© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/09 11. September 2009

„Es geht um Zensur“
Die Piratenpartei kämpft ums Netz. Spaßpartei oder politische Morgendämmerung einer neuen Elite?
Moritz Schwarz

Herr Popp, Sie betrachten das Zugangserschwerungsgesetz als „den“ Sündenfall der deutschen Internetpolitik. Warum?

Popp: Nun, nicht als „den“ Sündenfall schlechthin, denn da gab es zuvor schon einige, aber sicher war es der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat.

Das Aufkommen an Schmutz, Destruktivität, Verführung und Semi-Kriminalität im Netz ist unglaublich. Ist das Gesetz nicht im Gegenteil immer noch viel zu schwach?

Popp: Ich bezweifle, daß es den Verantwortlichen im Kern tatsächlich etwa um die Bekämpfung von Kinderpornographie geht, und die geplanten Maßnahmen werden dagegen herzlich wenig helfen. Wir glauben, es geht um etwas anderes: um die Einführung eines ganz klassischen Zensurinstruments!

Inwiefern?

Popp: Das Internet gibt es schon recht lange. Natürlich hat es einige Zeit gebraucht, bis es sich etabliert hat und von der Politik entdeckt wurde. Inzwischen geht es ganz klar darum, aus dem Internet ein kontrolliertes Medium zu machen. Mit Maßnahmen wie der Online-Durchsuchung, der Vorratsdatenspeicherung und nun dem Zugangserschwerungsgesetz nähert sich Deutschland Ländern wie China oder dem Iran. Natürlich fordern wir, gegen Kinderpornographie vorzugehen, aber mit rechtsstaatlichen Mitteln. Wir sagen: „Löschen statt Sperren!“ Also: Ist eine Seite gesetzwidrig, dann muß sie ganz gelöscht werden.

Sie warnen, es gehe auch um politische Zensur.

Popp: Sicher geht es auch darum! Es wurde ja auch schon gefordert, zum Beispiel Seiten zu sperren, die als islamistisch eingestuft wurden, genauso wie übrigens Filesharing-Seiten oder sogenannte „Killerspiele“. Wenn diese Maßnahmen erst einmal salonfähig gemacht sind, dann kommt im zweiten Schritt auch die politische Zensur, kein Zweifel.

Konkret?

Popp: Da wird dann gefiltert. Plötzlich geht es nicht mehr um Kinderpornographie, sondern auch um politische Inhalte, die mit dem Argument etwa des Extremismus herausgefiltert werden. Unliebsame Meinungen werden dann unterdrückt. Irgendwann sind alle politischen Informationen vorsortiert.

Wenn Sie es ehrlich meinen, müßten Sie konsequenterweise auch für die Freigabe von – nicht strafbewehrten – rechten Seiten sein?

Popp: Da gilt das gleiche wie bei Kinderpornographie: Löschen statt sperren! Sind strafbare Inhalte auf der Seite, dann müssen diese gelöscht werden. Wenn nicht, dann kann man sie auch nicht einfach sperren, das muß eine Demokratie aushalten. Letztlich kann man auch politisch unliebsame Seiten nicht einfach an der Richterbank vorbei wegzensieren.

Der Staat ist nicht der einzige, der zensiert.

Popp: Zweifellos muß man aufpassen, daß am Ende die Zensur nicht doch noch durch die Hintertür kommt. Denn sicher gibt es auch von privater Seite eine Bedrohung, zum Beispiel die Bestrebungen der Industrie, die Netzneutralität abzuschaffen: Bislang ist das Netz jeder Dateninformation gegenüber neutral, alle Datenpakete werden also gleichrangig behandelt. Die Industrie würde aber gerne manchen Diensten, die besonders lukrativ sind, Vorrang geben. Das ist zwar noch keine Zensur, aber eine Vorstufe. Denn damit kann man steuern, und so wird aus einem offenen Medium wie dem Internet eine bloße Ansammlung kommerzieller Dienste.

