© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/09 14. August 2009

Rettung naht mit einer neuen Partei
Reginald Grünenberg sieht schwarz für die Bundesrepublik und weist einen Weg aus dem Jammertal
Klaus Peter Krause

Von den Deutschen heißt es, sie seien zu Revolutionen untauglich. Ganz stimmt das zwar nicht, aber ganz falsch ist es auch nicht. Reginald Grünenberg jedenfalls versucht, die wie auch immer geartete Untauglichkeit zu überwinden und den Deutschen eine Revolution nahezubringen – aber als eine friedliche, eine legale und durch und durch demokratische Revolution. Weil das Buch die meisten schockieren wird, hat Grünenberg ein Wort von Honore de Balzac an die Gräfin Hanska aus dem Jahr 1832 vorangestellt: „Legen Sie das, Madame, was Sie an meinen Büchern schockierend finden, zu Lasten der Notwendigkeit, die es von uns erfordert, daß wir eine gleichgültige Leserschaft mit allen Mitteln erschüttern müssen.“ Grünenberg hofft, man werde ihm den polemischen Ton nachsehen, den er gelegentlich wähle. Mehr Nachsicht benötigt er allerdings für seine radikalen Vorschläge und dafür, was diese an Veränderungen zumuten. Das wird die meisten in der Tat erschüttern.

Sein Ausgangspunkt für die von ihm für zwingend gehaltene demokratische Revolution in Deutschland ist der „unsichtbare Staatsbankrott“. Die Bundesrepublik sei finanziell, politisch und sozial am Ende. Mit einzelnen Reformen und etwaigen Konjunkturbelebungen sei nichts mehr auszurichten. In zu vielen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist für Grünenberg die Reformunfähigkeit ohnehin offenkundig. Um „der unvermeidbaren Katastrophe zuvorzukommen“, um aus dem Ende einen neuen Anfang zu machen, aus dem Ende der Bundesrepublik nicht Deutschlands Ende werden zu lassen, sei eine Neugründung der Republik erforderlich. Wenn nichts Entscheidendes unternommen werde, werde die Bundesrepublik „bald zu einer bizarren Form der Diktatur abgleiten“. Um die Demokratie zu retten, müsse die Bundesrepublik enden.

Er teile, schreibt Grünenberg im Vorwort, den Patriotismus eines Heinrich Heine. Und so hart und unnachgiebig er die Verkrustungen in der Bundesrepublik stellenweise auch kritisiere, so sehr habe er dieses Buch doch geschrieben, „um daran mitzuwirken, das Beste an Deutschland hinüberzuretten in eine neue, in eine bessere Zeit“. Um die Republik neu zu gründen, um Deutschland eine dritte Republik zu bescheren, hält es Grünenberg für notwendig, das ohnehin provisorische Grundgesetz abzuschaffen und die neue Republik auf einer neuen Verfassung zu errichten, die von allen Deutschen mittels Volksabstimmung legitimiert wird. Die jetzige Demokratie drohe hinter den Mauern zu ersticken, die die Bundesrepublik mit dem Grundgesetz, den Parteien und den Beamten um sie herum hochgezogen habe. „Für die Demokratie muß man immer wieder kämpfen, in diesem Fall sogar gegen ihre eigenen Institutionen.“

Aber wie soll das gehen, wie gelingen – weg mit dem Grundgesetz, weg mit der Bundesrepublik? Die herrschenden Parteien, die für Grünenberg im Einklang mit anderen Autoren ein wesentlicher Bestandteil der Krise sind, werden doch alles tun, um das zu verhindern. Deshalb, so Grünenberg, müsse für den Weg in die dritte Republik als „Akteur für radikale Reformen“ mindestens eine Partei gegründet werden, die eine neue Gestalt habe. Die einzige aussichtsreiche institutionelle Antwort sei eine neue Partei, eine demokratische Revolutionspartei, eine Krisenpartei mit dem zeitlich vorerst begrenzten Auftrag, die Gründung einer neuen Republik durchzusetzen, eine „Interessenpartei für den Systemwandel“, keine bürokratische Mitglieder- und Volkspartei im herkömmlichen Sinn, aber eine Partei ohne Berührungsängste gegenüber den anderen Parteien. „Die Parteien gehören zwar zu den gravierenden Problemen der deutschen Demokratie“, schreibt Grünenberg, „sie sind gleichzeitig aber auch die einzige Lösung.“

Die neu zu gründende Partei soll nur Bundestagsmandate anstreben, „denn nur von dort aus kann der Verfassungskonvent eingesetzt werden“. Weder stellt sie Kandidaten für die Kommunal- noch für die Landtagswahlen auf. Sie hat weder Orts- noch Kreisebene. Ohnehin sieht Grünenberg nicht ein, warum bundes- und landespolitische Parteien auch die Lokalpolitik bestimmen. Die Mandatsträger dieser neuen Parteiform dürften auch keine Leibeigenen der Parteiführung sein. Die Partei müsse den Mandatsträgern dienen und nicht umgekehrt. Für alle Parteien soll gelten: kein Fraktionszwang mehr, keine Zahlungen der Abgeordneten aus ihren Diäten an ihre Partei.

