© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/09 24. Juli / 31. Juli 2009

„Sie sollten nichts dramatisieren“
Instrumentalisiert die Politik den Fußball? DFB-Ehrenpräsident Gerhard Mayer-Vorfelder verneint. Ein Streitgespräch
Moritz Schwarz

Herr Mayer-Vorfelder, macht Ihnen der Fußball eigentlich noch Spaß?

Mayer-Vorfelder: Warum sollte er nicht?

Geht Ihnen seine Politisierung nicht zu weit?

Mayer-Vorfelder: Was meinen Sie damit?

Dem Oberligisten Hallescher FC zum Beispiel wurden unlängst drei Punkte abgezogen, für Rufe aus dem Fanblock. Sicherlich waren sie politisch unter der Gürtellinie, aber ist Politik also inzwischen wichtiger als die Leistung der Mannschaft auf dem Platz?

Mayer-Vorfelder: Sicher nicht, aber Fan-Verhalten ist zuweilen ein Problem. Greift man nicht hart durch, nimmt das überhand. Mein Appell: Die Regeln einzuhalten, die unter vernünftigen Menschen herrschen!

Appelle sind eine Sache, aber jetzt will die UEFA bei „rassistischen“ Fan-Rufen sogar Spiele abbrechen lassen. Ist die Politik also mittlerweile nicht doch wichtiger als der Fußball?

Mayer-Vorfelder: Nein, aber Rassismus kann nicht Teil des Fußballspiels sein.

Wie groß ist denn das Problem?

Mayer-Vorfelder: Man sollte die Sache auch nicht dramatisieren. Die meisten Spiele verlaufen ohne Zwischenfälle. Aber gewisse Verhaltensmuster sind auf jeden Fall zu verhindern.

Zum Beispiel?

Mayer-Vorfelder: Etwa rassistische Beschimpfungen der Spieler oder Verunglimpfungen als Homosexuelle mit üblen Sprüchen. Wenn der Sport seine verbindende Wirkung nicht verlieren soll, dann darf das nicht durchgehen.

Wenn es also nur um wenige Fälle und nicht um Gewalt, sondern lediglich um Verbaldelikte geht, ist dann die Aufgeregtheit, mit der DFB und UEFA reagieren, nicht überzogen?

Mayer-Vorfelder: Was heißt hier lediglich? Sicher, es stimmt, daß die Gewalt kaum noch im Stadion, sondern wenn dann meist auf dem Weg dorthin oder von dort stattfindet. Ich finde die Maßnahmen dennoch weder aufgeregt noch überzogen. Beim Abbruch eines Spiels ist natürlich Fingerspitzengefühl erforderlich. Es kommt erstens darauf an, daß die Schiedsrichter reagieren und zweitens, daß sie richtig reagieren. 

Das ist das nächste Problem: Die Erfahrung mit dem „Kampf gegen Rechts“ zeigt, daß der Willkür Tür und Tor offenstehen. Bald gelten auch nichtrassistische Aussagen als „rassistisch“.

Mayer-Vorfelder: Ich sage, das Thema ist heikel. Aber ich vertraue darauf, daß die Grenze dessen, was noch akzeptiert werden kann und was nicht, von den Schiedsrichtern richtig erkannt wird.

Es ist manchmal kein Spaß, was unter Fans zu hören ist. Aber ist die Frage nicht: Sind wir eine freie Gesellschaft oder befördern wir mit solchen Maßnahmen nicht das Duckmäusertum vor den „Meinungsterroristen“, wie Martin Walser sie nennt, und Fußball wird zum Mittel, das Volk politisch korrekt zu erziehen?

Mayer-Vorfelder: Sie spitzen das allzu sehr zu. Das Problem ist, daß manche Fans die Grenze zwischen legitimer Begeisterung und einem Verhalten, das ein gedeihliches Zusammenleben stört, verwischen. Das ist der Punkt, an dem die Fußballverbände Farbe bekennen müssen. Ich bin der Auffassung, daß alles getan werden muß, damit wir keine Verhältnisse wie in Italien bekommen. 

