© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/09 28. August 2009

Fragwürdige Berechnungen
Umweltpolitik: Der Kohlenstoff-Fußabdruck soll Produkte und Dienstleistungen anhand ihrer Treibhausbilanz bewerten
Wolfhard H. A. Schmid

Angesichts der Klima- und Kohlendioxid-Debatte (CO2)wird seit dem letzten Jahr der sogenannte Kohlenstoff-Fußabdruck (Carbon Footprint) heiß diskutiert. Es handelt sich dabei um eine Berechnungsmethode, mit der sämtliche Treibhausgase ermittelt werden, die bei der Herstellung und dem Vertrieb eines Produktes entstehen und die dann in einer Bewertungszahl zusammengefaßt werden. Das Konzept stammt aus Großbritannien und wird dort zur Zeit getestet. Zu diesem Zweck hat die britische Regierung den Carbon Trust in London gegründet (www.carbontrust.co.uk).

Britische Regierung sieht sich als Vorreiter

Die Methode soll dazu beitragen, alle an der Prozeßkette beteiligten Treibgas-Verursacher von der Herstellung bis zum Vertrieb eines Produktes rechnerisch zu erfassen und so zu einer gerechteren Bewertung von Treibhausgasen zu kommen. Neben anderen europäischen Ländern will sich auch Deutschland als Vorreiter anschließen. Schließlich hat sich die Bundesregierung unter „Klima-Kanzlerin“ Angela Merkel die Selbstverpflichtung auferlegt, in Umweltfragen eine Vorbildfunktion einzunehmen.

Das Rechenmodell sieht wie folgt aus: Bei einem zur Bewertung anstehenden Produkt werden Energie- und Rohstoffverbrauch, Treibhauseffekt, Sommersmog, Versauerung, Überdüngung, Umweltgifte und die Abfallproblematik bei der Herstellung und anschließenden Nutzung bis zu seinem Lebensende in all seinen Lebenszyklusphasen betrachtet. Es wird eine Sachbewertung hinsichtlich Ressourcen, Abfällen und Emissionen durchgeführt. Das Ergebnis kann von den an der Berechnungsaktion teilnehmenden Unternehmen in Form eines auf der Verpackung angebrachten Gütesiegels oder in anderer Form bekanntgemacht werden. Je niedriger die Zahl, desto „ökologischer“ ist das Produkt. Werte über 1 belasten die Natur, Werte unter 1 kennzeichnen ein nachhaltiges Produkt. Der Carbon Trust propagiert die Angabe des konkreten Wertes des vom Produkt verursachten CO2-Ausstoßes (in Gramm/Portion). Laut Umweltbundesamt produziert jeder Bundesbürger im Durchschnitt pro Tag umgerechnet 30 Kilogramm CO2.

Ob der Kohlenstoff-Fußabdruck in seiner derzeitigen Form ein realistisches Hilfsmittel zur Bewertung der Umweltbelastung ist, wird aber bezweifelt. So wurde während der jüngsten Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt (AGVU) speziell vom Institut für Energie und Umweltforschung (IFEU) kritisiert, daß der Carbon Footprint (CF) eine Simplifizierung gegenüber den eingeführten Ökobilanzen darstellt. Eine Reihe wichtiger Umweltaspekte werde bewußt ausgeblendet. So gebe es in Europa bereits eine wachsende Anzahl von unterschiedlichen CF-Initiativen. Deren größtes Problem sei aber, daß Methoden entwickelt würden, ohne den Zweck des CF präzise zu definieren. „Albert Einstein sagte, daß alles so einfach wie möglich sein sollte, aber nicht noch einfacher“, erklärte AGVU-Chef Werner Delfmann. Und genau da setzten die Fragen. Es sei zwar richtig, der Öffentlichkeit Klimarelevanz und Konsum plakativ vor Augen zu führen, aber vor einer Umsetzung auf dem Markt müsse sich die wissenschaftliche Tragfähigkeit und Verantwortbarkeit erwiesen haben.

Unternehmen fürchten Wettbewerbsverzerrungen

Viele Hersteller befürchten bei einer überhasteten CF-Einführung eine Verzerrung des Wettbewerbs. So hat auch der Verband der Wellpappenhersteller (VDW) vor Monaten zu diesem Thema bereits Stellung genommen. Man sei erfolgreich gerichtlich gegen eine Studie der Stiftung Initiative Mehrweg (SIM) vorgegangen, welche die Interessen der großen Poolanbieter wie Ifco und Europool vertritt und auf einem Gefälligkeitsgutachten der PE International Stuttgart beruht. Das Oberlandesgericht Brandenburg hat seit März 2008 das Werben für PET-Kunststoffverpackungen mit Ergebnissen dieser SIM-Studie untersagt. Dazu teilte der Verband mit, daß die in den Niederlanden 2008 eingeführte Verpackungssteuer bereits auf dem Kohlenstoff-Fußabdruck beruht.

Die von dem im niederländischen Delft ansässigen und unabhängigen CE-Institut ausgearbeitete Studie zeigt aber, daß die Bewertung von Glas mit 1,0 und die von Papier, Karton sowie Pappe mit 1,5 dem Kunststoff mit 7,5 weit überlegen sei. In diesem Gesamtbild kann die Papierindustrie auch nicht fehlen. Einer der weltgrößten Papierkonzerne, die finnische UPM-Kymmene, hat selbst eine Berechnung durchgeführt und bietet seinen Kunden an, sie bei ihrer eigenen CF-Erstellung zu unterstützen. Ein Hauptargument der Branche gegen das britische Berechnungskonzept besteht darin, daß der Faserstoff für die Papierherstellung aus nachwachsenden Rohstoffen besteht und dies viel zu wenig bei der ganzheitlichen Betrachtung berücksichtigt wird. Selbst Papiererzeugnisse, die nur aus Altpapier bestehen, sind davon betroffen.

Die durch den Aufbereitungsprozeß von Altpapier belasteten Fasern lassen etwa eine fünfmalige Wiederaufbereitung zu, weil jedesmal die Papierfestigkeit abnimmt. So ist es unabdingbar, daß wiederverwendetes Altpapier einen hohen Anteil von nativen Zellstoffasern benötigt, um die zur Herstellung und Verarbeitung erforderliche Papierfestigkeit zu gewährleisten. So gesehen muß auch eine umweltstützende Forstwirtschaft in die Berechnung einbezogen werden. Der Dachverband der europäischen Papierindustrie CEPI entwickelt deshalb eine eigene Berechnungsmethode für Papier- und Kartonerzeugnisse.

Sicher sind all diese Bemühungen, ein Berechnungsmodell für die korrekte Erfassung der Umweltbelastung von Produkten zu finden, sehr lobenswert. Die Aktivitäten in dieser Richtung machen aber auch deutlich, daß für eine Berechnungsmethode, die alle Parameter berücksichtigt, noch einige Arbeit erforderlich ist und daß bis dahin ein Kohlenstoff-Fußabdruck von manchen Wirtschaftskreisen für Marketingzwecke mißbraucht werden könnte.

Kohlenstoffrechner der EU im Internet: www.mycarbonfootprint.eu/de/

Der CO2-Rechner von Greenpeace: www.greenpeace.klima-aktiv.com/?cat=person 

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen