© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/09 14. August 2009

Geschichtspolitik
Gegen die Mauer der Mißachtung
Dieter Stein

Vor 48 Jahren, am 13. August 1961, begann das SED-Regime, jenes 167,8 Kilometer lange Bauwerk zu errichten, das unter dem Namen „Berliner Mauer“ in die Geschichte eingehen sollte. Lange 28 Jahre später, am 9. November 1989, wurde die mörderische Grenze durchbrochen. In mehreren jetzt vorgestellten Dokumentationen werden uns die Schicksale derjenigen nähergebracht, die auf der Flucht in die Freiheit ihr Leben ließen. Bis zu 235 Menschen starben nach Ermittlungen der „Arbeitsgemeinschaft 13. August“ allein an der Mauer, die den freien Westen der Hauptstadt zu einer in Beton gefaßten Insel machte. Die Arbeitsgemeinschaft hat jetzt dargelegt, daß einschließlich der am 1.378 Kilometer langen „Todesstreifen“ der innerdeutschen Grenze Getöteten sogar 1.347 Opfer zu beklagen sind. Hier wurden auch die Schicksale derjenigen zugerechnet, die bei der Flucht über die Ostsee oder andere Ostblockstaaten getötet wurden.

Nach wie vor kümmerlich sind die meisten Gedenkstätten, die auf Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland hinweisen. So sehr ist man hierzulande auf die Vergangenheitsbewältigung des Dritten Reichs fixiert, daß rasch als „Relativierer“ gilt, wer eine angemessene Erinnerung auch an die Opfer des roten Terrors fordert.

Anerkennenswert ist, daß sogar unter Beteiligung der Bundeszentrale für Politische Bildung, die sich häufig vor den Karren linksradikaler Antifa-Kampagnen spannen läßt (JF 21/09), nun eine würdige Dokumentation ins Internet gestellt wurde: www.chronik-der-mauer.de. Hier werden erschlossene Biographien der Opfer der Berliner Mauer zugänglich gemacht. Immer wieder zeigt sich, daß Geschichte erst an menschlichen Einzelschicksalen erfaßbar wird.

Als schändlich erweist sich dieser Tage erneut das Verhalten des Berliner Senats, dessen vornehmste Pflicht es sein müßte, die Erinnerung an das alle Welt erschütternde Schicksal der Stadt wachzuhalten. Erst diese Woche erreichte die Öffentlichkeit der Hilfeschrei des Leiters der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe. 70.000 Euro fehlen der Gedenkstätte aufgrund wachsender Besucherzahlen. Berlin wollte zunächst nicht helfen. Nun teilen sich Bund und Land den Betrag. Knabe ist beim Senat verhaßt – nicht zuletzt, weil er seit Jahren gegen die DDR-Verklärung kämpft – zuletzt mit seinem Anfang des Jahres erschienenen Buch „Honeckers Erben. Die Wahrheit über Die Linke“, das den Koalitionspartner des Regierenden Bürgermeisters demaskierte.

Den Schriftsteller Walter Kempowski, der als politischer Häftling acht Jahre im DDR-Zuchthaus Bautzen eingekerkert war, entsetzte es zeit seines Lebens, auf welche Mauer der Mißachtung er und seinesgleichen stießen, wenn es um ihr Lebensschicksal ging. Opfer der kommunistischen Diktatur? Das waren Fremdkörper und Störenfriede. Hier sollte plötzlich „die Vergangenheit ruhen“. Wir aber sind verpflichtet, die Erinnerung an die Geschundenen und Getöteten wachzuhalten.

Spendenkonto Gedenkstätte Hohenschönhausen: Kto. 730 014 193, Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00)

Foto: Gedenkkreuze für die Maueropfer

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