Der Berliner „Tagesspiegel“ schrieb über die italienischen Fußballausschreitungen im November 2007: „Bürgerkriegsähnliche Szenen (...) Hunderte Hooligans und Mitglieder des linksextremen schwarzen Blocks liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei.“ Von Hooligans und Linken, nicht von rassistischen Ausschreitungen ist da die Rede. Was meinen Sie also mit „italienischen Verhältnissen“?

Mayer-Vorfelder: Genau das. Extremismus von rechts oder links darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.

Während die rechtsextremen Provokationen etwa der berüchtigten Lazio-Fans Thema in unseren Medien sind, werden die linksextremen Provokationen zum Beispiel von Fans des AS Livorno nicht thematisiert.

Mayer-Vorfelder: Wenn das so ist, würde ich das nicht in Ordnung finden, sondern als einen Verstoß gegen die notwendige Objektivität der Berichterstattung ansehen.

Auch in Deutschland gibt es linksextreme Propaganda auf Fußballplätzen, etwa beim FC St. Pauli. Größer ist aber das Problem von Gewalt bei Spielen mit türkischen Mannschaften. DFB und UEFA legen dagegen allerdings keine Programme auf. Warum nicht?

Mayer-Vorfelder: Ein Einschreiten gegen Linksextremismus und Gewalt bei den genannten Mannschaften gehört genauso zur Aufgabe der Vereine und der Schiedsrichter. Gewalt bleibt Gewalt. Links- und Rechtsextremismus sind mit gleicher Konsequenz zu verhindern oder zu ahnden.

Dennoch passiert es nicht. Zeigt diese Ungleichbehandlung nicht, daß es im Grunde um eine Instrumentalisierung des Sports geht – wie wir sie im Sozialismus und Nationalsozialismus immer kritisiert haben?

Mayer-Vorfelder: Es darf keine Ungleichbehandlung geben. Mit dem Wort Instrumentalisierung gehe ich etwas vorsichtiger um. Es wird ja nicht verlangt, daß die Fans nur auf einer Seite stehen. Wir haben immer Anhänger verschiedener Mannschaften, Pluralismus ist damit gewährleistet. Also diese Gefahr der Instrumentalisierung sehe ich nicht.

Sie selbst sind seit über vierzig Jahren Sportfunktionär, bis vor wenigen Jahren gab es solche Strafmaßnahmen nicht. Haben Sie also jahrzehntelang etwas falsch gemacht?

Mayer-Vorfelder: Nein, aber die Fans haben früher ihre Grenzen besser gekannt. Meines Erachtens sind viele Grundwerte der Erziehung in weiten Bereichen verlorengegangen.

Haben sich wirklich die Anhänger gewandelt – oder nicht vielmehr der Zeitgeist?

Mayer-Vorfelder: Das Problem der Schmährufe mit rassistischem oder fremdenfeindlichem Hintergrund im Sport ist größer geworden. Sport ist aber dazu da, Menschen zusammenzubringen. Insofern kann so etwas nicht akzeptiert werden.

Was ist Ihre Zielvorstellung?

Mayer-Vorfelder: Was der Fußball von seinen Fans verlangt ist das, was man im normalen gesellschaftlichen Leben auch verlangt: So wie sich die Fans im normalen Leben verhalten, so sollen sie sich auch auf dem Fußballplatz verhalten. Der Fußballplatz ist kein rechtsfreier Raum.

Ist der Fußball nicht gerade deshalb so beliebt, weil er ein Ausbruch aus dem Alltag ist?

Mayer-Vorfelder: Natürlich soll man begeistert sein, Freude empfinden und dieser Ausdruck verleihen, aber das darf nicht ausarten in grobe Schmähungen des Gegners. Das ist mit dem Fußball nicht zu vereinbaren.