Der neuen, zunächst fiktiven Partei gibt Grünenberg den Namen Demokratische Verfassungsfreunde Deutschlands (DVD). Ihr allererstes Ziel: Im Bundestag eine einfache Mehrheit zustande zu bringen, um einen Verfassungskonvent einzusetzen. Nur dieser Rechtsakt könne eine legitime und zugleich legale demokratische Revolution in Gang setzen. Aber in diesem Konvent sollen nicht dieselben Politiker und Beamten sitzen, „die unsere Republik bereits ruiniert haben“. Denn die gesamte Prozedur sei ein Mißtrauensantrag gegen die heute noch regierende politische Klasse. Beginnen soll die DVD mit einem Kurzprogramm: eine neue Verfassung für die Dritte Republik in Deutschland durchsetzen; Privatisierungen rückgängig machen, soweit sie mißglückt sind; hoffnungslos Verschuldeten die Schulden erlassen; die Gebühreneinzugszentrale GEZ abschaffen. Grünenberg räumt ein: „Das sind natürlich populäre Anliegen.“ Aber sie sollen „quer zu den politischen Zugehörigkeiten viele Bürger begeistern. (...) Wir können keinen Verfassungs- und Republikwechsel machen mit einem unbeteiligten, desinteressierten Wahlvolk.“

In vier Akten, so liest man am Ende des Buches, soll sich die die demokratische Revolution vollziehen.

Erster Akt: Gründung der neuen Partei mit „einwandfrei demokratischer Satzung“, Verabschiedung ihres Programms, Einrichten von Landeslisten.

Zweiter Akt: Gang zum Bundeswahlleiter für den Eintrag ins Anschriftenverzeichnis der Parteien, Vorbereiten der nächsten Bundestagswahl, in den Ländern Unterschriften sammeln, ihre Kandidaten für die Landeslisten in einem besonderen Antragsverfahren für die Zulassung zur Bundestagswahl anmelden, Beiträge und Spenden für die ersten Wahlkampagnen sammeln, über das sogenannte Grundmandat für alle errungenen Zweitstimmen Parlamentssitze ermöglichen und bei der Bundestagswahl erwerben, Sympathisanten in allen Fraktionen gewinnen und bei hinreichender Zustimmung eine Gesetzesinitiative einreichen, um einen Verfassungskonvent einzuberufen.

Dritter Akt: Das Verfassungskonventsgesetz vorbereiten, formulieren, nach Artikel 146 Grundgesetz mit einfacher Mehrheit beschließen und anschließend mit allen anderen Parteien Vorschläge für die Verfassung entwickeln.

Vierter Akt: Die Beratungen abschließen, sich auf ein Dokument einigen, die Bürger über diesen Verfassungsentwurf in einer Volksabstimmung beschließen lassen.

Im Anhang seines Buches listet Grünenberg auf, was er als „die acht Todsünden der Bundesrepublik“ bezeichnet, und er geht in Kurzform Artikel für Artikel des Grundgesetzes durch, warum dieses Gesetz „ausgedient“ hat.

Was Grünenberg für notwendig hält, wird irritieren, ist radikal und daher kühn. Auch tollkühn wird das Vorhaben genannt werden, eigentlich undurchführbar und so gut wie aussichtslos. Man muß sich daran reiben, kann nicht alles billigen, nicht allem zustimmen, viele Fragen ergeben sich. Grünenberg ist trotzdem voller Zuversicht. Ob die Deutschen zu seiner Revolution tauglich sind, mag man bezweifeln. Aber immerhin eine Revolution haben sie schon hinbekommen: 1989, als sich die Deutschen in der DDR gegen das SED-Unrechtsregime auflehnten und es zu Fall brachten, wenn auch mit Hilfe von außen und der Tatsache, daß das Regime wirtschaftlich bankrott war. 

Eine solche Hilfe könnte möglicherweise die globale Finanz- und Wirtschaftskrise bieten, die in Wirklichkeit eine Strukturkrise ist, die auch Deutschland heimsucht und deren schlimmster Teil vielleicht erst noch kommt. Doch könnte diese Krise mit dem Bewältigen ihrer Folgen Politiker und Bürger derart beschäftigen und in Bann schlagen, daß für die demokratische Revolution weder Zeit noch Interesse und Wille übrigbleiben.

Zu Beginn des Buches findet der Leser den Hinweis: „Dieses Buch endet nicht mit der letzten Seite. Es wird von seinem Autor und den Lesern fortgeschrieben im Internet. Besuchen Sie www.ende-der-bundesrepublik.de.“ Dort kann man bereits weitere Erläuterungen des Autors finden. Bei der Vorstellung seines Buches am 18. Dezember 2008 in Berlin sagte Grünenberg: „Mein Buch wendet sich an die Freunde der Demokratie. Es ist keine Faselvorlage für Stammtische, sondern für die gedacht, die über den Tellerrand hinaussehen. Es ist sicher ein Stein des Anstoßes, der ins Wasser fällt und dort hoffentlich seine Kreise zieht.“

Reginald Grünenberg: Das Ende der Bundesrepublik. Demokratische Revolution oder Diktatur in Deutschland. Perlen Verlag, Berlin 2008, gebunden, 264 Seiten, 16,80 Euro

Foto: Grabplatte der Bundesrepublik: Finanziell, politisch und sozial am Ende

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen