© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/09 07. August 2009

Die dunkle Seite der Macht
Korruption entpuppt sich nicht nur in der EU, sondern auch in Deutschland zunehmend als alltägliches Phänomen
Hans-Jürgen Hofrath

Gemeinhin gilt es in der reinen Staatslehre und erst recht in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung als genuine Aufgabe des Staates, im Interesse der Allgemeinheit zu handeln. Gleichwohl untergräbt das nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnende Phänomen der Korruption solch hehre Prinzipien – wie uns nicht erst die Causa Siemens lehrt. Die Dunkelziffer dürfte immens sein.

Daß bei Korruptionsdelikten ein nur wenig ausgeprägtes Unrechtsbewußtsein existiert, belegt der langjährige taz- und Stern-Journalist Hans-Martin Tillack an vielen exemplarischen Fällen. So kann der Beginn von Korruption bereits in umfänglichem Sponsoring von Jahresfeiern bundesdeutscher Ministerien durch Konzerne gesehen werden, welche sich gerade von diesen Behörden wiederum Aufträge erhoffen.

Zudem werden Ausschreibungen oft nicht oder nicht in der vorgeschriebenen Form durchgeführt, sondern manipuliert oder – natürlich gegen entsprechende Vorteilsgewährung – freihändig vergeben. Ein ungemeines Ärgernis für die Beitragszahler etwa sind riskante Immobiliengeschäfte sowie überhöhte Vorstandsbezüge bei Allgemeinen Ortskrankenkassen, wie Tillack ausführt.

Ein besonders profanes Lehrstück stellt die „ausschreibungsfreie“ Vergabe eines 19 Millionen Euro schweren PR-Auftrages durch einen Referatsleiter im Bundesarbeitsministerium an seine Tanzpartnerin dar – und dies pikanterweise unter Vorspiegelung eines der edelsten, politisch korrekten Motive, nämlich der Frauenförderung!      

Daß gerade in Deutschland – wo übrigens die Staatsanwaltschaften dem jeweiligen Justizministerium gegenüber weisungsgebunden sind –  noch Hausaufgaben zu erledigen sind, macht der Autor etwa daran fest, daß vergleichsweise wenige Ermittlungsverfahren zu Korruptionsdelikten stattfinden. Oder an dem Umstand, daß Abgeordneten- wie auch Journalistenbestechung hierzulande strafrechtlich nicht sanktionsbewehrt sind. Ebenso augenfällig ist, daß Deutschland der Entwicklung in anderen Staaten insoweit hinterherhinkt, als es etwa die UN-Konvention gegen Korruption nicht ratifiziert hat oder Regelungen für den Wechsel von Personal aus der Politik in die Wirtschaft ebensowenig vorhält wie ein Korruptionsregister.

Sicherlich kann Tillack kaum widersprochen werden, wenn er konstatiert, daß Korruption – ein „Delikt der Mächtigen“ und „Oberschichtenphänomen“, die Täter gehörten zur Creme de la Creme der Gesellschaft – letztlich von der steuerzahlenden Allgemeinheit getragen werden muß. Dies in material- und detailreicher Form dargelegt zu haben, ist auch das besondere Verdienst dieses Buches.  

Eine entscheidende Schlüsselerfahrung des ehemaligen EU-Korrespondenten in Brüssel bestand übrigens darin, daß er 2004 in Belgien Ziel einer polizeilichen Durchsuchungsaktion wurde, die im Nachgang zu seinen Berichten über Korruption in der EU seitens der Europäischen Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf angestrengt wurde – was als übler Anschlag auf die Pressefreiheit gewertet wurde. Allerdings übersieht der Verfas-ser Entscheidendes, wenn er allein eine Opferrolle der Medien zu einseitig hervorhebt. Ferner erscheint es widersprüchlich, wenn ihm einerseits das seit 2005 auch in Deutschland bestehende Informationsfreiheitsgesetz – unter Abkehr vom traditionellen Amtsgeheimnis, welches Tillack als Restbestand von Absolutismus ansieht – nicht weit genug geht, andererseits aber seitens der Medien ein absolutes Geheimhaltungsrecht für Informationsquellen einklagt.  Auch Tillack schließt sich letztlich dem mittlerweile üblichen Lamento über den Werteverfall an, der bei Linken sonst übliche, sarkastisch-spöttische Unterton scheint ihm allerdings angesichts der immer mehr um sich greifenden Probleme durch Korruption, Gier und Machtmißbrauch im Halse steckengeblieben zu sein.

Hans-Martin Tillack: Die korrupte Republik. Über die einträgliche Kungelei von Politik, Bürokratie und Wirtschaft. Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 2009, gebunden, 228 Seiten, 19,95 Euro

Foto: Allzu warmer Händedruck: Abgeordneten- wie auch Journalistenbestechung wird in Deutschland noch nicht einmal strafrechtlich verfolgt

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