© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/09 11. September 2009

Reichtum für alle
Rot-rote Bündnisse: Der Marsch in eine andere Republik formiert sich
Paul Rosen

Noch gilt das Wort von SPD-Chef Franz Müntefering, nach der Bundestagswahl werde es kein Bündnis mit der Linkspartei geben. Aber wie lange gilt dieses Wort noch? Und vor allem: Wie lange ist der 69jährige Müntefering noch SPD-Vorsitzender, wenn seine Partei bei der Bundestagswahl am 27. September von 34,2 Prozent (2005) auf die in den Umfragen vorhergesagten 25 bis 26 Prozent abstürzt?

Die Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen haben der SPD die Möglichkeit eröffnet, mit der Linkspartei eine Regierung zu bilden. Daß derzeit auch noch parallel mit der CDU Gespräche geführt werden, hat einen einfachen Grund. Man will den Kurswechsel nicht vor der Bundestagswahl einläuten, weil sich dadurch Wähler am rechten SPD-Rand abwenden könnten. Die Bundes-SPD ließ den Landesverbänden freie Hand, mit wem sie koalieren wollen. Daß der Aufschrei der Empörung ausblieb, dürfte die Linken in der SPD darin bestärkt haben, auf ein Bündnis mit der Linkspartei zunächst in den Ländern und danach auch im Bund zu setzen. Wenn die Zahl der Sitze nicht reicht, können die Grünen mit ins Boot genommen werden.

CDU und CSU tragen eine Mitschuld daran, daß links von der SPD ein neuer Koalitionspartner entsteht. Unionspolitiker haben kein Problem damit, mit Linkspartei-Vertretern in Talkshows zu sitzen und mit ihnen um die Wette zu schwätzen. War Gregor Gysi schon immer gesellschaftsfähig, so wurde es die Linkspartei durch den Übertritt des früheren SPD-Chefs Oskar Lafontaine zur Linken im Westen erst recht.

Die Linke in Deutschland setzt jetzt um, was Franz Josef Strauß den Bürgerlichen seinerzeit in Wildbad Kreuth empfahl: Getrennt marschieren, vereint schlagen. CDU und CSU werden die vielen Direktmandate bei der Bundestagswahl nicht helfen, wenn die linken Kräfte zusammen mehr Prozentpunkte holen werden.

So etwas wäre kein Novum. SPD, Linke und Grüne kamen bei der Bundestagswahl 2005 zusammen auf 51 Prozent der Zweitstimmen. CDU, CSU und FDP, die Konstellation, mit der Kanzlerin Angela Merkel nach dem 27. September am liebsten regieren würde, erreichten zusammen 45 Prozent. Je tiefer die Hemmschwelle gegen ein Zusammengehen mit der Ex-SED sinkt, um so größer wird natürlich die Neigung, diese Schwelle auch tatsächlich zu überschreiten.

Andrea Nahles, die stellvertretende SPD-Vorsitzende und eine Anwärterin auf den Parteivorsitz nach Müntefering, hat bereits die Gemeinsamkeiten des linken Lagers herausgearbeitet. In einem zusammen mit dem britischen Labour-Politiker Jon Cruddas verfaßten Papier der „Demokratischen Linken“, das offenbar ein Gegenentwurf zum Papier des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und des britischen Premiers Tony Blair zur „Neuen Mitte“ sein soll, heißt es, die SPD der „Neuen Mitte“ habe dem globalisierten Kapitalismus zu unkritisch gegenübergestanden und die zerstörerischen Kräfte eines unregulierten Marktes unterschätzt. Die Politiker fordern mehr Regulierung ganzer Wirtschaftsbereiche und als erste Maßnahme, den Finanzmarkt unter „demokratische Kontrolle“ zu stellen.

Wer sich an Jungsozialisten-Papiere der 1970er Jahre mit den Forderungen nach „Vergesellschaftung“ des Bank- und Versicherungsbereichs erinnert, liegt nicht falsch. Und wer Parallelen zu den Vorstellungen der deutschen Linkspartei erkennt, liegt genau richtig.

Das heißt, der programmatische Boden für gemeinsames Handeln und Regieren von Sozialdemokraten und Linkspartei wird längst bereitet. Das hat selbst Kanzlerin Angela Merkel erkannt, aber in dem dahinplätschernden Wahlkampf keine Konsequenzen gezogen. Sie meinte zu einem rot-roten Bündnis auf Bundesebene: „Die Gefahr, daß so etwas jederzeit geschehen kann, ist heute viel größer als vor vier Jahren.“ Sie hat auch eine stärker werdende Strömung in der SPD konstatiert, die so „früh wie möglich auch im Bund mit den Linken regieren will“. Das ist alles richtig, aber wo bleibt der CDU-Generalsekretär mit einer Kampagne gegen die Linken, die derweil ungehindert „Reichtum für alle“ versprechen können?

Es könnte für Schwarz-Gelb möglicherweise nicht reichen. Der schwere Zwischenfall in Afghanistan vergangene Woche könnte pazifistische Strömungen in Deutschland beflügeln und der Linkspartei Stimmen zutreiben. Unter dem Druck der Informationen über zivile Opfer durch deutschen Befehl könnte die positive Haltung der SPD zum Afghanistan-Einsatz schwanken und sich die Gemeinsamkeit mit der Linkspartei weiter erhöhen. Man kann auch von Wandel durch Annäherung sprechen.

Müntefering und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier werden vielleicht zunächst eine Fortsetzung der morschen Großen Koalition anstreben. Ob mit einer vom Wähler gerupften SPD-Fraktion eine Fortsetzung des bisherigen Bündnisses machbar ist, darf bezweifelt werden.

In der neuen Fraktion werden viel mehr Vertreter des linken Flügels sitzen als in der heutigen Fraktion. Diese linke Mehrheit könnte entweder sofort nach der Wahl Müntefering und Steinmeier stürzen und ein Bündnis der „fortschrittlichen Kräfte“ anstreben – oder spätestens im nächsten Jahr. Dann begänne der Marsch in die andere Republik.

Foto: Es wächst zusammen, was zusammengehört ...

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