Die Piratenpartei hatte unlängst den Fall eines Mitglieds, dem Verständnis für Holocaustleugner vorgeworfen wurde. Die Partei hat sich für dessen Ausschluß entschieden.

Popp: Ich möchte festhalten, daß ich die Person, die ich auch schon persönlich kennengelernt habe, nicht für einen Rechten halte. Er ist vielmehr jemand, der gerne provoziert, um sich wichtig zu machen. Uns wurde dann vorgeworfen, ihn nicht gleich ausgeschlossen zu haben. Aber wir wollten die Sache erst selbst prüfen und nicht einfach auf Zuruf der Presse losspurten. Nachdem wir aber feststellen mußten, daß er nicht bereit war, sich in der Frage konstruktiv zu verhalten und einzusehen, daß er dieses Mal zu weit gegangen ist, mußten wir uns von ihm trennen. Allerdings gilt es dazu parteiinterne Verfahrensweisen einzuhalten, die noch nicht abgeschlossen sind.

Hätten Sie ihm nicht, da er keine strafrelevanten Äußerungen gemacht hat und nach dem, was Sie bisher postuliert haben, diese Meinungsfreiheit einräumen müssen?

Popp: Von mir aus darf er diese grenzwertigen Provokationen ruhig von sich geben – nur wir müssen ihn dann nicht in unserer Partei behalten. Zur Freiheit gehört auch, daß wir als Vereinigung niemanden dulden müssen, der nicht zu uns paßt, weil er nicht für das steht, wofür die Piratenpartei steht.

Wofür steht die Piratenpartei?

Popp: In einem Satz: Die Piratenpartei ist die Bürgerrechtspartei des digitalen Zeitalters.

Für den Politologen Werner Patzelt gehören Sie in die Kategorie „politischer Unsinn“.

Popp: Solche Leute denken halt noch in Klischees und Schubladen. Die verstehen nicht wirklich, was unsere Ziele sind.

Die „Zeit“ bezeichnete im Mai die Vertreter Ihrer Haltung als die „Ideologen des Internets“, die „im Namen der Freiheit den Austritt aus dem Recht propagieren“.

Popp: Das sind die üblichen Vorurteile, die über uns unterwegs sind. Wer so etwas sagt, hat sich wohl nicht wirklich mit uns beschäftigt. Niemand will Anarchie im Netz, sonst wären wir gerade sicher nicht so erfolgreich. Ich glaube, da unterschätzen einige gewaltig, was zur Zeit passiert.

Was passiert denn?

Popp: Wir erleben eine enorme Welle der Zustimmung. Wenn Sie zum Beispiel auf StudiVZ – das größte deutsche Social Network – klicken, sehen Sie, daß laut der Sonntagsfrage dort wir bereits alleine in Berlin regieren könnten!

Das ist im Internet, wie aber sieht es in der realen Welt aus?

Popp: Da erleben wir inzwischen schon ähnliches: Wenn ich mit einem Piratenpartei-Hemd herumlaufe bleiben junge Leute stehen und rufen begeistert: „Ich habe euch gewählt!“ Es ist absolut berauschend, was wir an Zustimmung bekommen!

Twitter zum Beispiel war das ganz große Thema in diesem Sommer. Doch tatsächlich twittern nur ein paar zehntausend Leute in Deutschland, in Relation zu achtzig Millionen Deutschen politisch eine irrelevante Minderheit.

Popp: Allerdings sind Blogger und Twitterer unheimlich aktive Leute; das sind Meinungsführer und Multiplikatoren. Ich erlebe deren Wirken, bei Info-Ständen auf der Straße: Noch vor einem Jahr war es unglaublich schwer, die Leute zu interessieren. Heute sieht das ganz anders aus – ich sage Ihnen, das Eis ist gebrochen! Die Leute wissen oder wollen wissen, wofür wir stehen. 

Welche Chancen rechnen Sie sich also für die Bundestagswahl aus?

