© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

Gutes Klima für die Förderung schaffen
Der Jahresbericht 2008 der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Die alte, neue Dynamik im hochglänzenden Wissenschaftsbetrieb
Oliver Busch

Die obligate Jahresbilanz der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ähnelt immer mehr jenen Unternehmensberichten, in denen die „Werbefuzzis“ noch die trostlosesten Zahlen als Aufbruchsignale verkaufen. Nur daß bei der DFG, die sich dank ihres von Bund und Ländern finanzierten Milliardenetats keine der kapitalismusimmanenten Sorgen machen muß, ein penetranter Optimismus nicht Investoren beruhigen soll, sondern offenbar inzwischen zum Selbstzweck geworden ist.

Entsprechend kommuniziert der neue DFG-Präsident, der Ingenieurswissenschaftler Matthias Kleiner, die „Aufgaben und Ergebnisse“ im Jahresbericht 2008. Überall scheint es immer nur „Fortschritte“ zu geben, bei den mitfinanzierten 37 Graduiertenschulen und 37 Exzellenzclustern, die eine „neue Dynamik“ ins deutsche Wissenschaftssystem gebracht hätten: bei der Internationalisierung der Forschung im Sinne der „Europa-Strategie der DFG“, bei der Digitalisirung des „Fördergeschäfts“ oder bei „Gleichstellung von Mann und Frau im Wissenschaftsbetrieb“ und und und.
Fast zwei Milliarden Euro in die Naturwissenschaften

Was in dieser bunten Hochglanzwelt, die sich mit zahllosen Anglizismen gern weltläufig geriert, vollständig abhanden gekommen ist, ist die Kultur der Selbstkritik und der Distanz zur Machbarkeitsphilosophie, die immer noch in den 2008 mit fast zwei Milliarden Euro geförderten Lebens-, Natur- und Ingenieurswissenschaften dominiert. Gerade weil der Jahresbericht hier die Tendenz zur „praktischen Anwendung“ hervorhebt, dürfte der wissenschaftsfremde Laie, für dessen Wohl so unermüdlich wie kostspielig geforscht wird, die Resultate eher mit Enttäuschung quittieren. Vor allem in der Medizin scheint sich hinter viel neuer Begrifflichkeit die alte Kluft zwischen verbesserter Diagnostik und stagnierender Therapie aufzutun. So sucht man im Berliner Exzellenzcluster „NeuroCure“ die Frage zu lösen, ob der im Grünen Tee enthaltene Wirkstoff Epigallocatechin-Gallat (EGCG) gegen Multiple Sklerose hilft. Bislang verliefen die Untersuchungen „ergebnisoffen“: Das EGCG kann neuroprotektive Effekte zeitigen, also etwa Nerven vor dem Absterben schützen. Nur sicher und anwendungsreif sind diese Erkenntnisse noch lange nicht. Ebenso ungewiß und weit von therapeutischer Translation entfernt, sind die experimentellen Resultate, die die Kinderärztin Maike Pincus an der Berliner Charité gewonnen hat. Werden in den ersten Monaten der Schwangerschaft Grundlagen für Erkrankungen im späteren Leben gelegt? Ist solche „fetale Programmierung“ von Krankheitsanfälligkeit auf erhöhten Streß und die dadurch verminderte Ausschüttung des Schwangerschaftshormons Progesteron zurückzuführen? Pincus’ Tierexperimente lassen derzeit nur mehrdeutige Antworten zu.

Noch skeptischer darf man den „Klassiker“ unter den medizinischen DFG-Projekten, die Bekämpfung von Krebserkrankungen, bewerten. Ein Forschungsverbund, der siebzig Wissenschaftler und Techniker vereint, setzt nun Hoffnungen auf die „Bestrahlung von Tumoren mit Schwerionen“. Die klinisch-therapeutische Anwendung soll dabei im Vordergrund stehen, doch noch sehr lange dürfte man wie jetzt aus dem Munde des Projektleiters hören, daß Bestrahlungsplanung und Strahlführung einer „Optimierung“ bedürfen. Und ob der Freiburger Mediziner Roland Schüle bei der Suche nach „innovativen Therapieansätzen im Krankheitsbild des Prostatakrebses“ erfolgreich sein wird, ist – im Rückblick auf hundert nicht eben glanzvoll verlaufene Forschungsjahre auf diesem Sektor – keinen Wetteinsatz wert.

Neue Projekttypen, die auch Mißerfolge einkalkulieren

Immerhin erhält Schüle maximal 1,25 Millionen Euro nach der Vorgabe eines nach dem 2006 verstorbenen Historiker Reinhart Koselleck benannten „Risiko“-Programms, das Mißerfolge einkalkuliert. Dieser neue „maßgeschneiderte Projekttyp der DFG“, in dessen Rahmen bis April 2009 neun Anträge bewilligt wurden, solle Forscher finanzieren, deren Arbeiten „abseits des sogenannten Mainstreams“ lägen, wie DFG-Präsident Kleiner ausführt. Schließlich sei ja auch Koselleck ein „origineller Querdenker“ gewesen.

Eine Einschätzung, bei der einmal mehr schöner Schein und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Denn Koselleck ist mit seinen geschichtspolitischen Konformismus in höchster Vollendung zelebrierenden Einlassungen zum Berliner Holocaust-Mahnmal nicht eben als „Querkopf“ aufgefallen. Hoffentlich erfolgt da die Forschungsförderung nur in seinem Namen, nicht aber in seinem Geiste.

Ultraschallbild in der zehnten Schwangerschaftswoche: Auf die Frage nach einer „fetalen Programmierung“ von Krankheitsanfälligkeit durch erhöhten Streß der Mutter gibt es nur mehrdeutige Antworten

Den Jahresbericht der Deutschen Forschungsgemeinschaft gibt es als PDF-Datei unter www.dfg.de

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