Fußball ist Wettstreit, Kampf, Sieg, Niederlage, totale Emotion. Mancher Sportjournalist beschreibt ihn als „Ersatzkrieg“. Wie paßt das zu Ihrer Interpretation?

Mayer-Vorfelder: Fußball ist kein Ersatzkrieg. Wer so etwas schreibt, hat keine Ahnung, was Krieg bedeutet. Es geht bei einem noch so wichtigen Spiel nie um Leben oder Tod.

Als im WM-Endspiel 2006 Zinédine Zidane nach einer heftigen Beleidigung durch Marco Materazzi diesen mit einem Kopfstoß zu Boden streckte, zeigten auch seriöse deutsche Medien Anerkennung dafür, daß Zidane sich eben nicht an die Regeln des Alltags gehalten, sondern wie ein Mann reagiert hatte.

Mayer-Vorfelder: Als ich die näheren Details las, habe ich auch ein gewisses Verständnis für Zidane empfunden. Er ist für seine Tätlichkeit aber auch milder bestraft worden, da er provoziert wurde.

Welchen Sinn haben Länderspiele noch, wenn in Zukunft eine multikulturelle „deutsche“ Mannschaft gegen eine multikulturelle „französische“ Mannschaft spielt?

Mayer-Vorfelder: In der Nationalmannschaft kann nur spielen, wer die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Das schließt einen Migrationshintergrund aber nicht aus. Jedoch ist klar: Wer Deutscher ist, muß sich auch zu unseren deutschen Grundwerten bekennen, und ich erwarte, daß er etwa die Nationalhymne mitsingt. Man kann nicht nur partiell Deutscher sein, das geht nicht!

Als jüngst die U 21 siegte, sang zuvor von den zahlreichen ausländischstämmigen Spielern nur ein einziger die Nationalhymne mit. 

Mayer-Vorfelder: Nein, beim Endspiel haben alle mitgesungen. Das hat Horst Hrubesch so verlangt.

In Ihrer Partei, der CDU, gelten Sie seit jeher als Rechtskonservativer. Ist die CDU heute noch die Heimat der Konservativen?

Mayer-Vorfelder: Ich werde immer dafür kämpfen, daß die CDU auch die Heimat der Konservativen bleibt. Denn die CDU kann ihre Stärke nur erhalten, wenn sie wie in der Vergangenheit liberal, sozial und konservativ ist und im Ausgleich dieser Grundströmungen die richtigen Entscheidungen als Volkspartei findet.

Immer mehr Konservative kehren der CDU aber enttäuscht den Rücken. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Mayer-Vorfelder: Natürlich, aber darüber lassen Sie uns nach der Bundestagswahl noch einmal sprechen.

Als Günther Oettinger 2007 ob der Filbinger-Trauerrede heftig angegriffen wurde, haben Sie ihn in Schutz genommen. Warum?

Mayer-Vorfelder: Weil ich nach vierzehnjähriger Tätigkeit in nächster Nähe von Ministerpräsident Hans Filbinger dessen Grundhaltung und Lebensweg besser kannte, als jeder Journalist und deshalb auch beurteilen konnte, daß er kein „Nazi“ war.

Dennoch hat Oettinger am Ende klein beigegeben. War das richtig?

Mayer-Vorfelder: Wie heißt es in der Bibel: „Ein jegliches hat seine Zeit.“ Ich meine damit, es gibt Zeiten, in denen man streitet, und Zeiten, in denen der Streit ruht.

Mit einem Brief haben Sie sich unlängst an den Chefredakteur der „Zeit“ gewandt und für die Streichung der JUNGEN FREIHEIT und des „Studienzentrums Weikersheim“ (SZW) aus dem von der „Zeit“ unterhaltenen „Netz gegen Nazis“ eingesetzt. Warum?

