© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/09 04. September 2009
Der Linksruck Die kurzfristige Botschaft, die von den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland ausgeht, lautet: Ein Sieg der Union und der FDP steht keineswegs fest. Langfristig und strategisch haben die Wahlen besiegelt, was sich längst abzeichnete: Die Linkspartei hat sich bundesweit etabliert, aus dem Vierparteien- ist ein Fünfparteiensystem geworden, die vorbehaltlose Akzeptanz der Linken im Westen ist nur noch eine Frage der Zeit. Ist das die Vollendung der inneren Einheit? Die Einwohnerzahlen der alten und der neuen Länder stehen ja ebenfalls im Verhältnis 4 zu 1 zueinander. Das wäre eine formale und naive Interpretation. Wer die Parteiendemokratie inhaltlich definiert, wer darunter den Ausdruck widerstreitender Interessen und Sichtweisen versteht, die in der Summe das Allgemein- und Gesamtinteresse abdecken, der kann die aktuelle bundesdeutsche Variante lediglich für eine machtgestützte und machtgeschützte Fiktion halten. Der inhaltsleere Bundestagswahlkampf bestätigt den fiktionalen Charakter. Statt an der politischen Begrifflichkeit zu arbeiten, werden Farbspiele erörtert: Jamaika, Schwarz-Gelb, Rot-Grün, Ampel, Schwarz-Rot. Das wirkt um so infantiler, weil den Farben und Farbkombinationen keine wirklich unterscheidbaren Inhalte und Ausrichtungen zugeordnet werden können. Begründet wird das mit dem Ende der Ideologien, die vom Pragmatismus abgelöst worden seien. Doch dieses Argument sticht nicht. Welche wichtige Sachfrage wäre in den letzten Monaten nüchtern durchdiskutiert worden? Zum Beispiel die Gefahr, daß der Staat sich seiner Schuldenlast durch Inflation entledigt und die privaten Vermögen und Ersparnisse entwertet. Wieviel Blut darf der Afghanistan-Krieg kosten? Wie verträgt sich die Rentengarantie mit der sinkenden Anzahl der Rentenbeiträger? Andere Fragen unterstehen einem parteiübergreifenden regelrechten Tabu: Die von der politischen Klasse betriebene Entmündigung des Demos durch Brüssel. Die Risiken eines EU-Beitritts der Türkei. Der zunehmende Druck auf Politik und Gesellschaft durch den Islam. Die Kosten der falschen Zuwanderung. Das zunehmende Gesinnungsstrafrecht usw. Weil solche wichtigen Fragen unterdrückt werden, fühlen immer weniger Wähler ihre Interessen von der Parteiendemokratie vertreten. Sie resignieren, eine Wahlbeteiligung weit unter 60 Prozent ist die Regel. Politiker und Medienvertreter beantworten das mit pflichtgemäßem Bedauern über die Politikverdrossenheit, denn zur Fiktion gehört es, daß das Parteiensystem der Allgemeinheit dient und von ihrer Zustimmung abhängt. Aber selbst dieses Lippenbekenntnis klang jetzt auffällig dezent. Warum sollte der Rückzug der Wähler sie auch ernsthaft bekümmern? Die Zahl der zu verteilenden Posten und die Intensität der ausgeübten Macht ist von der Wahlbeteiligung gänzlich unabhängig. Infantilisierung und Entpolitisierung sind vollständig nur zu erfassen, wenn man
sie dialektisch begreift. Sie finden auf der Basis eines weit nach links
verschobenen Konsenses der Demokraten statt, sie befestigen ihn und stellen
somit gleichfalls ein Politikum dar. Von diesem Konsens aus werden viele der
ausgesparten Themen als rechts bezeichnet, ihre Zurückweisung bzw.
Unterdrückung erfolgt gleichsam instinktiv. Versuche, sie über alternative
Parteien in den Kreislauf der Parteiendemokratie einzubringen, beantwortet das
System mit Ausgrenzung. Das heißt, brennende politischen Fragen werden weder
politisch-intellektuell noch pragmatisch beantwortet, sondern als ideologisches
und technisches Problem behandelt: Man erklärt sie als unstatthaft und
unterbindet ihre öffentliche Formulierung. Falls es im September für Union und FDP nicht reicht, ist folgendes Szenario wahrscheinlich: Müntefering und Steinmeier als Wahlverlierer werden zu Randfiguren. Zunächst wird die Große Koalition neu aufgelegt und eher schlecht als recht regieren. Zum gegebenen Zeitpunkt werden jüngere Sozialdemokraten einen großen Krach inszenieren, sei es wegen einer überteuerten Bankenrettung oder wegen der Maulerei der CSU über die doppelte Staatsbürgerschaft. Daraus wird die Notwendigkeit neuer politischer Mehrheiten abgeleitet. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, der sich in Lauerstellung befindet, hat das 2001 in der Hauptstadt vorgeführt. Den Ehrgeiz, sein landespolitisches Gesellenstück im Bund zu wiederholen, besitzt er jedenfalls. Es wird dann zu keinen revolutionären Enteignungswellen kommen, nur zu permanenten Nadelstichen gegen angeblich Besserverdienende und zum Ausbau des Antidiskriminierungs-, Gleichstellungs- und Betreuungsapparats. Die vagabundierenden ideologischen Energien werden sich in politischen Repressionen und Hexenjagden entladen, die den Konsens der demokratischen Parteien noch weiter nach links rücken. Das Wahlergebnis ist also alles andere als harmlos. |