Popp: In Hessen haben wir im Januar 0,5 Prozent geholt, bei der Europawahl im Juli 0,9 und jetzt in Sachsen 1,9. Das heißt, jedesmal haben wir unser Ergebnis in etwa verdoppelt. Würden wir das für die Bundestagswahl wieder schaffen, kämen wir sogar an die Fünf-Prozent-Hürde heran.

Sie rechnen ernsthaft mit fast fünf Prozent?

Popp: Unser Minimalziel für den 27. September ist es auf jeden Fall, den Erfolg der Europawahl zu wiederholen. Die Fünf-Prozent-Hürde ist am Horizont bereits sichtbar, auch wenn sie noch ein sehr ambitioniertes Ziel ist. Auf lange Sicht werden wir die auf jeden Fall knacken.

Die Politikwissenschaft würde Sie unter „Ein-Themen-Partei“ rubrizieren. Und die gelten ihr erfahrungsgemäß letztlich als chancenlos.

Popp: Mal andersherum: Welche Partei ist denn keine Ein-Themen-Partei? Nominell besetzen die großen Parteien zwar viele Themen, aber de facto geht es doch immer nur um die zwei, drei aktuellen Themen, die die Funktionäre im Auge haben.

Die Piratenpartei betont extra, zu anderen Fragen nicht Stellung zu nehmen, um ihr eigentliches Anliegen nicht zu verwässern. Lassen Sie den Bürger damit nicht im unklaren?

Popp: Ich finde, die etablierten Parteien tun das, nicht wir. Ich betrachte im Gegenteil unseren reduktionistischen Ansatz als unseren Vorteil: Gerade dadurch wissen die Wähler nämlich, was sie bei uns am Ende auf jeden Fall bekommen. Bei den Volksparteien wissen sie das dagegen nicht. Denn oft genug haben wir alle es doch erlebt, daß die Parteien nach den Wahlen ganz anders gehandelt haben, als sie davor versprochen hatten. Bekommen Sie denn garantiert sozial, wenn Sie SPD wählen? Oder konservativ, wenn Sie CDU wählen? Hand aufs Herz: Das ist doch ein Glücksspiel! Bei den Volksparteien, die in fast allen Bereichen etwas versprechen, wissen sie nie, ob nachher Ihr Bereich nicht den Koalitionsverhandlungen geopfert wird. Bei uns wissen Sie dagegen zumindest, welchen Inhalt wir auf jeden Fall versuchen werden durchzusetzen.

Die Piraten verweigern sich zudem explizit der Links-Rechts-Einordnung.

Popp: Ja, denn wir wollen nicht mit Ideologie, sondern mit Pragamatismus und guten Argumenten an die Dinge herangehen.

Insgeheim betrachten Sie sich aber im Zweifel doch als „eher links“, oder?

Popp: Nein. Und wir sind schon als alles mögliche bezeichnet worden: Kommunisten, Anarchisten, Kapitalisten. Für die FDP etwa sind wir Sozialisten, für die SPD dagegen unsozial. Das zeigt, diese Kategorien greifen nicht. Sind wir progressiv oder konservativ? Wir sind für neue Technologien, also progressiv, gleichzeitig aber auch konservativ, denn wir wollen auch etwas bewahren, nämlich die Stellung der Grundrechte, auch in der digitalen Gesellschaft.

Dennoch sind Sie doch dazu verdammt, keine Partei für alle, sondern eine Klientel-Partei zu sein, weil Sie letztlich doch immer nur Computer-Interessierte ansprechen können?

Popp: Es ist gar nicht unser Problem, daß wir nicht die Interessen der breiten Masse vertreten würden, sondern daß die breite Masse nicht weiß, daß wir das tun, da unsere Themen sehr komplex sind. Das eigentliche Problem ist, daß die meisten Leute noch kaum ein Bewußtsein dafür haben, daß es auch um ihre Daten und Freiheiten geht und was es bedeutet, wenn diese in Gefahr sind. Kurz: Das geht alle an! Und das Haupthindernis ist die Einstellung vieler Menschen: „Dann werden meine Daten eben gesammelt, ich habe ja nichts zu verbergen.“ Daß die Leute sich damit irren, dies klarzumachen ist unsere Aufgabe und unsere Chance. Und immer wenn es gelingt, erfahren wir plötzlich eine enorme Zustimmung.

