© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

Amerikaner zum Lernen in Schlesien
Polen: Die Wirtschaft profi tiert von deutschen Tugenden / Verschont von den Turbulenzen an den Kreditmärkten
Paul Leonhard

Polen scheint vergleichsweise glimpflich durch die Weltwirtschaftskrise zu kommen. Während die baltischen Staaten von den internationalen Rating-Agenturen weit herabgestuft wurden und Lettland ohne ausländische Rettungspakete praktisch bankrott wäre, präsentiert sich die polnische Wirtschaft überraschend stabil. Lag der Lebensstandard des Landes 1997 noch bei einem Drittel des deutschen, so ist er inzwischen laut EU-Statistiken auf über 57 Prozent geklettert. Damit liegt Polen sogar noch vor Ungarn – der ehemals „lustigsten Baracke im Ostblock“ –, das finanziell ebenfalls am Abgrund steht. Polen hat nach einer Eurostat-Studie alle Chancen, mit Portugal erstmals ein westeuropäischen Land zu überholen. Selbst der Weltwährungsfonds IWF bescheinigt Warschau, die Krise besser als die meisten vergleichbaren Staaten zu meistern. Während Westeuropa hohe Schrumpfungsraten des Bruttoinlandsprodukts hinnehmen muß, holt Polen auf.

Gleichwohl hat das Land wachsende wirtschaftliche Probleme. Die ausländischen Direktinvestitionen betrugen in den ersten fünf Monaten 2009 gerade einmal 1,163 Milliarden Euro und damit 83 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Ungeklärt ist weiterhin das Schicksal der Werften von Stettin (Szczecin) und Gdingen (Gotenhafen/Gdynia) mit ihren etwa 5.000 Mitarbeitern.

Wirtschaftsliberale Regierung unter Premier Donald Tusk

Parallel dazu will die wirtschaftsliberale Regierung unter Premier Donald Tusk ihre Anteile an Banken und anderen Ex-Staatsunternehmen möglichst schnell verkaufen, um milliardengroße Haushaltslöcher zu stopfen. Der Koalitionspartner von Tusks Bürgerplattform (PO), die bäuerlich-konservative Polnische Volkspartei (PSL) von Waldemar Pawlak, mahnt zwar ein langsameres Privatisierungstempo an. Und die sozialkonservative PiS von Oppositionsführer Jarosław Kaczyński und Staatspräsident Lech Kaczyński spricht gar vom Ausverkauf des Vaterlands. Doch erhofften Erlöse sind für den Staatshaushalt fest eingeplant. Allein der Anteil an Pekao, der größten Bank des Landes, wird auf umgerechnet 78 Millionen Euro geschätzt. Die Privatisierung des Stromversorgers Enea soll sogar einmalig 1,7 Milliarden Euro in den Haushalt spülen. Zum Verkauf stehen auch die Staatsbahn PKP, die Post und die Fluggesellschaft Lot. Insgesamt erhofft sich Polen so bis Ende 2010 neun Milliarden Euro an Staatseinnahmen.

Gleichzeitig bereitet die Tusk-Regierung Gesetze vor, die es ermöglichen, den Staatsapparat zu verschlanken und noch in diesem Jahr Personal abzubauen. So sollen erwartete Einnahmeverluste kompensiert und das Haushaltsdefizit verkleinert werden, das in diesem Jahr auf 6,58 Milliarden Euro geschätzt wird. Auch über Steuererhöhungen insbesondere für Alkohol und Zigaretten wird diskutiert.

Die Prognosen über die weitere Entwicklung sind höchst unterschiedlich. Während die Regierung von 0,2 Wirtschaftswachstum 2009 ausgeht, rechnet der Weltwährungsfonds mit 0,5 Prozent. EU und einige Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren für Polen bereits in diesem Jahr eine Rezession, eine Analyse von Newsweek verspricht dem Land dagegen „sieben fette Jahre“. Ab 2011 soll die Wirtschaft schnell wachsen. Grundlagen dafür könnten der große Binnenmarkt, die hohe Investitionsfreudigkeit der Polen in das eigene Land, vor allem aber die enormen Zuschüsse aus der Europäischen Union sein.

Positiv haben sich einst „deutsche Tugenden“ ausgewirkt. Trotz kontinuierlich gestiegener Löhne haben viele Polen den Konsumverlockungen widerstanden und kaum Kredite aufgenommen. Investiert wird in Häuser und Eigentumswohnungen. Ansonsten wird weiterhin wie gewohnt konsumiert. Auch die Unternehmer verschuldeten sich wenig. Sie trugen ihre Investitionen aus eigener Kraft. Die polnische Wirtschaft sei wesentlich widerstandsfähiger gegenüber Turbulenzen an den Kreditmärkten, so eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Allerdings konnten polnische Banken auch kaum riskante Geschäfte tätigen, da es sich meist um Töchter großer ausländischer Banken handelt.

Steigende Arbeitslosenzahlen

Polen habe die einzige selbsttragende Volkswirtschaft in Osteuropa, lobte beispielsweise Deutsche-Bank-Volkswirt Deuber in der Financial Times Deutschland: „Die gute Performance in der Krise dürfte die wirtschaftliche Position Polens in der Region nun nochmals stärken.“

Polnische Effizienz gilt auch in den USA als nachahmenswert. So berichtete die polnische Presse genüßlich, daß US-Ingenieure zum „Crashkurs“ in die polnischen Fiat-Werke im schlesischen Tichau (Tychy) geschickt werden. Dort kann dank moderner Robotertechnik und qualifizierter Arbeitskräfte schnell das jeweils produzierte Modell (derzeit Fiat 500 und Ford Ka) der Nachfrage angepaßt werden. Neue Kontrollmechanismen sorgen dafür, daß den in Polen hergestellten Autos längst kein Billigheimerimage mehr anhaftet.

Die Polen seien mit ihrer Lebenssituation zufrieden, konstatiert eine von der Universität Warschau erarbeitete landesweite Studie. Das Netto-Haushaltseinkommen pro Kopf sei seit 2000 um 40,1 Prozent gestiegen, die Krise finde „überraschend wenig Wahrnehmung“, und der durchschnittliche Bruttolohn liege bei 985 Euro. Ein wenig Pessimismus streut allein das polnische Informationsamt CIR: Hatte sich die Arbeitslosenquote in den vergangenen neun Jahren auf 8,1 Prozent fast halbiert, wird für 2010 mit einem Anstieg auf 13,8 Prozent gerechnet. Schuld daran seien dann deutsche Unternehmen. Denn nach polnischer Überzeugung wird bei Nachfrageengpässen als erstes in deutsch-polnischen Firmen die Produktion heruntergefahren.

Foto: Interconti-Hotel und Warschauer Finanzzentrum: Position Polens in der Region trotz Krise gestärkt

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