© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/09 24. Juli / 31. Juli 2009

Marksteine der Weltliteratur
Nur Narren greinen zum Himmel auf: Dem Schriftsteller Knut Hamsun zum 150. Geburtstag
Ellen Kositza

Vor 150 Jahren, am 4. August 1859, wurde einer der schillerndsten Schriftsteller Europas geboren. Ein trotziger, um jeden Preis widerspenstiger und doch so zartsinniger Künstler.

Bereits solche Zuschreibungen würden den Jubilar grummeln lassen: Künstler? Pack, das die Welt nicht braucht! Schillernd? Pah, unter meinen Fingernägeln klebt dunkle Erde, wozu der schillernde Schein! Und Schriftsteller? Ingrimmig pflegte der Weltberühmte jenen Lesern zu antworten, die ihre Post an den Herrn Schriftsteller Knut Hamsun adressierten. Er sei Bauer, nichts weiter, und ohne seine Kinder würde er sich „nicht mal einen Grabstein verdient“ haben.

Huldigungen bedeuteten Hamsun nicht viel; er lehnte Ehrendoktortitel, Orden und Würdigungen häufig ab. Seine Biographien und Rezensionen seiner Werke pflegte er kaum je zu lesen – um so mehr ereiferte er sich, als er ein Buch seiner Frau Marie („Die Langerudkinder“, zu Recht bis heute ein Dauerbrenner) von der Presse schlecht behandelt sah. Daß er am Ende gar seine ihm 1920 verliehene Nobelpreis-Medaille („nutzlos“) an Joseph Goebbels schickte – verbunden mit einem pathetischen Nachruf auf Adolf Hitler zwei Jahre später – hat ihm den Ruf eines Umstrittenen eingetragen.

Wer war Knut Hamsun? Als Sohn eines mittellosen Schneiders und einer bald schwermütig werdenden Mutter wurde er als Knud Pedersen und als viertes von sieben Kindern im inneren Norwegen geboren. Bereits als Junge wurde er bei seinem Onkel untergebracht, einem gebildeteren Menschen, streng christlich und dabei lieblos, der weit im Norden lebte. Dort, unter Tieren, Büchern, bei sporadischem Schulbesuch und in beinahe ganzjähriger Kälte wuchs Hamsun auf. An der Veröffentlichung seiner ersten, nicht überlieferten Werke war dem Heranwachsenden sehr gelegen, er finanzierte den Druck selbst, Hausierer vertrieben die kleinen Erzählungen für ein paar Öre.

An einem Ort ansässig wurde Hamsun nie wirklich, er arbeitete damals hier und dort als Lehrer, Amtsgehilfe und im Straßenbau. Als er 1882 erstmals (für insgesamt mehrere Jahre) nach Amerika reiste, hatte er bereits einige Auslandserfahrung hinter sich. Mit 29 und nach zahlreichen hartnäckigen Versuchen, schriftstellerisch zu reüssieren, kam der Durchbruch: Eine Tageszeitung druckte seine Erzählung „Hunger“ (1890) als Fortsetzungsroman. Die Geschichte, basierend auf Hamsuns Selbsterfahrung als todesnaher Lebenskünstler in Kristiania, dem heutigen Oslo, entfaltete einen Sog, dem sich Leser und Kritik nicht zu entziehen vermochten.

Als im Jahr darauf seine Polemik „Aus dem Geistesleben des modernen Amerika“ erschien, eine bitterböse, auf Hamsuns Geheiß später nie wieder aufgelegte Abrechnung mit dem als kulturlos empfundenen Banausentum in Übersee, war Hamsuns Name in aller Munde. Die großstädtische Boheme schmückte sich gern mit diesem rebellischen Poeten, diesem exaltierten Choleriker, der auch vor den Geistesgrößen seines Landes – vor allem Ibsen, später auch vor seinem Gönner und Nationaldichter Bjørnstjerne Bjørnson – kein Blatt vor den Mund nahm, der Gelage spendierte und ein vortrefflicher Unterhalter war.

