© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/09 24. Juli / 31. Juli 2009

Konsequentester Rassist
Eine Schachermeyr-Studie
Philipp Weller

Entgegen der Kolportage, gerade die deutschen Historiker hätten sich der „Bewältigung“ ihrer eigenen Vergangenheit selbst noch über den Mauerfall hinaus allzu lange verweigert, ist auf viele wissenschaftshistorische Arbeiten seit Mitte der 1960er Jahre hinzuweisen. Dazu zählen auch die „Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945“, die Volker Losemann 1977 veröffentlichte.

Darin kommt der Marburger Historiker zu dem Befund, daß die Kernelemente der NS-Weltanschauung sowohl in den Schriften der etablierten Koryphäen Ulrich Kahrstedt, Wilhelm Weber, Fritz Taeger, Matthias Gelzer, Franz Miltner, Helmut Berve, Joseph Vogt wie in denen des Nachwuchses (Hans Schaefer, Franz Altheim, Johannes Straub) kaum nachzuweisen sind. Allein der seit 1933 in Jena, Heidelberg und Graz lehrende Österreicher Fritz Schachermeyr habe sich bezüglich der NS-Rassenlehre derart „offen“ gezeigt, daß er in der Fachgeschichte seit Losemann als der „konsequenteste Rassist unter den Althistorikern“, der „dezidierteste Vertreter rassentheoretischer Ansätze“ (Ursula Wolf) gilt. Über kurz oder lang mußte Schachermeyr daher wohl die Aufmerksamkeit des auf „Täterschaft“ fixierten Historikernachwuches auf sich ziehen.

Daß eine Schachermeyr-Monographie dann gleich zwei dicke Bände beanspruchen würde, war trotz der guten Quellenlage indes nicht zu erwarten. Aus diesem Umfang ergibt sich denn auch der wesentliche Einwand gegen die 2005 abgeschlossene, nun veröffentliche, von ungemeinem Fleiß und ausgezeichneter Kenntnis der Primär- wie Sekundärliteratur zeugende Wiener Dissertation von Martina Pesditschek.

Denn ihre intime Vertrautheit mit dem Nachlaß und noch den ephemersten Erzeugnissen ihres „Helden“ hat die Verfasserin verführt, dem Leser ja nichts vorzuenthalten, so daß etwa der Schriftwechsel Schachermeyrs mit potentiellen Rezensenten seiner Werke in ermüdender Vollständigkeit ausgebreitet wird. Nicht nur bei diesen Passagen, auch bei den zahllosen redundanten Anmerkungen hätte man sich den straffenden Eingriff des Doktorvaters oder des Lektors gewünscht. Während also vielerorts hätte gekürzt werden dürfen, wäre eine ausführlichere und viel präzisere, von der leider auch hier gefrönten gängigen Neigung zur Vergabe moralischer Zensuren befreite Analyse der Adaption des „Rasse-Paradigmas“ in Schachermeyrs Arbeiten wohl angebracht gewesen.        

Martina Pesditschek: Barbar, Kreter, Arier. Leben und Werk des Althistorikers Fritz Schachermeyr. Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften, Saarbrücken 2009, broschiert, zwei Bände, 1074 Seiten, Abbildungen, 128 Euro

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