© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/09 28. August 2009

Von Madrid in die Ecke gedrückt
Ingo Niebel nimmt in seinem kenntnisreichen Porträt des Baskenlandes Partei für die Linksnationalisten
Martin Schmidt

Das Buch von Ingo Niebel über das Baskenland schließt eine Publikationslücke, zumal die letzten deutschsprachigen Bücher über den dortigen Konflikt mindestens ein Jahrzehnt alt sind und ihr Berichtszeitraum in den späten Achtzigern endet. Dem Leser wird schnell klar, daß der Autor zwar um eine umfassende, bis zu den Anfängen baskischer Geschichte zurückreichende Darstellung der Hintergründe dieses „Krisenherds Nr. 1“ in der Europäischen Union (so Marc Bonnefous, früherer französischer Botschafter in Madrid) bemüht ist, aber auch eindeutig Stellung bezieht.

Ingo Niebel wurde 1975 geboren, ist Historiker und Journalist und lebt wechselweise in Köln und Gernika (spanisch Guernica). Vor allem arbeitet er als Europa-Korrespondent für die baskische Zeitung Gara und den Hörfunksender Radio Euskadi sowie allwöchentlich für die linksradikale Berliner Tageszeitung Junge Welt. Letzteres macht die Querverbindungen deutlich, die zwischen den linksnationalistischen Unabhängigkeitskämpfern im Baskenland mit deren sozialistischer gesellschaftspolitischer Ausrichtung einerseits und marxistischen deutschen Nostalgikern andererseits bestehen.

Blendet man die ideologischen Begrenzungen dieser eigenartigen Allianz aus, wie sie sich bei Niebel beispielsweise in den wiederholten Rechtfertigungen für sein begriffliches Koordinatensystem (Volk, Nation) oder in seiner grob einseitigen Darstellung des Spanischen Bürgerkriegs offenbaren, so haben die publizistischen Konsequenzen doch ihren Reiz. Das gilt für die gut informierte aktuelle Basken-Berichterstattung der Jungen Welt ebenso wie für Ingo Niebels neues Buch, das schwerpunktmäßig die jüngste Entwicklung bis Ende 2008 beschreibt.

Niebel verortet sich schon in der Einleitung mit erfrischender Ehrlichkeit: „Da pure Objektivität im Journalismus nicht existieren kann, stellt sich die Frage, wie ich mich als Autor in der Auseinandersetzung über den baskischen Konflikt positioniere. Eine frühe Standpunktbestimmung mag politisch wie verkaufstaktisch unklug erscheinen, aber die langjährige Erfahrung mit dem Thema und die Madrider ‘political correctness’ zwingen mich dazu. Wer nicht per se das baskische Anliegen nach Anerkennung der nationalen Identität, Territorialität und des Rechts auf Selbstbestimmung verdammt, steht sofort im Verdacht, den ‘Terrorismus’ gutzuheißen.“

An diesem Punkt werden willkürliche Mechanismen des spanischen Zentralstaates wirksam, die der Autor mit gutem Grund ablehnt und mit schonungsloser Offenheit der Argumentation beantwortet. Noch einmal O-Ton Niebel: „Die Situation hat sich in den letzten zehn Jahren dramatisch verschlechtert, weil die spanische Justiz sich mittlerweile anmaßt zu bestimmen, wer zur ETA gehört und wer nicht. Um dieses Kriterium zu erfüllen, muß man keinen bewaffneten Kampf mehr führen: Im Jahr 2008 reicht es – um verhaftet und verurteilt zu werden – vollkommen aus, wenn man einer zivilgesellschaftlichen Struktur angehört, von der die Justiz annimmt, sie gehorche den Befehlen der ETA.“ Eine völlig neutrale Haltung kann es schon deshalb nicht geben, weil bereits durch die Verwendung von geographischen Begriffen – sprich: den baskischen oder den spanischen Bezeichnungen – für das historische Baskenland mit seinen vier Provinzen im spanischen Königreich und weiteren drei im französischen Staat zwangsläufig Position bezogen wird.

Besonders informativ sind unter anderem Niebels Ausführungen über den drastischen Geburtenschwund des baskischen Volkes mit seinen insgesamt knapp drei Millionen Einwohnern, über die wirtschaftliche Lage dieser Region, die in etwa die Größe Sachsen-Anhalts hat, sowie über die einzigartige Landessprache Euskara, deren Ursprünge noch immer im Dunkeln der Geschichte liegen. Sehr detailliert fallen auch die Kapitel zum linksnationalistischen und bürgerlich-nationalen Parteien- und Organisationsspektrum dieser Grenzregion aus, die nicht von ungefähr seit der Franco-Zeit die höchste Polizeidichte Europas aufweist. Zu den Mängeln gehört Niebels verharmlosende Darstellung der Eintreibung sogenannter „Revolutionssteuern“ seitens der ETA ebenso wie die unzureichende Reflexion der im internationalen Vergleich mit anderen extremistischen europäischen Organisationen (etwa auf Korsika) besonders brutalen Vorgehensweise der Etarras mit ihren zahlreichen Autobombenanschlägen an öffentlichen Orten und den häufigen Erschießungen unliebsamer Personen.

Alles in allem handelt es sich dennoch um ein lesenswertes Buch, das noch besser geraten wäre, wenn der Verfasser auf das Schlußkapitel mit seiner linken Binnendiskussion über das Für und Wider der Leninschen Nationalitätenpolitik versus Rosa Luxemburgs entschiedener Absage an jedweden „bürgerlichen“ Nationalismus verzichtet hätte. Vorteilhaft wäre auch eine etwas spätere Veröffentlichung gewesen, denn dann hätte das historische Ergebnis der Regionalwahl vom 1. März noch in Niebels ausführlichen Schlußteil einbezogen werden können. Erstmals nach dem Ende der Franco-Zeit wird die künftige Regionalregierung in Vitoria nämlich nicht mehr von der Baskisch Nationalen Partei (EAJ/PNV) mit ihrem seit 1999 amtierenden bisherigen Ministerpräsidenten Juan José Ibarretxe gestellt, sondern von einer spanisch-zentralistischen Koalition aus Sozialisten und bürgerlicher Volkspartei. Dieser Wechsel wurde jedoch nur möglich, weil im Vorfeld der Wahl zwei Parteien des linksnationalistischen Spektrums (D3M und Askatasuna) vom Obersten Gerichtshof in Madrid verboten worden waren (JF 10/09).

Aber auch so macht dieses Werk von Ingo Niebel einen aus deutscher Sicht doch recht weit entfernten ethno-kulturellen Konflikt verständlicher, wobei unter anderem die Bedeutung der Schilderungen der baskischen Gesellschaft durch den preußischen Universalgelehrten und Staatsmann Wilhelm von Humboldt ins Bewußtsein tritt. Außerdem stößt der Leser immer wieder auf einen politisch folgenreichen „baskischen Wesenszug“, der an eine hervorstechende Nationaleigenschaft der Deutschen erinnert: den – so Niebel – ausgemachten „Hang, sich von anderen abzugrenzen“.

Fotos: Altstadt im baskischen Vitoria-Gasteiz mit San Pedro Apóstol: Hispanisierung und Geburtenschwund, ETA-Mitglieder bei einer Kundgebung zum „Tag des baskischen Kämpfers“, 9. Januar 2008: Höchste Polizeidichte Europas

Ingo Niebel: Das Baskenland. Geschichte und Gegenwart eines politischen Konflikts. Promedia Verlag, Wien 2009, kartoniert, 256 Seiten, 17,90 Euro

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