Mayer-Vorfelder: Weil ich diese Bitte für dringend erforderlich hielt. Sicher ist die JF ein konservatives Blatt und das SZW eine konservative Schöpfung. Beide nützen für ihre Interviews bzw. Referenten das Spektrum von links bis rechts, um mit Meinungsvielfalt die Diskussion zu beleben. Wer sie deshalb als „nazistisch“ verunglimpft, setzt konservativ mit nazistisch gleich, was ich als Ungeheuerlichkeit ansehe. Ich spreche der Zeit in dieser Frage die Deutungshoheit ab.

Ist für Sie diese Diffamierung ein Ausrutscher oder ein Symptom für die Einschränkung der Meinungsfreiheit und den Umgang mit Konservativen hierzulande?

Mayer-Vorfelder: Weder das eine noch das andere, sondern eine Anmaßung und Ausfluß einer Hysterie der falsch verstandenen politischen Korrektheit. Wir alle wissen, was das Dritte Reich an ungeheuerlichen und unvorstellbaren Verbrechen in großen Teilen Europas, aber auch in Deutschland begangen hat. Und wir alle haben dafür zu sorgen, daß sich Derartiges nie mehr wiederholt. Gegner dieses verbrecherischen Systems gab es aber nicht nur in linken Kreisen, sondern auch im konservativen Lager. Stauffenberg – dem 65. Jahrestag seines Aufstandes haben wir eben gedacht – ist ein anerkanntes Beispiel hierfür. Jene Zeit kannte zudem nicht nur die Verbrechen des nationalen Faschismus, sondern auch die ungeheuren Verbrechen des Kommunismus Stalins. Dies wird jedoch viel zu wenig beachtet. Für mich ist die Lehre aus der Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, daß Rechts- und Linksextremismus in gleicher Weise zu ächten sind. 

Die „Zeit“ hat die Streichung von JF und SZW abgelehnt. Wie werden Sie nun reagieren?

Mayer-Vorfelder: Die Zeit hat auf meinen ersten Brief eine unbefriedigende Antwort gegeben und auf meine Replik noch unbefriedigender geantwortet. Deshalb habe ich Chefredakteur Giovanni di Lorenzo nochmals gebeten, auf die Widersprüche zu reagieren. Bis heute warte ich vergeblich. Ich werde aber weiter auf einer abschließenden Antwort bestehen.             

 

Gerhard Mayer-Vorfelder, der ehemalige DFB-Präsident und UEFA-Vizepräsident ist heute Ehrenpräsident des Deutschen Fußballbundes (Logo unten) und gilt als Urgestein unter den deutschen Fußballfunktionären. Bekanntheit erlangte er zunächst in den achtziger Jahren als konservativer Exponent in der Südwest-CDU, vor allem in seiner Zeit als Kultusminister in Baden-Württemberg. Geboren 1933 in Mannheim, wurde der Jurist persönlicher Referent von Ministerpräsident Hans Filbinger, 1980 dann Minister für Kultus und Sport, 1991 Finanzminister. Drei Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Politik wählte ihn der DFB 2001 zum Präsidenten. 2006 verzichtete Mayer-Vorfelder zugunsten Theo Zwanzigers, mit dem er seit 2004 die „DFB-Doppelspitze“ bildete, auf eine erneute Kandidatur. 2007 schied er aus dem Fifa- und im März 2009 aus dem UEFA-Exekutivkommitee aus. Gleichzeitig endete seine Amtszeit als Vizepräsident der UEFA.

Deutscher Fußballbund: Gegründet im Jahr 1900 in Leipzig, ist der DFB (www.dfb.de) mit über 26.000 Vereinen und mehr als sechs Millionen Mitgliedern der größte Einzelsportverband der Welt.

Foto: Mayer-Vorfelder: „Wer Deutscher ist, muß sich zu unseren deutschen Grundwerten bekennen und auch die Nationalhymne singen“

 

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