© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/09 21. August 2009

Am eigenen Haken
Hochseefischerei: Kurzsichtige EU-Politik verstärkt Wanderungsbewegung übers Mittelmeer / Überfi schung vieler Arten
Michael Howanietz

Am 3. August war der vor Somalia gekaperte deutsche Frachter „Hansa Stanvanger“ wieder frei – nach vier Monaten Geiselhaft der Besatzung und einem millionenschweren Lösegeld. Doch trotz des Einsatzes hochtechnisierter westlicher Marineschiffe nimmt die Piraterie am Horn von Afrika kein Ende. Ehemalige Fischer narren Großmächte (JF 18/09) und erpressen von Reedereien Millionensummen.

Als die staatliche Ordnung in Somalia vor zwei Jahrzehnten zusammenbrach, nutzten ausländische Fangflotten das Machtvakuum und fischten in den somalischen Hoheitsgewässern. Ihrer Lebensgrundlage beraubt, griffen die somalischen Fischer zu den im Bürgerkriegsland reichlich vorhandenen Waffen – diese richten sich aber längst nicht mehr nur gegen fremde Fischkutter.

In anderen Gebieten Afrikas ist die europäische Agrar- und Fischereipolitik eine wesentliche Mitursache für die wachsenden Immigrantenströme von jenseits des Mittelmeers. Einerseits haben die hochsubventionierten Agrarexporte der EU zur Zerstörung funktionierender lokaler Märkte in Afrika beigetragen.

Andererseits zeigen fragwürdige Fischereipartnerschaftsabkommen eklatante Folgen. Solche wurden mit mehreren afrikanischen Staaten geschlossen – etwa mit Mauretanien, für das die jährlichen 86 Millionen Euro daraus eine der wichtigsten Deviseneinnahmen dieses Armenhauses des schwarzen Kontinents sind.

Die an seinen Küsten aktive EU-Flotte umfaßt 120 vorwiegend spanische Trawler. Die mauretanischen Fischer haben – ähnlich wie ihre Berufskollegen in Guinea und Guinea-Bissau – das Nachsehen. An Marokko bezahlte die EU zwischen 1995 und 1999 250 Millionen Euro für Fanglizenzen – ein doppelter Beitrag zur Überfischung der küstennahen Gewässer in Mittelmeer und Atlantik, denn mit diesem Geld wurde die Modernisierung der marokkanischen Fischindustrie, der Flotte und Häfen sowie der Bau von Fischereizentren und Forschungseinrichtungen finanziert.

Das Ergebnis: mehr und immer besser ausgerüstete Jäger gegen immer weniger Gejagte. 2006 wurde ein neues Abkommen geschlossen: Spanien darf 100 und Portugal 14 Kutter an die Küsten des nord­afrikanischen Königreichs entsenden. Bis 2011 wird Brüssel dafür 144 Millionen Euro bezahlen. Doch dies führt zum Ruin der ortsansässigen traditionellen Fischerei. Der Verband „Koalition für faire Fischerei“ (CFFA) schätzt, daß über ein Fünftel der in Europa eintreffenden afrikanischen Zuwanderer quasi „Fischerei-Migranten“ sind.

Bestätigt wird dieser Verdacht durch das Beispiel Senegal. Die effizientere EU-Konkurrenz und schwindende Bestände gefährden unzählige Arbeitsplätze in dem westafrikanischen Land, da etwa ein Sechstel der dortigen Bevölkerung in der Fischindustrie beschäftigt ist. Etliche Firmen haben bereits bis zu 60 Prozent ihrer Mitarbeiter entlassen.

Auch sie sind potentielle illegale Einwanderer, die sich eines Tages vor den Enklaven Ceuta und Melilla (JF 24/09), auf den Kanarischen Inseln (JF 51/06) oder im Süden Spaniens einfinden werden – spätestens dann müssen die Europäer ein zweites Mal für die unsägliche Fischereipolitik Brüssels bezahlen.

Doch diese hat auch eine dritte, ökologische Schattenseite. Denn es ist längst nicht nur der in den nördlichen Gefilden gefischte Kabeljau, dessen Bestände akut bedroht sind (JF 45/07). Zu den Arten, die einen Stammplatz auf der Roten Liste der bedrohten Meerestiere haben, zählen neben Delphinen auch Schwertfisch, Rochen, Zackenbarsch oder sämtliche Haiarten.

Als extrem gefährdet gilt speziell der Rote Thunfisch (Thunnus thynnus), dessen Populationen sich in den vergangenen drei Jahrzehnten um über 90 Prozent verringert haben. Zwar wurden Fangquoten erlassen, wegen der ausufernden – weil unkontrollierten – illegalen Fischerei bleiben diese aber weitgehend wirkungslos.

Verschärft wird die Lage des nicht nur in japanischen Sushi-Tempeln begehrten Speisefisches durch die zunehmende Zahl von Aquakulturen. Kleine, oftmals noch nicht geschlechtsreife Exemplare werden gefangen, in den Kulturen gemästet und – bevorzugt nach Japan, aber zunehmend auch in andere Länder – verkauft. Das ist angesichts der Knappheitspreise ein gutes Geschäft.

Die aquakulturelle Faustregel besagt, das für ein Kilo Thunfisch 20 Kilogramm Futterfische benötigt werden. Der blauflossige Thun ist demnach nicht der einzige Meeresbewohner, für den diese vordergründig umweltschonende Methode der Fischproduktion den Aufstieg zu den vorderen Plätzen der Roten Liste bedeutet. Auch dieser Umstand beschert den Europäern einen doppelten Negativeffekt. Die alljährliche Quallenplage an zahlreichen Küsten hat ihre Ursachen nämlich nicht in höherer Fügung, sondern ausschließlich im Fehlen der Freßfeinde und der damit verstärkten Vermehrung der Weichtiere.

Brüssel sollte besser heute als morgen erkennen: Wer lösbare Herausforderungen exportiert, importiert absehbar unlösbare Probleme.

Foto: Roter Thun oder Blauflossen-Thunfisch: Population hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten um 90 Prozent verringert

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