 So charmant er sein konnte, so streitlustig war er auf der anderen Seite. Verhaßt waren ihm jegliche Attitüden, die feministische Bewegung, die Rechtschreibreform („Sprache will nicht demokratisiert, sie will geadelt werden“), der Kult ums Alter (den er selbst als Greis noch verachtete: man werde „nicht weiser, sondern dümmer“), der aufkeimende Tourismus, das Stadtleben (obgleich es ihn immer wieder in die Metropolen zog), die Dekadenz der modernen Zeit ebenso wie die biedere Beschaulichkeit – und nicht zuletzt die ganze angelsächsische Welt mit ihrem „geistlosen Pragmatismus“. Den Ländern Rußland (er liebte Dostojewski), Frankreich (Hamsun lebte zeitweilig in Paris) und vor allem Deutschland (hier ließ er später seine Tochter Ellinor zur Schule gehen) gehörte seine Sympathie. Vor allem die Rezeption seiner Werke in Deutschland verhalf Hamsun bald zu einem Bekanntheitsgrad über Skandinavien hinaus, der Verleger Albert Langen war ein guter Freund Hamsuns.

Fürs erste stieß Hamsuns Werk auf geteiltes Echo, sowohl der enigmatische Roman „Mysterien“ (1892), der heute unter die Klassiker gerechnet wird (und zuletzt von Helmut Krausser unter dem Titel „Helle Nächte“ als Bühnenfassung bearbeitet wurde) als auch „Redakteur Lynge“, eine bissige Abrechnung mit dem Alltagsjournalismus seiner Zeit, stießen auf Mißfallen. Mit den folgenden und bis heute immer wieder aufgelegten Romanen „Pan“ und „Victoria“ wurde Hamsun zum Erfolgsautor.

Mit seiner ersten Frau zeugte er 1902 eine Tochter – da war die kurze Ehe bereits gescheitert. Dies waren rastlose Jahre der Melancholie und der Schaffenskrisen, unter denen Hamsun beständig litt. Später unterzog er sich einer langwierigen Psychotherapie, um seine Schreibblockaden zu überwinden. Das Lesepublikum spürte dergleichen kaum. Hamsun war ein Vielschreiber, am Ende umfaßte sein Werk über drei Dutzend Bände, hauptsächlich Romane, einige Erzählungen, Gedichte, Dramen und Reisebeschreibungen.

Um 1906, mit den rasch aufeinanderfolgenden Werken „Unter Herbststernen“, „Benoni“, „Rosa“ und „Gedämpftes Saitenspiel“ begann Hamsuns neue Schaffensphase. 1909 heiratete er die deutlich jüngere Schauspielerin Marie; der Ehe entwuchsen zwei Söhne und zwei Töchter. So sehr Hamsun Lebenskünstler war, es von klein auf kannte, in jeder Lage zu leben und zu schaffen, so sehr war er ein Meister darin, nie seinen Frieden zu finden.

In armen Zeiten kam er durch, er pflegte ein aufgebocktes Brett als Schreibtisch und seinen Mantel als Kopfkissen zu nehmen. Hatte er Geld, gab er es für große Erwerbungen aus und verschenkte den Rest an Hilfesuchende. War er von seiner Familie umgeben, fehlte ihm die Ruhe zum Schreiben; zog er sich zurück, litt er an der Abwesenheit von Frau und Kindern, ließ sich allzu gern in Kinderspiele hineinziehen. Lebte er hier, zog es ihn nach dort, wurde er von der Arbeit an einem Roman aufgesogen, fehlte ihm die Erde unter den Händen.

1911 kaufte er einen Hof in Nordnorwegen, 1917 zog die Familie wieder in den Süden, wo er später mit Hilfe des Nobelpreisgeldes ein Mustergut aufzog. Hamsun war schon Jahre zuvor als Kandidat für diese Auszeichnung gehandelt worden. Auch 1920 gingen Beobachter davon aus, daß die Vergabe dieses bedeutenden Literaturpreises nicht zuletzt an der Mitjurorin Selma Lagerlöf (die Hamsun als alleinstehende, kinderlose Frau beargwöhnte) scheitern würde. Am Ende aber hatte Hamsuns drei Jahre vorher erschienener Roman „Segen der Erde“ alle für sich eingenommen.

