© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/09 07. August 2009

Wir sind, was wir essen
Regionale und saisonale Lebensmittel sind ein Schlüssel zur Gesundheit / „Geiz ist geil“-Mentalität und unklare Herkunftsangaben
Michael Howanietz

Ein hoher agrarischer Selbstversorgungsgrad ist sehr viel mehr als eine Frage der Nahrungsmittelsouveränität, weil auch von höchster gesundheitlicher Relevanz. Aktuelle Studien bekunden: Unser Organismus kennt, erkennt und akzeptiert heimisches Obst und Gemüse viel besser als Importware. Die wertvollen Inhaltsstoffe (in weitgereisten Importen ohnedies in erheblich geringerem Umfang enthalten) werden effizienter und leichter aufgespaltet und verwertet. Der Code „Heimat“ muß nicht etikettiert sein, weist unser Körper doch ein untrügliches Sensorium für die Herkunft seiner Nahrung auf.

Es ist deshalb Aufgabe der Politik, den Handel detaillierte Hinweise darauf geben zu lassen, was woher kommt. Eine weitere Aufgabe wäre es, das aussterbende Wissen um die Rezepte der bodenständigen, regionalen Küche zu bewahren, die noch dem hippokratischen Grundsatz Rechnung trägt: Eure Nahrung sei eure Medizin! Wie sehr Nahrung Heilmittel sein kann, erforscht mit zunehmend erstaunlichen Resultaten die Epigenetik. Die Art unserer Ernährung vermag ihr zufolge Gene zu aktivieren bzw. zu deaktivieren. Das Ein-und Ausschalten einzelner Gene wiederum hat unmittelbare Auswirkungen auf die Körperfunktionen. Selbst der Zellteilungsprozeß ist abhängig von den mit der Nahrung zugeführten Bausteinen. Eine Tatsache, die die Propaganda-Placebos der Agrogentechniker, ihre Manipulationen hätten keinerlei Konsequenzen für den Menschen und seine Gesundheit, der Nichtigkeit zeiht.

An eineiigen Zwillingen untersucht, läßt sich unwiderlegbar feststellen, wie die Art der konsumierten Nahrung bei gleicher physiologischer Ausgangslage unterschiedliche Entwicklungen zeitigt. Obzwar auch Umwelteinflüsse und Faktoren wie Streßbelastung eine Rolle spielen, sind wir überwiegend Produkte unserer Ernährung.

Ihre mögliche Heilwirkung, und damit die nahrungsbeförderten Selbstheilungskräfte des Körpers, limitieren vor allem vom Menschen selbst geschaffene Hemmnisse, etwa das in zahlreichen Kunststoffen enthaltene Bisphenol A, ein künstliches Hormon, das nicht nur zu verfrühter Geschlechtsreife führt. In unterschiedlicher Intensität gesundheitsabträgliche Wirkungen weisen sämtliche bis dato untersuchte in Chemikalien und Pestiziden enthaltene hormonähnliche Substanzen auf. Dennoch blieben viele von ihnen zugelassen.

Besonders die während der ersten Lebensmonate zugeführte Nahrung prägt den Körper – auf Lebenszeit, mitunter über Generationen hinweg. Mangelernährung etwa zieht schwere gesundheitliche Spätfolgen nach sich, die das Zellgedächtnis auch auf Nachkommen überträgt (epigenetische Vererbung). In Tierversuchen (Augenfarbe bei Fliegen, Fellfarbe bei Mäusen) traten, durch spezifische Futterzugaben provoziert, erstaunliche Ergebnisse zutage. Die Weitergabe erworbener Eigenschaften beschränkt sich demnach nicht auf Gene, sie umfaßt auch deren Schaltpläne.

Schnell schaltbare Gene als Beschleuniger der Evolution? Die Vererbbarkeit neuer Merkmale auf die unmittelbar nachfolgende Generation legt die Berechtigung dieser Vermutung nahe. Zumal sie in einzelnen untersuchten Fällen nicht nur die direkte Nachkommenschaft betrifft. So gaben britische Kohlmeisen ihre Kenntnisse über Kunst und Lohn des Öffnens von Milchflaschen überregional an die gesamte Art weiter.

