© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

„Der Wahlkampf wird doch noch spannend!“
Die Linke siegt, die SPD rückt nach links. Die Landtagswahlen zeigen: Lagerwahlkampf ist die Zukunft
Moritz Schwarz

Herr Professor Patzelt, wird der Bundestagswahlkampf nun doch noch spannend?

Patzelt: Für Kundige ist er jetzt schon spannend: Wird das bürgerliche Lager oder die Linke gewinnen? Und falls die Parteien den Wahlkampf um genau diese Frage führten, dann würde er auch für weniger Interessierte spannend. Doch bislang bemüht sich nur die FDP, das zum Wahlkampfthema zu machen. Hingegen versucht die Kanzler-Präsidentin zu beschweigen, daß ihre Partei faktisch einen Lagerwahlkampf führt.

In Thüringen und an der Saar hat es für Schwarz-Gelb allerdings nicht gereicht. Ein Menetekel für die Bundestagswahl?

Patzelt: Nein, sondern die Quittung für eine Landespolitik, die es nicht verstanden hat, das in sie gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen. Es war Peter Müller in Saarbrücken lange Zeit Unlust am Regierungsgeschäft anzumerken, und Dieter Althaus in Erfurt war auch schon während der Legislaturperiode in der Wählergunst gesunken.

Kann sich die Bundes-CDU aber vielleicht das Ergebnis in Sachsen an die Fahne heften?

Patzelt: Wieder nein, denn auch das ist Folge der Landespolitik. Stanislaw Tillich hat nicht nur der Union wieder ein freundliches Gesicht gegeben, sondern außerdem – anders als die Kollegen im Saarland und in Thüringen – das Thema „soziale Gerechtigkeit“ nicht links liegenlassen. Selbst die Bundes-CDU macht sich seit geraumer Zeit durch sogenannte „Sozialdemokratisierung“ an der linken Flanke schwerer angreifbar. Und wenn die Kanzlerin sogar ihrerseits „soziale Gerechtigkeit“ stärker betonen will, ist das der nächste Lernschritt.

Wieso eigentlich Lagerwahlkampf? Das Problem von CDU und SPD ist doch nicht Polarisierung, sondern ihre Ununterscheidbarkeit.

Patzelt: Das ist die falsche Interpretation einer richtigen Beobachtung! Denn zwar gibt es solche politischen Überschneidungen; doch sie sind weitgehend aufgezwungen. Die Agenda 2010 etwa war keine Herzensangelegenheit der SPD, sondern wurde ihr von Schröders Regierung nur aus taktischen Gründen auferlegt. Seither gehen viele Linke zur SPD auf weite Distanz. Und die CDU hat sich auch nicht freiwillig von ihren – etwas sehr mutwillig – in Leipzig beschlossenen Ordnungsvorstellungen getrennt. Vielmehr steckt ihr der Schock der Fast-Niederlage von 2005 in den Knochen. Deswegen bemüht sie sich bis zur Selbstverleugnung, nicht wieder als sozial kalte, die einfachen Leute ignorierende Partei denunziert zu werden. Zweifellos empfänden viele CDUler die Koalition mit der FDP als Befreiung und kehrten dann zu ihren eigentlichen Ordnungsvorstellungen zurück. Gleiches gilt für die SPD.

Die sich durch die Krise verschärfende wirtschaftliche Lage führt also zu einer Neujustierung der Berliner Republik?

Patzelt: Weniger die Wirtschaftskrise als vielmehr die Tatsache, daß unser Parteiensystem sich aufgefächert hat, ist der Grund. Mit fünf oder sechs Parlamentsparteien kann man nur noch selten allein oder mit nur einer einzigen weiteren Partei die Regierung bilden. Dann aber folgt die Regierungsbildung im wesentlichen der Lagerlogik.

Nicht eine Partei, sondern ein Lager siegt.

Patzelt: Eben, und den Regierungsauftrag erhält das Lager, nicht aber notwendigerweise die Partei mit den meisten Mandaten. Genau das ist die in Thüringen und im Saarland eingetretene Lage. Dann mit einer lagermäßig geschlagenen, wenn auch mandatsstärksten Partei trotzdem die Regierung zu bilden, hieße nur: Durch Koalitionsmanöver wird das Wählersignal ignoriert. Man kann das leicht auf Bundesebene nachvollziehen: Selbst wenn am 27. September die SPD ihr einzig realistisches Wahlziel erreicht und sich weiterhin als Juniorpartner der Union verdingen darf, wird sie nach spätestens zwei Jahren den Absprung zu einer – rechtzeitig als gewandelt auszugebenden – Linkspartei versuchen müssen; andernfalls würde sie nach sächsischem Muster zwischen Union und Linkspartei aufgerieben. Deshalb wird die Antwort auf die Zentralfrage eines Lagerwahlkampfs – „rechts oder links?“ – bis zum Bundestagswahlsonntag allenfalls aufgeschoben, doch nicht aufgehoben.