Mit wem würden Sie denn koalieren?

Popp: Keinesfalls mit rechten Parteien.

Wen meinen Sie genau? Auch die CDU?

Popp: Nein, das was man so unter rechts versteht, Extremisten wie NPD oder DVU. Der CDU räume ich aus anderen Gründen wenige Chancen ein: Sie ist der Motor der Entwicklung hin zum Überwachungsstaat!

Linke Parteien müßten Ihnen ebenso unangenehm sein.

Popp: Inwiefern?

Linke, soziale Parteien stehen klassisch für soziale Entmündigung zugunsten eines stark bemutternden Staates.

Popp: Sicher ist eine gutgemeinte Bevormundung von links letztlich auch nicht besser als die der Konservativen, die jeden für einen Gefährder halten. Würden linke Kräfte alle Bürger in einem zentralen Sozialregister erfassen und dafür sämtliche Daten sammeln, wären wir natürlich strikt dagegen, ebenso wenn irgendwelche Altkommunisten, wie letztens aus der Linkspartei, Mauer und Stasi wiederhaben wollen. Aber wenn sich linke Parteien für die Sache der Bürgerrechte einsetzen, warum nicht? Grundsätzlich aber haben Sie recht, am nächsten stehen uns sicher liberale Bürgerrechtsparteien wie FDP und Grüne. Deshalb sind wir auch fassungslos, wenn etwa die FDP in NRW davon spricht, die Zensur einzuführen, oder die Grünen im Bundestag sich mit 15 Abgeordneten in der Abstimmung über das Zugangserschwerungsgesetz enthalten. 

Sind Sie vielleicht eigentlich gar keine Partei, sondern eine Jugendbewegung?

Popp: Zweifellos sind wir Ergebnis eines gesellschaftlichen Umbruchs, den man als die digitale Revolution bezeichnen kann. Ich würde sagen, wir sind der politische Ausdruck einer neuen Generation, der sogenannten „Digital Natives“, von der „Generation C 64“ bis zur „Generation Upload“, oder wie man sie auch immer nennen will. 

 

Andreas Popp ist Vize-Bundesvorsitzender der Piratenpartei. Zuvor war der 25jährige Ingolstädter und Doktorand der Wirtschaftsmathematik Landeschef in Bayern.

 

Piratenpartei:  „Digital Natives“, „Eingeborene der digitalen Welt“, nennt sich die Generation der passionierten Netznutzer, die sich in der Piratenpartei organisieren und die gegen die Übertragung bürgerlicher Normen, wie des Urheberrechts, auf die digitale Sphäre protestieren und eine eigene Ordnung des Internets fordern (siehe Beitrag Seite 5). Die erste Piratenpartei wurde 2006 in Schweden gegründet, wo sie bei der Europawahl 7,1 Prozent und einen Sitz errang. Rasch entstanden weltweit weitere Piratenparteien, in Deutschland noch im gleichen Jahr. 7.000 Mitglieder hat die Partei bundesweit, die im Durchschnitt 29 Jahre jung sind. Seit dem Übertritt des SPD-Abgeordneten Jörg Tauss am 20. Juni aus Protest gegen die Zustimmung seiner Fraktion zum Zugangserschwerungsgesetz verfügt die Partei über einen Sitz im Bundestag. Auf die Ermittlungen gegen Tauss wegen Besitzes von Kinderporno-graphie reagieren die Piraten mit Verweis auf die Unschuldsvermutung.

 

Kontakt und Information: Andreasstraße 66, 10243 Berlin, Telefon: 030 / 22 77 50 96, Internet: www.piratenpartei.de

Foto: Wahlwerbeaktion der Piratenpartei auf dem Rhein in Köln: „Junge Leute bleiben stehen und rufen begeistert: ‘Ich hab Euch gewählt!’ Es ist berauschend!“

 

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