Die bedeutsamste Vision der Epigenetiker ist freilich nicht ornithologischer Natur, sondern die Behandlung von Krankheiten, lange vor deren Ausbrechen. Ob dazu die tägliche Tasse krebshemmenden Grünen Tees und die regelmäßige Aufnahme der Vitalitätsklassiker Bohnen, Salate, Blattgemüse, Broccoli oder Avocado ausreicht, muß sich erst weisen. Gesichert scheint vorerst, daß nicht nur die Art, sondern auch die Herkunft der Nahrungsmittel maßgeblichen Einfluß auf ihre Wirkkraft hat. Hierbei gilt: Je näher der Verbraucher dem Ursprungsort seiner Nahrung lebt, desto besser.

Um so bedauerlicher, wenn altes Wissen über die Heilkraft heimischer Nahrungsmittel mit Großmutters Überlieferungen verschwindet. Welche Lebensmittelzusammenstellungen, welche Würzformen, welche Kombination der „vier Elemente“ tut wem wann gut? In den Alpen wurde durch Jahrhunderte praktiziert, was heutige Unkenntnis dem Reich der Mitte („Fünf-Elemente-Küche“) als ernährungsphilosophische und kulturhistorische Sonderleistung zuspricht. Auch unsere Ahnen ernährten sich nach den Prinzipien des dem Ägypten der Pharaonenzeit entlehnten Wasser-, Erd-, Luft- und Feuertyps, dem jeweils spezifische Lebensmittel als Balsam des leiblichen Wohlbefindens zugedacht waren.

Eine Rückbesinnung auf die Identität des Essens wird nicht nur wirtschaftliche und kulinarische Vorzüge zeitigen. Fragt sich lediglich, wie am agrarischen Kap Hoorn, wo die gischtenden Wogen der „Geiz ist geil“- Mentalität und steigender Lebensmittelpreise bei sinkender Kaufkraft aufeinanderprallen, das erforderliche Wertebewußtsein etabliert werden kann. Zweifellos steigen die Lebensmittelpreise (ob haltloser Geldmengenausweitung und damit schleichender Geldentwertung), sie liegen aber immer noch weit unter dem Durchschnitt der letzten fünfzig Jahre. Zudem sank der Anteil der für Lebensmittel aufgewandten Ausgaben binnen weniger Jahrzehnte von knapp 50 Prozent des Haushaltsbudgets auf heute 13 Prozent. Auch diese Werteverschiebung, von den ursächlichsten Lebensgrundlagen hin zu den grundlegendsten Nebensächlichkeiten der hochtechnisierten Spaßgesellschaft, muß ins Kalkül gezogen werden.

Die wesentliche Ressource im Kampf um nationale Ressourcenhoheit ist auch hier die menschliche, die der öffentlichen Meinung. Voraussetzung, sie zu gewinnen, ist die Schaffung eines Bewußtseins für Problemlagen (Mangelernährung trotz Überfluß, epidemische Fettleibigkeit und Eßstörungen, Bauernsterben) und Lösungsansätze sowie deren langfristige Vorteile (Importunabhängigkeit, Qualität, kurze Transportwege, Gesundheitssystem). Mit den Ankündigungen der EU-Kommission, Herkunftsbezeichnungen künftig zu verwässern oder gar aufzuheben („Made in the EU“ ersetzte dann „Made in Germany“) wird das Gegenteil des Notwendigen getan: im Sinne der Globalisierer, der Gleichschalter, Gleichmacher und Qualitätsminderer, gewiß – ganz und gar nicht im Sinne unserer Selbstversorgungsfähigkeit, unserer Gaumen, unserer Gesundheit.

Foto: Strauchtomaten und Apfel: Wer vorwiegend regionale und saisonale Lebensmittel kauft, lebt gesünder

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