 Droht die SPD endgültig zu einer linken Partei unter vielen zu werden?

Patzelt: Die SPD hat da wirklich ein strategisches Problem. Es begann damit, daß sie von jeher die Partei war, die auf politische Visionen ausging, welche die jeweilige Gegenwart übersteigen. Doch inzwischen sind die meisten einstigen Utopien verwirklicht und ist unser Staat stark nach sozialdemokratischen Ideen ausgestaltet. An ihre Rolle als Partei der Visionen gewöhnt, versucht die SPD aber weiterhin, einen solchen „Utopieüberschuß“ zu vertreten.

Was die SPD in Oppositionszeiten so beliebt macht.

Patzelt: Ja, doch er läßt sie auch stets in publizistische und populäre Ungnade fallen, wenn sie als Regierungspartei anfängt, die Wirklichkeit auch so akzeptieren, wie sie ist. Dann entstehen neue Parteien zur Linken der SPD, welche deren utopieverwaltende Rolle erfüllen und deshalb das Original immer älter aussehen lassen – wie die Grünen seit den achtziger Jahren und die WASG/Linkspartei seit 2004. Die jetzt gesamtdeutsche Linkspartei kann wirklich alles viel schöner und klarer sagen, was ein redlicher Sozialdemokrat auch so denkt und wünscht – nur von der eigenen Partei nicht mehr so glaubwürdig wie früher hört. Zur letzteren Konkurrenz hat die SPD im Osten sogar selbst beigetragen: Gleich nach 1990 öffnete sie sich dort nicht für reformwillige SED-Mitglieder; die blieben in der PDS und schufen als tüchtige Kommunal- und Landespolitiker die Voraussetzungen für deren späteren Erfolg; dann erkannte die SPD, daß es – um die CDU zu schlagen – der Zusammenarbeit mit der im Osten reputierlich gewordenen PDS bedürfe; also bequemte man sich über die Magdeburger Tolerierung zu rot-roten Koalitionsregierungen; und jetzt drängt alles hin auf den abschließenden Schritt: Die SPD akzeptiert als Juniorpartner einen Regierungschef der Linkspartei. Tut sie das nicht, so droht ihr im Osten das sächsische Schicksal: Man regiert zwar als Juniorpartner mit – doch der Bürger wählt anschließend die neue Hauptverwaltung politischer Utopie.

Empfehlen Sie der SPD ernstlich die Zusammenarbeit mit der Linkspartei?

Patzelt: Ja, denn ohne Politikwechsel gibt es keine aufs neue starke SPD. Was zu neuer Stärke führt, taugt aber nicht als Wahlkampfhit: Die SPD muß in die Opposition, dort nach links rücken, mit der Linkspartei ein Klima der Kollegialität herstellen – und auf den Tag warten, an dem tüchtige, pragmatische Linke ihre durch Zulauf westdeutscher, auch junger ostdeutscher, linker Sektierer herabgewirtschaftete Linkspartei verlassen wollen, nämlich hin zur SPD als klar linker,
doch pragmatischer Regierungspartei.

Ist dieser Rat moralisch zu verantworten? Immerhin ist die Linkspartei die SED.

Patzelt: Nein! Die Linkspartei stammt zwar von der SED ab, ist aber mit ihr ebensowenig identisch wie ein Kind mit seinen Eltern.

Die NPD ist mit dem Dritten Reich noch viel weniger identisch als die Linkspartei mit der DDR – dennoch wird bei ihr ständig mit der deutschen Vergangenheit argumentiert.

Patzelt: Im Fall der Linkspartei ist die Abkehr vom Extremismus von vielen Politikern, die in politischer Verantwortung stehen, glaubwürdig vollzogen worden. Das fehlt bei der NPD.

Die Republikaner haben sich seit Jahren streng vom Extremismus abgegrenzt und sind aus den Verfassungsschutzberichten gestrichen worden – geholfen hat es ihnen nichts. Während man in der Linkspartei nach Herzenslust mit Mauer, DDR und militanten Linksextremisten im In- und Ausland kokettiert bzw. kooperiert.

Patzelt: Das kommt schon vor! Doch diese Leute prägen nicht das Gesamtbild der Partei. Das tun Leute wie Bisky als ehrliche Haut, Gysi als ironischer Medienstar, Lafontaine als egomanischer Populist oder Sachsens Julia Bonk als redliche Linke. Sie alle arbeiten mit dem Erbe einer diktatorischen Partei – doch inzwischen als faire Konkurrenten innerhalb pluralistischer Demokratie. Und anders als die Republikaner, denen die Union das Spielfeld zustellte, bekamen sie jahrelang von der SPD breiten Entfaltungsraum zugestanden.

