum, einen rechteckigen Schild, mit dem sie sich vor ihren Angreifern schützen.

Sie wehren sich, werfen ihren Speer, den Pilum, stürzen sich mit ihrem Gladius, dem römischen Kurzschwert, in das Kampfgetümmel. Doch die Germanen sind in der Überzahl, werfen ihren Feind zu Boden.

Nachschub kommt aus Richtung Osnabrück. Darunter Frauen und Kinder, auch ein paar Amerikaner sind dabei. Per Sonderfahrt transportiert ein Bus sie zur Schlacht: nach Kalkriese, 16 Kilometer nordöstlich von Osnabrück gelegen. Hier stehen sie – die Truppen des römischen Feldherrn Quintilius Varus, der sich im Gefecht mit den vom Cheruskerfürsten Arminius geführten Germanen befindet.

Die Krieger sind Studenten, Handwerker und Angestellte, die Speere an ihren Enden stumpf. Auch die Schwerter sind nur aus Holz. Denn die Schlacht ist längst geschlagen – vor 2.000 Jahren, wahrscheinlich hier, in der Kalkrieser-Niewedder Senke in Bramsche. Ende der achtziger Jahre fand der britische Offizier und Amateurarchäologe Tony Clunn auf den Äckern des Osnabrücker Landes römische Münzen sowie drei Schleuderbleie. Es war der Beginn für planmäßige Ausgrabungen, bei denen zahlreiche weitere Münzen sowie Waffen, Ausrüstungsgegenstände römischer Soldaten und die Reste einer Wallanlage gefunden wurden. Fachleute vermuten: In Kalkriese hat die Varusschlacht stattgefunden, jener Kampf, bei dem die Germanenstämme den römischen Legionen eine vernichtende Niederlage zufügten (JF 2/09).

„Quintilis Vare, legiones redde!“ – Quintilius Varus, gib die Legionen zurück, soll Kaiser Augustus bei Erhalt der für ihn niederschmetternden Nachricht vom germanischen Sieg gerufen haben. 15.000 seiner Soldaten unter der Führung seines Statthalters Varus waren in einen Hinterhalt geraten. Nur wenige konnten fliehen.

Varus, ein erfahrener Mann, der zuvor bereits erfolgreich als Statthalter in Syrien gewirkt hatte, tritt sein Amt in Germanien um 7 n. Chr. an. Er hält Gericht ab, treibt Steuern ein. Damit macht er sich nicht immer Freunde. Es gibt kleine Scharmützel, manchmal Murren bei den unterworfenen Germanenstämmen. Das Jahr 9 n. Chr. verläuft zunächst weitgehend friedlich. Varus macht sich mit seinen Legionen auf den Rückweg zum Rhein, dem Winterquartier.

Der Weg ist bekannt, es gibt keine besonderen Vorkommnisse. Doch dann bekommt der Statthalter Besuch – von Segestes, einen bei den Römern angesehenen und ihnen freundlich gesonnenen Cherusker. Er warnt Varus vor einem bevorstehenden Attentat: vor Arminius und dessen Vater Segimer. Varus glaubt ihm nicht. Er will es nicht glauben, nimmt die Warnung nicht ernst. Schließlich kennt er beide schon lange: vornehme Cherusker, ausgestattet mit dem römischen Bürgerrecht. Arminius, der im römischen Heer gedient hatte – für Varus unvorstellbar. Unbeirrt setzt er den Weg nach Süden fort.

Am nächsten Tag erreicht ihn eine Nachricht. Germanen bitten um Hilfe. Ein kurzer Umweg, will Varus den Bittstellern beistehen. Er will. Die Legionen marschieren in unbekanntes Gebiet. Bäume müssen gefällt, Hindernisse überwunden werden.

Völlig überraschend für die Römer kommt der germanische Angriff aus dem Unterholz. Das unwegsame Gelände behindert die Legionen, ihre gewohnten Kampfformationen können sie nicht einnehmen. Die Verluste der Römer sind hoch.

Das Regenwetter hat die Wege aufgeweicht. Immer wieder sind die Legionen Attacken aus dem Hinterhalt ausgesetzt, an den Aufbau eines Nachtlagers ist nicht zu denken. Die Römer sind demoralisiert, verwirrt. Sind das die Germanen, die auch die um Hilfe Rufenden angegriffen haben? Wo bleibt Arminius, der sich zwei Tage zuvor verabschiedet hatte, um Verbündete zu holen? War es eine Falle?

Viele Römer sind verletzt, die Kleidung vom Regen durchnäßt, die Schilde vom aufgesogenen Wasser schwer. Mit ihrer Geländekenntnis und ihrer leichten Bewaffnung sind die Germanen überlegen. Sie besiegen die Römer, töten die meisten. Für Varus ist die Lage aussichtslos. Er begeht Selbstmord.

Die Zuschauer sind begeistert. Tausende sind nach Kalkriese gekommen, um die nachgestellte Schlacht zu verfolgen. Hunderte von Laienschauspielern lassen sie in eine längst vergangene Zeit eintauchen. Speere und Pfeile surren durch die Luft. Die Zuschauer in der vordersten Reihe weichen respektvoll zurück, so nah sind die Kampfszenen manchmal am Publikum.

.„Wir versuchen natürlich, den Leuten die damalige Zeit näherzubringen“, sagt Zenturio Marcus Antonius Invidurus. Der 38jährige gelernte Replikhersteller mit dem bürgerlichen Namen Marcus Neidhardt sieht aber auch, daß viele nur kommen, weil es ein Spektakel ist. „Manchmal ist es schon schockierend mitzuerleben, wie wenig selbst gut gebildete Erwachsene über die Varusschlacht wissen.“ – „Guck mal, der Ritter da“, habe einer etwa gerufen und mit dem Finger auf ihn gezeigt. „Da bekomme ich die Krise“, meint er.

Eine Mutter ist mit ihren Kindern extra aus dem Sauerland in den Park Kalk-riese gekommen: zwei Schüler, Gymnasiasten, 14 und 15 Jahre alt. „Kurz“ sei im Unterricht über die Varusschlacht gesprochen worden. Das Spektakel fanden sie „toll“. Doch bei der Frage, wer der Anführer der Germanenstämme war, müssen sie passen. „Augustus?“ fragt einer der beiden etwas zaghaft. Die Mutter murmelt etwas von: „Wie war das noch?“, gibt zuletzt kopfschüttelnd auf. 

Maria Makri weiß mehr. Die Griechin ist mit ihrer Familie auf Urlaub in Deutschland. Als sie von der inszenierten Varusschlacht erfuhr, hat die Archäologin kurzerhand ihren Mann und die vier Kinder mit hergebracht. „Diese Schlacht ist eine tolle Idee, um den Menschen die eigene Kultur näherzubringen. So etwas müßte es bei uns in Griechenland auch geben“, schwärmt sie.

Foto: Germanen contra Römer: Hunderte von Laienschauspielern tauchen in eine längst vergangene Zeit ein, indem sie die Varusschlacht nachspielen

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