© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

Pingpong-Ball zwischen zwei Staaten
Büsingen am Hochrhein: Die alltäglichen Sorgen und Nöte einer kleinen deutschen Gemeinde in der Schweiz
Hinrich Rohbohm

Die Beziehungen verschlechterten sich über Nacht. Vollkommen unerwartet hat die Schweiz seit gestern die Mobilmachung gegen Deutschland befohlen, jegliche Ein- und Ausfuhren von Waren vom heutigen Tage an eingestellt, der Grenzverkehr zwischen beiden Ländern ist geschlossen.

Für Büsingens Bürgermeister Gunnar Lang wäre dieses Szenario der ultimative Alptraum. Denn er und seine knapp 1.500 Einwohner leben auf einer Insel. Es ist die deutsche Insel in der Schweiz, ein Eiland ohne Meer, Deutschlands einzige Exklave: Das Dorf ist von seiner Nation abgetrennt, territorial vom Nachbarland umzingelt.

Die Gemeinde mit dem höchsten Altersdurchschnitt

„Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war das ein großes Problem für uns“, meint Lang. Damals wurde der Warenverkehr zwischen der Schweiz und Deutschland tatsächlich eingestellt, das Dorf mit seiner Fläche von gerade einmal 7,62 Quadratkilometern war von der Versorgung abgeschnitten.

Das ist lange her. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind seit langem gut. Keine Versorgungsengpässe, diplomatische Unstimmigkeiten gibt es nur wenige. Im Dorf ist es friedlich. Und ruhig. Einen Bahnhof gibt es nicht. Im Süden grenzt der Ort an den Hochrhein, dessen Wasser in dieser Gegend noch so klar ist, daß man bis auf den Grund des Flusses sehen kann. Schmucke Blumengärten zieren die Häuser, in denen zumeist ältere Menschen leben. Das hat einen Grund. Seit dem Inkrafttreten der bilateralen Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz am 1. Juni 2004 sind viele Jüngere in die Schweiz gezogen. „Ein Problem“, sagt Gunnar Lang. Denn Büsingen ist inzwischen die Gemeinde mit dem höchsten Altersdurchschnitt in Deutschland.

Grund dafür ist der Fiskus. Die meisten Berufstätigen haben ihren Arbeitsplatz in der Schweiz. Doch ihre Einkommensteuer erhält das Finanzamt in Deutschland. Weil die Abgaben in Deutschland aber weitaus höher sind, verlegt infolge des bilateralen Abkommens und der damit verbundenen Personenfreizügigkeit so mancher Büsinger seinen Wohnsitz in das Nachbarland.

„Und wenn sie in Rente gehen, kommen sie wieder zurück“, meint ein Anwohner mit einem Augenzwinkern – ebenfalls aus steuerlichen Gründen. Denn bis 2004 war in Deutschland lediglich der Ertragsanteil der Rente einkommensteuerpflichtig. Auch Schweizer Rentner sind aus diesem Grund nach Büsingen gezogen, wo sie schließlich den Schweizer Wirtschafts- und Währungsraum noch nicht verlassen haben und zudem keine Vermögensteuer zahlen mußten. Selbst eine Grundsteuer wird nicht erhoben.

Durch die nachgelagerte Rentenbesteuerung ab 2005 sei die Attraktivität Büsingens für die Rentner jedoch nicht mehr so hoch wie zuvor, erklärt Lang. „Etwa 70 Prozent unserer Einwohner sind Deutsche und 30 Prozent Schweizer“, verdeutlicht der Bürgermeister. Auf die Frage, ob sich die Büsinger nun als Deutsche oder doch eher als Schweizer sehen, antwortet er diplomatisch: „Als Büsinger“.

Deutsche und Schweizer Telefonzellen Seit’ an Seit’

Tatsächlich wäre der Ort beinahe an die Schweiz abgegeben worden. Gegen Ende der Römerzeit vermutlich von Alemannen gegründet, kam er 1465 zunächst unter die Landeshoheit Österreichs. Im Preßburger Frieden von 1805 fiel er dann zunächst dem Königreich Württemberg zu, fünf Jahre später dem Großherzogtum Baden, ehe er 1871 Bestandteil des Deutschen Reichs wurde. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war es dann allerdings eher ein Zufall, daß Büsingen bei Deutschland verblieb. 96 Prozent der Einwohner hatten sich in einer Volksabstimmung für die Angliederung an die Schweiz entschieden. Weil die Eidgenossen jedoch kein geeignetes Austauschgebiet anbieten konnten, blieb Büsingen weiter deutsch. 1956 kam es erneut zu Verhandlungen über eine Angliederung des Dorfes. Jedoch bestand der Landkreis Konstanz auf einem
Verbleib bei Deutschland.

