© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/09 21. August 2009

Fernseh-Dokumentation: Die Straftaten der Sowjetarmee in der DDR
Falsche Bruderliebe
Christian Dorn

Wer heute das Kürzel „DSF“ hört, denkt zuerst an das Deutsche Sport-Fernsehen. In der DDR verbarg sich dahinter jedoch die zu Propagandazwecken gegründete Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, eine Massenorganisation zur Camouflage der russischen Besatzung. Von deren Kommandozentrale in Wünstorf aus befehligte das Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland seinerzeit 400.000 Soldaten. 1945 als Besatzer eingezogen, hatten sie sich selbstherrlich als ein Staat im Staate eingerichtet. Daß die „Freunde“ oder der „Bruder“ pro Jahr durchschnittlich 2.000 Straftaten begingen – Verkehrs- und Schießunfälle, Diebstähle, Körperverletzungen, Vergewaltigungen und Mord –, wurde jahrzehntelang tabuisiert.

Erst mit Gorbatschows Machtantritt erlaubten sich die DDR-Medien auf Geheiß des SED-Politbüros, vereinzelt auch aktuelle Verbrechen stationierter Sowjetsoldaten öffentlich zu machen. Dennoch ist der Allgemeinheit bis heute, fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall, wenig darüber bekannt.

Dabei waren schon kurz nach Aufreißen des Eisernen Vorhangs erste filmische Aufarbeitungen erfolgt – bezeichnenderweise allein auf Betreiben der jeweiligen Autoren. Die Historikerzunft trug lieber Scheuklappen. So hatte die Regisseurin Helge Sander mit ihrem Film „BeFreier und Befreite“ (1992) die Massenvergewaltigungen am Ende des Zweiten Weltkriegs erforscht. Demnach waren in Berlin mindestens 100.000, in Gesamtdeutschland mindestens 1,9 Millionen Frauen von den Besatzern vergewaltigt worden. Die Regisseurin Freya Klier erinnerte in ihrem Dokumentarfilm „Verschleppt ans Ende der Welt“ (1993) an das Schicksal der etwa 500.000 deutschen Frauen, die zwischen Januar und April 1945 vom sowjetischen NKWD als „lebende Reparationen“ nach Rußland deportiert wurden und von denen über ein Drittel in russischen Massengräbern zurückblieb. Einen ersten filmischen Überblick über die Ära der Besatzung lieferte dann die Dokumentation „Roter Stern über Deutschland“ (2001), zu der die Historiker Stefan Wolle und Ilko-Sascha Kowalczuk das gleichnamige Buch veröffentlichten.

Hier nun setzt die dramatische Dokumentation der Autorin Simone Warias an. In ihrem Film „Verschlußsache ‘Waffenbrüder’“ rekapituliert sie das bislang kaum belichtete Kapitel über „Die Straftaten der Sowjetarmee“. Bei deren Verfolgung blieben den DDR-Behörden die Hände gebunden.

Denn obgleich die Besatzungszeit im Mai 1954 offiziell endete und die sowjetischen Streitkräfte im Jahr 1957 ein Abkommen mit der DDR schlossen, das die Zuständigkeit der DDR-Organe bei Straftaten von Sowjetsoldaten anerkannte, wurde letzteres blockiert. Beweismittel der DDR-Behörden wurden von sowjetischer Seite ignoriert, sowjetische Täterschaft geleugnet. Die Kommandeure griffen sogar in laufende Ermittlungen ein, etwa durch Zahlung eines Schweigegeldes durch das MfS wie im Fall des 13jährigen Mario Höflich, der von einem Wachturm gezielt beschossen wird, oder im Fall der 22jährigen Kerstin Menze, die am 12. März 1987 von drei Russen von der Straße weg vergewaltigt wird.

Im letzten DDR-Jahrzehnt steigt die Zahl der Delikte noch einmal rasant an. So häufen sich die von den Kommandeuren befehligten Beutezüge, deren Einbrüche in Betriebe und Kaufhallen zu einem jährlichen Schaden in Millionenhöhe führen.

Die immer brutaler werdenden Übergriffe auf die deutsche Bevölkerung bekommt auch Udo Gentikow zu spüren, der – in einer Bungalowsiedlung am Rande von Neuruppin – nur knapp einem Mordanschlag entgeht. Als zwei russische Soldaten bei dem Versuch scheitern, sein Auto zu stehlen, werfen sie auf ihrer Flucht hinterrücks einen Sprengkörper auf den jungen Mann, der zum Glück nur leicht verletzt wird: „Die haben hier ’ne Handgranate geschmissen – und keener wollt’s glauben“, so Gentikows Erinnerung. Dennoch dauert es nicht lange, bis sich die Wut der Anwohner äußert. Prototypisch ist die Reaktion von Ines Gentikow, der Ehefrau des Opfers: Zurück im Betrieb, kündigte sie sofort ihre Mitgliedschaft in der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft.       

Sendetermine: RBB, 27. August 2009 und MDR, 22. September 2009, jeweils um 22.05 Uhr

Foto: Täter-Gegenüberstellung: Sowjetsoldaten vergewaltigten in der DDR pro Jahr bis zu 60 Frauen

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