Sie sehen selbst die Linkspartei künftig „linken Sektieren“ anheimfallen. Also ist die Linkspartei doch von ihnen durchsetzt!

Patzelt: Doch gerade im Osten viel weniger als im Westen! Deshalb wird sich die Westausdehnung der PDS noch als Pyrrhussieg erweisen. Womöglich hat die Linkspartei ihre besten Zeiten bald hinter sich.

Die NPD hat am Sonntag in Sachsen erheblich eingebüßt: 3,6 Prozent. Warum?

Patzelt: Ein großer Teil der NPD-Stimmen von 2004 stammte von Protestwählern, die gegen Hartz IV und gegen ein Staatswesen bzw. Wirtschaftssystem stimmen wollten, das sie – wie im Osten zunächst von der Linken propagiert – für völlig mißlungen halten. Diesmal aber fehlte eine aktuelle Protestwoge; so blieb als Wahlmotiv die grundsätzliche Systemfeindschaft. Wer sie hegt, wählt weiterhin NPD – und ein großer Teil der anderen ehemaligen NPD-Wähler ging gar nicht zur Wahl oder kehrte zurück zur CDU.

Dennoch betrachtet die NPD ihr Ergebnis als Sieg: Es sei gelungen, eine Stammwählerschaft über der Fünf-Prozent-Hürde aufzubauen.

Patzelt: Das ist nicht falsch. Die NPD hat wirklich dieses Ziel erreicht – einesteils dank der niedrigen Wahlbeteiligung in Verbindung mit die eigene Kundschaft mobilisierender Propaganda, andernteils durch harte Arbeit im vorpolitischen Raum und beim Plakatwahlkampf. Hinter diesem Erfolg stehen aber keine für unser Gemeinwesen konstruktiven Positionen, und deshalb kann man ihn nicht loben.

Die Republikaner sind in Baden-Württemberg ebenfalls erst erneut eingezogen – und dann doch aus dem Landtag geflogen.

Patzelt: Das kann der NPD auch noch passieren. Allerdings hat sie es in etlichen Gegenden Sachsen erreicht, als „normale“ Partei angesehen zu werden. Auch ist sie für junge Leute überdurchschnittlich attraktiv, vor allem für Männer. Also muß man mit der NPD weiterhin rechnen.

In Thüringen hat sie mit 4,3 Prozent ihr Ergebnis weit mehr als verdoppelt, aber den Einzug in den Landtag klar verpaßt. Ist das nun ein Sieg oder eine Niederlage für die NPD?


Patzelt: Beides! Einesteils hat die NPD dort, wie 2004 in Sachsen, viele Stimmen von aus vielerlei Gründen protestierenden ehemaligen Nichtwählern bekommen, desgleichen von der ihre Integrationskraft einbüßenden CDU. Diese Stimmen können – wie jetzt in Sachsen – das nächste Mal wieder verlorengehen. Und entgangen ist der NPD dort ohnehin, trotz großem Stimmenzuwachs, jenes viele Geld und Personal, das eine Parlamentsfraktion einbringt.

Überproportional viel Aufmerksamkeit gibt es in den Medien für die Piratenpartei. Zwar ist sie nur in Sachsen angetreten, hat aber auf Anhieb 1,9 Prozent erzielt. Könnte sie in Zukunft eine ernstzunehmende Rolle spielen?

Patzelt: Nein, auch sie ist eine randständige Petitesse und besitzt nicht einmal den Unterhaltungswert der Horst-Schlämmer-Partei. Das alles gehört klar zur Abteilung „politischer Unsinn“. Vielleicht hilft es auch einer klareren Einschätzung des NPD-Problems, wenn man sich vor Augen führt, daß die Rubrik „Andere“ bei der Zusammenstellung des Wahlergebnisses, die ihrerseits nur Unsinns-, Sektierer- und aussichtslose Idealistenparteien umfaßt, in Sachsen mit 6,2 Prozent der Stimmen auf einen größeren Wähleranteil als die NPD kam. Wähler zu mobilisieren, hat also nicht an sich schon demokratischen Mehrwert. Das sollte man auch bei allen Diskussionen um die Höhe der Wahlbeteiligung bedenken.

 

Prof. Dr. Werner Patzelt: Der Politikwissenschaftler an der TU Dresden gehört zu den medial gefragtesten politischen Beobachtern im Freistaat Sachsen. 1953 in Passau geboren, war er nach der Wende Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft an der TU Dresden, der größten Universität in Sachsen, und hat dort seit 1992 den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich inne. 1994 erhielt er den Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestags für seine Arbeit „Abgeordnete und Repräsentation. Amtsverständnis und Wahlkreisarbeit“.

 

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