Als die Konstanzer von der Schweiz dann auch noch einen verbindenden Korridor nach Deutschland forderten, brach die Alpenrepublik die Verhandlungen ab. Heute ist der Anschluß an die Schweiz kein Thema mehr. Im Gegenteil: „Viele hier identifizieren sich heute stärker mit Deutschland. In einigen Gärten weht sogar die deutsche Flagge“, meint der Kellner des Hotel-Restaurants „Alte Rheinmühle“. Inzwischen regelt ein Staatsvertrag zwischen beiden Ländern den rechtlichen Status von Büsingen.

So gehört der Ort zwar hoheitlich zur Bundesrepublik Deutschland. Zum Zollgebiet der Europäischen Union zählt er dagegen nicht. Besucher erfahren das spätestens beim Zücken ihres Portemonnaies. Denn in Büsingen ist es üblich, daß mit Schweizer Franken gezahlt wird. Bis in die achtziger Jahre hinein kam es sogar vor, daß einheimische Geschäfte die D-Mark im deutschen Büsingen nicht als Zahlungsmittel akzeptierten. Selbst bei der Post waren Briefmarken nur mit dem Schweizer Franken käuflich zu erwerben.

Das war einem Büsinger Bürger offenbar zuviel des Guten. „Der hatte so lange für die D-Mark als Zahlungsmittel gekämpft, bis sie letztlich doch akzeptiert wurde“, erinnert sich eine Postangestellte an die Hartnäckigkeit des Rentners.
Das Geld ist jedoch bei weitem nicht die einzige Besonderheit in der Exklave. Die Gemeinde besitzt zwei Postleitzahlen, eine für Deutschland und eine für die Schweiz. Die Briefe können sowohl mit Schweizer als auch mit deutschen Briefmarken versehen werden. Und selbst die Telefonzellen gibt es in doppelter Ausführung, Telekom-Häuschen und eine eidgenössische Glaskabine stehen vor dem Büsinger Rathaus Seite an Seite.

Selbst die Mobilfunknetze der beiden Nationen können sich in Büsingen nicht entscheiden. Wie ein Pingpong-Ball beim Tischtennis springt das Mobiltelefon zwischen deutschem und schweizerischem Netz hin und her.

Und daß ein Dorf sein eigenes Kfz-Nummernschild hat, ist ebenfalls alles andere als normal. Büsingen gehört zwar zum Landkreis Konstanz. Mit BÜS hat es aus zolltechnischen Gründen dennoch sein eigenes Autokennzeichen und ist damit das seltenste seiner Art, das derzeit noch vergeben wird.

Manch paradoxe Situation für die Ordnungshüter

Kfz-Steuern werden wie die Einkommensteuer in Deutschland gezahlt – mit dem Unterschied jedoch, daß die Bemessungsgrundlage nach Schweizer Recht erfolgt. Das wiederum führt dazu, daß besonders die Steuern für Dieselfahrzeuge deutlich unter den deutschen Abgabesätzen liegen. Um Kfz-Steuern zu sparen, wurde Büsingen daher in der Vergangenheit des öfteren als Scheinwohnsitz angegeben. Die Polizei reagierte darauf mit Wohnsitzkontrollen.

Hinzu kommt, daß es in Büsingen auch die wohl preisgünstigste Tankstelle Deutschlands gibt, weil die Benzinpreise an das Niveau der benachbarten schweizerischen Tankstellen angeglichen wurde. So ist der Pkw-Sprit an der Büsinger Zapfsäule im Schnitt 30 Cent günstiger als im restlichen Bundesgebiet.

Doch auch die Ordnungshüter selbst entziehen sich nicht dem Sonderstatus-Charakter der deutschen Exklave. So kann es zu der paradoxen Situation kommen, daß die Büsinger Polizei einen deutschen Staatsbürger auf deutschem Hoheitsgebiet verhaftet, ins Ausland abtransportiert, um ihn dann in eine Schweizer Gefängniszelle zu sperren.

Die Kinder besuchen nach der im Ort befindlichen Grundschule fast ausschließlich eine weiterführende Bildungseinrichtung in der Schweiz. „Wenn Sie die Wahl haben, Ihr Kind nur vier Kilometer von hier entfernt beschulen zu lassen oder aber 20 Kilometer weiter in Deutschland, dann fällt die Entscheidung leicht“, nennt eine Mutter den Grund dafür.

Doch vielleicht kann der auseinandergerissene Ortschaft bald sogar seine eigene weiterführende Schule bauen. Nachdem die Eidgenössische Steuerverwaltung jahrelang die indirekten Steuern wie etwa die Mehrwertsteuer im Ort eingezogen und einbehalten hat, ist es Bürgermeister Gunnar Lang gelungen, die Rückerstattung der Mehrwertsteuer direkt an die Gemeinde zu erlangen, die dadurch die reichste in der Region wurde. Da verwundert es nicht, wenn man erfährt, welchen Beruf der Büsinger Bürgermeister ausübt: Er ist Steuerberater

Fotos: Büsinger Idylle: Zum Heimatgefühl der Bürger gehören nicht nur „saubere Luft, klares (Rhein)-Wasser“, sondern ganz spezielle Fährnisse

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