© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/09 10. Juli 2009

Tendenziös und nicht zu retten
Die Berliner Ausstellung „Deutsche und Polen“ gerät zur geschichtspolitischen Posse bundesdeutschen Dienstboten-Charakters
Thorsten Hinz

Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin, feierlich eingeweiht von Regierungsvertretern, soll in aller Regel das offizielle, zumindest aber ein offiziöses Geschichtsverständnis vermitteln. Ende Mai wurde die Ausstellung „Deutsche und Polen. 1. 9. 1939. Abgründe und Hoffnungen“ eröffnet. Aus Deutschland war Kulturstaatsminister Bernd Neumann dabei, aus Polen der Minister für Kultur und Nationales Erbe, Bogdan Zdrojewski. Im Katalog sind beide mit Grußworten vertreten.

Angelpunkt der Ausstellung und des deutsch-polnischen Verhältnisses überhaupt ist der Kriegsausbruch am 1. September 1939. Was davor liegt, strebt teleologisch auf ihn zu, was danach kommt, erhält von ihm seine Sinnstiftung. Das bedeutet, die Deutschen sind für die Abgründe zuständig, die Polen für die Hoffnung. Wer nach historischer Aufklärung sucht, kann sich den Museumsbesuch also ersparen. Wer aber Einblick in geschichtspolitische Machtverhältnisse und in den Dienstboten-Charakter von Teilen der deutschen Geschichtswissenschaft gewinnen will, der findet hier Anschauungsmaterial im Überfluß. Auch die inkompetenten und deshalb zustimmenden Rezensionen in FAZ, Welt und Süddeutsche gehören dazu.

Gar keine Frage, das deutsch-polnische Verhältnis ist schwierig und voll Bitterkeit. Doch selbst nach den polnischen Teilungen von 1772 bis 1795 war es nicht völlig negativ gestimmt. Das zeigten die deutsche Polen-Begeisterung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder der plakatierte Dank polnischer Patrioten an die Berliner, die sie im Revolutionsmärz 1848 aus dem Gefängnis befreit hatten. Aber solche Differenzierungen sind bloß Ausnahmen innerhalb der Ausstellung. Dieselben Experten, die die Vertreibung der Deutschen so lange und in zweifelhafter Weise kontextualisieren, bis von ihr kaum noch etwas übrigbleibt, scheuen den historischen Kontext, wenn es um die Plausibilität ihrer Geschichtsideologie geht, deren Herzstück ein metaphysischer deutscher Destruktionstrieb ist.

Gleich am Eingang fällt das Politische Testament Friedrichs des Großen von 1752 ins Auge, in dem der Preußenkönig Polen mit einer Artischocke vergleicht, die man Schale um Schale verspeisen müsse. Friedrichs Zynismus ist bekannt. Was jedoch unterschlagen wird: Es existiert ein zweites Testament Friedrichs aus dem Jahr 1768, in dem er Zweifel an der eigenen Polen-Politik einräumt, die den preußischen Interessen nur teilweise entspreche. Der Hintergrund der Teilung von 1772 war die machtpolitische Abhängigkeit von Rußland, das von Preußen Unterstützung in seinem 1768 ausgebrochenen Konflikt mit dem Osmanischen Reich verlangte. Friedrich zahlte beträchtliche Summen, wollte sich aber nicht weiter in die russisch-türkische Auseinandersetzung einmischen. Um dem immer stärkeren Druck des Zarenreiches zu entgehen, griff er die russischen Aspirationen gegenüber Polen auf und schlug vor, Rußland, Österreich und Preußen in einer gegen das Osmanische Reich gerichteten Allianz zusammenzuführen. Alle drei Mächte sollten für die entstehenden Kriegskosten mit polnischen Gebietsteilen entschädigt werden. Österreich und Rußland erhielten jeweils mehr als 83.000, Preußen knapp 35.000 Quadratkilometer: Keine Frühform preußisch-deutschen Rassehochmuts war hier am Werk, sondern eine Realpolitik der brutalen Art, wie sie in Europa allerseits üblich war.

Es lohnt nicht, die weiteren zahllosen Einseitigkeiten, Klitterungen, Insinuationen einer Ausstellung aufzuzählen, deren Konzept falsch, tendenziös und nicht zu retten ist. Erwähnt sei nur die Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1939, wo die Auslassungen und Verzerrungen zur regelrechten Geschichtsfälschung kumulieren. Selbstverständlich ließe sich historisch erklären und herleiten, warum sich der neue polnische Staat gegen Deutschland und die deutsche Minderheit so aggressiv hervortat. Wenn eine Nation nach 123 Jahren erstmals wieder ein staatliches Eigenleben beginnt, fehlen ihr politische Erfahrung, das Gefühl für das richtige Maß, dann kommen Größenwahn und politische Romantik ins Spiel, dann will sie es den einstigen Bedrückern – den tatsächlichen wie den vermeintlichen – heimzahlen. Die Verachtung der deutschen Nationalisten für den polnischen „Saisonstaat“ tat ein Übriges.

Doch eine Ausstellung, die so tut, als sei alles Übel nur von einer Seite ausgegangen, der man nicht entnehmen kann, warum die deutsche Minderheit von 1,1 Millionen im Jahr 1919 auf unter 300.000 zu Beginn der dreißiger Jahre zurückging, die will nicht informieren und um Verständnis werben, sondern eine Geschichtsideologie festklopfen.

Die Kündigung des Minderheitenschutzvertrags des Völkerbundes durch Polen am 13. September 1934 oder der „Bromberger Blutsonntag“ am 3. September 1939 fallen selbstverständlich unter den Tisch. Während die deutsche Besatzungszeit in Polen durch zum Teil grausame Fotos suggestiv zum Zentrum der Ausstellung gemacht wird, gerät die Vertreibung zur Fußnote, war irgendwie gerechtfertigt und verlief, wenn man den ausgestellten Bildern traut, etwas hektisch zwar, aber „in ordnungsgemäßer und humaner Weise“, wie es das Potsdamer Abkommen empfahl. Mordlager wie Potulitz oder Lamsdorf kommen gar nicht oder nur im Kleingedruckten vor. Ein Verdienst hat die Ausstellung immerhin: Man weiß nun, was von einer multinational konzipierten Ausstellung zur Vertreibung zu erwarten ist und warum starke Kräfte in Deutschland und Polen auf keinen Fall die Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach im Kuratorium haben wollen.

In ihrer Dummheit und Gemeinheit ist die Ausstellung bereits ein Anachronismus: zum einen, weil der Alltag und der Austausch von Erinnerungen zwischen Deutschen und Polen viel besser, normaler, selbstverständlicher verläuft, als die ausgestellte Geschichtsideologie das vermuten läßt. Zweitens gebietet die geschichtliche Perspektive es Polen und Deutschen, sich pragmatisch auf eine europäische Plattform zu stellen, derweil unterschiedliche Sichtweisen zu akzeptieren und Verständnis und Gemeinsamkeiten organisch reifen zu lassen. Nur gemeinsam werden die Europäer politisch, wirtschaftlich, militärisch, kulturell im globalen Kampf bestehen. Was Polen politisch gegenüber einem demoralisierten, seiner geschichtlichen Authentizität beraubten Deutschland innerhalb des EU-Rahmens vielleicht gewinnt, geht für Europa als Ganzes – und damit auch für Polen – doppelt und dreifach verloren.

Foto: Schal zum WM-Länderspiel Deutschland gegen Polen: Wer historische Aufklärung erhofft, kann auf die Ausstellung verzichten

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