© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/09 17. Juli 2009

Vive la tradition française
Frankreich: Widerstand gegen Rechtschreibreform
Georg Alois Oblinger

In kaum einem anderen europäischen Land werden kulturelle, identitätsstiftende Traditionen so sehr gepflegt wie in Frankreich. Besonders in ihre Sprache sind die Franzosen verliebt. Deshalb regt sich jetzt erneut in der Bevölkerung heftiger Widerstand gegen Vorschläge der Académie française für eine Vereinfachung der Rechtschreibung.

Danach soll zum Beispiel der Accent circonflexe, das berühmte Dach über Wörtern wie „être“ oder „hôtel“, wegfallen. Er ist eine Besonderheit wie das ß im Deutschen. Seine schon mehrfach geforderte Abschaffung hat immer wieder große Proteste in der französischen Bevölkerung hervorgerufen. Ebenso wie der Accent grave (è) und der Accent aigu (é) ist der Accent circonflexe ein Kulturgut, auch wenn er sich nicht in der Aussprache bemerkbar macht.

Etwa 2.000 Änderungen wurden vorgeschlagen, durch die man Ausnahmen und Unregelmäßigkeiten beseitigen möchte. So soll das „porte-monnaie“ künftig „portemonnaie“ (ohne Bindestrich) geschrieben werden. Auch für die Zwiebel ist eine einfachere Schreibweise vorgesehen: „ognon“ statt „oignon“.

Doch die große Mehrheit ist dagegen. Was ihre Sprache angeht, sind fast alle Franzosen konservativ. Über die Rechtschreibreform in Deutschland haben die meisten nur den Kopf geschüttelt. Und wie eine solche Reform gegen den Willen der Mehrheit durchgeboxt werden konnte, bleibt für die Franzosen gänzlich unverständlich.

Als besonders komplizierte Regel im Französischen gilt der accord (Übereinstimmung). In der zusammengesetzten Vergangenheit (passé composé) wird das Partizip einem vorausgehenden Objekt in Zahl und Geschlecht angepaßt. So heißt es zum Beispiel: „Les cartes postales, que j’ai reçues…“ („Die Postkarten, die ich erhalten habe…“) Aber: „J’ai reçu les cartes postales.“ („Ich habe die Postkarten erhalten.“) Da das Objekt nicht vorausgeht, sondern nachfolgt, wird „reçu“ in diesem Fall nicht angepaßt. Eine nicht ganz einfache Regel, zumal auch „reçu“ und „reçues“ sich in der Aussprache nicht unterscheiden.

Doch es gibt eben Themen, da kennen die Franzosen keine Kompromisse. Erst kürzlich wollte eine EU-Verordnung erlauben, daß Mischungen aus Rot- und Weißwein als Rosé verkauft werden dürfen. Was in anderen Ländern längst gängige Praxis ist, stieß in Frankreich auf erheblichen Protest. Im Juni hat die Europäische Union schließlich eingelenkt. In Frankreich gibt es eben noch Kulturgüter, an die man nicht rühren darf.

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