Der Dichter erzählt darin das Leben des grobschlächtigen Ödlandbauern Isak: Wie der sich seinen Platz schafft, inmitten der Wildnis, wie er pflanzt, arbeitet und zeugt; brav, treu und unbestechlich; und wie die moderne Welt mit ihren Verlockungen näherrückt und eingreift. Nein, Hamsun zeigte sich auch hier nicht als Romantiker, als einer, der die gute alte Zeit verbrämt. Warm und hart, Fruchtbarkeit und Fäulnis in einem bergend: das ist die Erde, auf der Isaks Brut gedeiht – oder verkümmert. Bis heute gilt „Segen der Erde“ unbestritten als Markstein der Weltliteratur.

Ihr Autor hingegen geriet in Mißkredit. Mit seiner bedingungslos deutschfreundlichen Einstellung hatte Hamsun nie hinterm Berg gehalten. In den dreißiger Jahren häuften sich seine politischen Invektiven. 1935 begrüßte er die Rückkehr des Saarlandes zu Deutschland, 1939 befürwortete er, Wochen vor Kriegsbeginn, die Wiedereingliederung Danzigs ins Reich: „Die Polen sind in Ordnung – in Polen.“

Als die Deutschen 1940 Norwegen besetzten und damit den Engländern nur Stunden zuvorkamen, veröffentlichte Hamsun zahlreiche Aufrufe an sein (mit England sympathisierendes) Volk, die deutsche Besatzung zu akzeptieren. Mit der nationalsozialistischen Ideologie setzte Hamsun sich nicht auseinander; für den Judenhaß (er selbst war kein Antisemit, nannte die Juden ein „äußerst begabtes, wunderbar musikalisches Volk“) hatte er eine simple Erklärung parat: „Antisemitismus gibt es in allen Ländern. Er folgt dem Semitismus wie die Wirkung auf die Ursache.“ 1943 sprach Hamsun bei Hitler persönlich vor, um sich über das Gebaren des deutschen Reichskommissars in Norwegen, Terboven, zu beschweren. Die Unterredung endete mit einem Beinahe-Rauswurf. Hitler befahl, „solche Leute“ nicht mehr vorzulassen.

Bei Kriegsende war Hamsun 86, ihm standen wegen „landesverräterischer Aktivitäten“ knapp zwei Jahre Freiheitsentzug bevor: Hausarrest, Gefängnis, Psychiatrie. Sein – keinesfalls verbittertes, sondern ironisch-gelassenes – letztes Buch „Auf überwachsenen Pfaden“ (1949) läßt diese Zeit Revue passieren.

Auf seinem Gut in Nörholm starb Hamsun im Februar 1952, geächtet und verarmt. Anders als beispielsweise Ernest Hemingway (der Hamsun zu seinen Lieblingsautoren zählte) hatte Hamsun nie Menschen erschossen – er agierte schlicht unter der falschen Feldpostnummer. Darum gibt es Hemingway-Cafés dutzendweise, darum brandete noch kürzlich in Norwegen erneut ein Streit auf, ob Plätze und Straßen nach Hamsun benannt werden dürften.

„Ich bin wie der Lachs“, schrieb Hamsun einmal, „ich muß gegen den Strom schwimmen.“

 

Knut-Hamsun-Zentrum: Seit mehr als einem Jahrzehnt sorgt es für heftige Kontroversen, jetzt soll das Knut Hamsun Center im norwegischen Hamarøy Anfang August endlich eröffnet werden. Das Gebäude enthält Ausstellungsräume, eine Bibliothek mit Lesezimmer, ein Café und ein Auditorium. Schirmherrin der Hamsun-Feierlichkeiten in Norwegen ist Prinzessin Mette-Marit.

Foto: Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun an seinem Schreibtisch (1930): Den Druck seiner ersten Werke finanzierte er selbst

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