© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

Erdrutsch im Land der aufgehenden Sonne
Japan: Die oppositionellen Demokraten unter Hatoyama lösen die dauerregierenden Liberaldemokraten ab / Neuer Kurs in der Außenpolitik?
Albrecht Rothacher

Ein halbes Jahrhundert waren die Japaner den konservativen Liberaldemokraten (LDP) treu. 2005 bescherten sie dem charismatischen Reformer Junichiro Koizumi sogar einen Erdrutschsieg. Jetzt ging der Erdrutsch in die andere Richtung: eine Zweidrittelmehrheit für die oppositionellen Demokraten im Unterhaus (Shūgiin). Die Wähler im Land der aufgehenden Sonne haben aber nicht aus Begeisterung für die Demokraten (DPJ) gestimmt, sondern weil sie die Nase voll hatten von der LDP, die in drei Jahren drei Premiers verschliß, sich ständig neue Korruptionsaffären leistete und die Staatsschuld auf 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochtrieb (JF 31/09).

So wurden selbst mächtige LDP-Minister in ihren durch jahrzehntelange teure Wahlkreispflege sicher geglaubten Hochburgen von politisch unerfahrenen Jünglingen oder Frauen besiegt: Die DPJ gewann 221 der 300 Direktwahlkreise (+169), die LDP nur noch 64 (-155). Zusammen mit den 87 DPJ-Mandaten (42,4 Prozent) aus der Verhältniswahl (+26), den insgesamt sieben Mandaten der Sozialdemokraten (SDP/4,3 Prozent) und den drei der konservativen Neuen Volkspartei (PNP/1,7 Prozent) hat der künftige Premier Yukio Hatoyama 318 der 480 Abgeordneten auf seiner Seite. Daß die DPJ selbst nur ein Sammelsurium von Ex-LDPlern sowie fusionierter Kleinparteien der Rechten, Mitte und Linken ist, die sich weiterhin intern in Fraktionen organisiert bekämpfen, unterstreicht den Wählerfrust: Hauptsache nicht wieder LDP. Die mit der LDP verbündete buddhistische Kōmeitō (11,5 Prozent/21 Sitze), die oppositionellen Kommunisten (7 Prozent/9 Sitze) und die neue „Partei aller“ (Minna no Tō) des Ex-LDP-Ministers Yoshimi Watanabe (4,3 Prozent/5 Sitze) sowie andere Kleinparteien spielen keine Rolle. Dafür erhält die LDP für ihre 26,7 Prozent aus der Verhältniswahl immerhin weitere 55 Sitze.

Mehr als unbezahlbareAusgabenprogramme?

Der 62jährige Hatoyama, der wegen seines etwas zerstreut-professoral dozierenden Auftretens den Spitznamen „Alien“ trägt, will Mitte September die neue Regierung bilden. Dann muß er mit seinen unerfahrenen Ministern mit der mächtigen Ministerialverwaltung zusammenarbeiten, die er im Wahlkampf nur beschimpft hatte. Er selbst kann zwar auf einen erlauchten politischen Stammbaum zurückblicken: Der Urgroßvater war Parlamentspräsident, Großvater Ichirō Premierminister (1954/56, von den Amerikanern während der Okkupation gesäubert, weil er in der Vorkriegszeit Unterrichtsminister gewesen war), der Vater Außenminister und Bruder Kunio noch vor kurzem Innenminister des gescheiterten Premier Tarō Asō. Hatoyama selber fehlen Ministererfahrungen.

1993 hatte er die LDP verlassen und in der nur acht Monate dauernden chaotischen Anti-LDP-Koalition unter Morihiro Hosokawa kurzzeitig als stellvertretender Chefkabinettssekretär gedient. 1996 gründete er mit dem Geld seiner Mutter (die den inzwischen weltgrößten Reifenkonzern Bridgestone geerbt hatte) die DPJ, die wie ein Staubsauger im nächsten Jahrzehnt eine politische Kleingruppe nach der anderen aufsog. Politisch einigte man sich auf nichts anderes als auf unbezahlbare Ausgabenprogramme: Das Kindergeld soll bis zur Mittelschule auf umgerechnet 200 Euro verdoppelt werden, großzügige Direktzahlungen an Landwirte und Fischer eingeführt, die Autobahnmauten und Schulgelder für die Oberschule abgeschafft und eine Mindestrente von etwa 520 Euro eingeführt werden. Gleichzeitig schloß Hatoyama Steuererhöhungen aus. Auch versprach er Japans CO2-Ausstoß um 25 Prozent zu reduzieren. Außenpolitisch ist die Partei zwischen sozialdemokratischen Pazifisten und Falken, die vom rechten Flügel der LDP stammen, zerstritten. Das gilt vor allem für heikle Fragen wie das Bündnis mit den USA, die Stationierungsrechte für die US-Truppen in Japan und die Auslandseinsätze der japanischen Marine im Indischen Ozean und am Horn von Afrika zur Piratenjagd, die die Demokraten bislang ablehnten.

Noch sonnen sich die Demokraten in der positiven Presse, die ihren Wahlsieg begünstigt hatte, der im Stil ganz Barack Obamas „Change“ abgeschaut wurde. Doch wie in den USA dürften die Wähler und die Medien bald auf die Einhaltung der vielen teuren Wahlversprechen drängen. Hatoyamas Wahlkampfparolen von der „Politik der Liebe und Brüderlichkeit“ werden ihm im harten Regierungsalltag wohl wenig bringen. Mutmaßlich könnten die in der ungewohnten Oppositionsrolle runderneuerten Liberaldemokraten schneller an die Macht zurückgewählt werden, als sie sich dies in der Stunde ihrer historischen Niederlage vorzustellen vermögen – schon 2010 finden Teilwahlen zum Oberhaus (Sangiin) statt, in dem die DPJ-Koalition bislang nur eine knappe Mehrheit hat.

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