© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/09 10. Juli 2009

Von der eigenen Vergangenheit getrieben
Sachsen: Ministerpräsident Stanislaw Tillich gerät angesichts neuer Enthüllungen über seine Verstrickungen in das DDR-Regime immer stärker unter Druck
Paul Leonhard

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich bleibt in Sachen eigener DDR-Vergangenheit ein Getriebener. Ausgerechnet im Jahr des 20. Jubiläums des Mauerfalls stellt sich heraus, daß der smarte Sorbe bis 1990 kein einfacher Verwaltungsangestellter war, sondern als Stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz noch 1989 an Enteignungen mitgewirkt hat.

Immer deutlicher wird, wie sehr sich der heute 50 Jahre alte Regierungschef seinen Lebenslauf zurechtgebastelt hat. Tillich habe dreißigmal seine Biographie manipuliert, behauptet Karl Nolle. Der SPD-Landtagsabgeordnete hat tief in alten Akten stöbern lassen. In seinem Buch „Sonate für Blockflöten und Schalmeien“ zeigt Nolle die „Kollaboration heutiger CDU-Funktionäre im SED-Regime“ auf. Dazu gehört im Fall Tillichs auch dessen Frau Veronika, die einst als politischer Instrukteur der CDU-Kreisleitung tätig war.

 Tillichs Schutzbehauptung, er habe mit Politik wenig zu tun gehabt und sei in die CDU nur eingetreten, um seine Ruhe vor der SED zu haben, ist unglaubwürdig. CDU, LDPD und NDPD waren allenfalls für jene politische Nischen, die als Wissenschaftler, Mediziner oder Handwerker von der SED umworben wurden, aber ihren Namen nicht mit einer Mitgliedschaft in der Einheitspartei beschmutzen wollten. Wer es wie Tillich in der Ost-CDU mit 30 Jahren zum Stellvertreter des Rates des Kreises brachte, war vom sozialistischen System überzeugter als viele Genossen.

Darin besteht aber das Dilemma von CDU und FDP. Es fehlen unbelastete politische Eliten. Kurt Biedenkopf als erster frei gewählter Ministerpräsident vermochte es nicht, aus den Reihen der Bürgerrechtler Mitstreiter heranzuziehen. In der innerparteilichen Auseinandersetzung der Sachsen-Union obsiegten damals die aus ihren Nischen hervorkriechenden Blockflöten über die neuen Mitglieder. Einstige Dissidenten wie Arnold Vaatz, Heinz Eggert oder Matthias Rößler schafften es zwar kurzzeitig auf Ministersessel, scheiterten aber im Umgang mit den eingeflogenen West-Beamten und übernommenen DDR-Bediensteten. Ein Neuanfang schien nach der Milbradt-Episode durch die Wahl Stanislaws Tillichs zum Ministerpräsidenten möglich. Ein Christdemokrat mit Blockpartei- und europäischer Erfahrung – daß Tillich seine Karriere als Vize-Bezirkschef durchstartete, als viele Bürger nach den gefälschten Kommunalwahlen im Mai 1989 Ausreiseanträge stellten, als sich die Opposition zu formieren begann, fiel niemandem auf.

Die von ihm 1989 mitgetragenen Enteignungen werfen nun ein neues Licht auf sein politisches Agieren. Auch zu SED-Zeiten war vielen klar, was im bürgerlichen Sinn Recht und Unrecht ist. Mit ein bißchen Unrechtsbewußtsein hätte Tillich den „Entzug der Eigentumsrechte“ zumindest hinterfragen können – zumal der zweite Fall nicht einmal DDR-Recht genügte.

Ebenso nachdenklich stimmt der heutige Umgang mit DDR-Akten. Wie ist die Dienstanweisung des Bautzener CDU-Landrates an das Kreisarchiv Kamenz zu verstehen, daß unverzüglich die Staatskanzlei zu informieren ist, wenn in Dokumenten über die Vergangenheit Tillichs recherchiert werde? Wie kommt es, daß Sitzungsprotokolle plötzlich fehlen? Sachsens Datenschutzbeauftragter hat eine Prüfung angekündigt. Auch wird gerichtlich geprüft, ob Tillich nur Beamter werden konnte, weil er seine Biographie geschickt formuliert hat.

Ein Ministerpräsident, der nicht wahrhaftig mit seiner Biographie umgehe, sei fehl am Platze, forderte Nolle Tillichs Rücktritt. Sachsens SPD-Chef, Vize-Premier Thomas Jurk, sieht das anders. Tillich das Engagement zu DDR-Zeiten vorzuwerfen, werde dessen „Lebensleistung nicht gerecht“ – eine Aussage, mit der Jurk die eigene Macht retten will. Er weiß, daß die CDU nach der Landtagswahl Ende August wieder stärkste Partei werden wird – weil die Sachsen nicht vergessen, daß die von Helmut Kohl geführte Union seinerzeit als einzige Partei vorbehaltlos für die Wiedervereinigung kämpfte. Ein Spitzenkandidat Tillich könnte indes genügend abschrecken, so daß die CDU womöglich erneut einen Regierungspartner benötigen wird.

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