© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/09 11. September 2009

Schwarz-Rot oder Rot-Grün sind kein Dogma mehr
Berliner Forscher des Helmholtz-Zentrums für Materialien und Energie weisen erstmals magnetische Monopole im Labor nach
Michael Manns

Eine Szene aus den ersten Stunden des Physikunterrichts:  Der Lehrer hat eine dünne Platte auf einen Stabmagneten gelegt und läßt dann Eisenspäne darauf rieseln. Die Späne bilden ein typisches Muster. Sie richten sich nach den unsichtbaren magnetischen Feldlinien aus. Der Lehrer macht dann darauf aufmerksam, daß die Magnete immer einen Nordpol (rot) und Südpol (meist schwarz, manchmal auch grün) haben. Würde er einen zersägen, wären die Schüler überrascht: Es entstünden augenblicklich zwei neue Stabmagneten mit Nord- und Südpol. Ein „einsamer“ Magnet mit nur einem Pol sei nur eine Hypothese. Doch jetzt haben Berliner Forscher den magnetischen Monopol, quasi einen „halbierten“ Magneten nachgewiesen. Eine Entdeckung, die neue Einblicke in das Wesen der Materie gewährt.

Vermutlich wurden die ersten Magnetsteine im Ort Magnesia (Westtürkei) gefunden. Der Vorsokratiker Thales von Milet erwähnt im 6. Jahrhundert vor Chr. ihre ungewöhnlichen Eigenschaften. Der Magnetstein sei beseelt, denn er „setzt Eisen in Bewegung“ (hoti ton sideron kinei). Andere Sagen berichten von Bergen aus Magneteisen, die niemand besteigen könne, der eiserne Nägel an den Schuhen hat oder über maritime Magnetberge, die vorbeiziehenden Schiffen alles Eisenwerk entziehen.

William Gilbert (1544–1603) faßte das Wissen seiner Zeit über den Magnetismus zusammen („De Magnete“). Darunter auch tradierte Schnurren, wie den weißen Magnetstein, der heilende Kräfte haben sollte, und über Magnete, die mit Knoblauch oder Ziegenblut berieben ihre Eigenschaften ändern. Eine im heutigen Sinn wissenschaftliche Untersuchung begann Ende des 18. Jahrhunderts. Und dann nahm der Fortschritt Fahrt auf: Coulomb, Galvani, Volta, Ampère, Ohm, Faraday markieren die Chronologie. Die Zusammenhänge zwischen magnetischen und elektrischen Phänomenen wurden aufgedeckt. Der Fortschritt kulminierte in dem revolutionären Modell des Elektromagnetismus von James Clerk Maxwell. 1865 zeigte der Schotte, daß Elektritzität und Magnetismus zwei eng miteinander verwandte Phänomene sind. Mit der Entdeckung der elektromagnetischen Wellen durch Heinrich Hertz (1889) fand diese Entwicklung einen vorläufigen Abschluß.

Doch so erfolgreich die technologischen Anwendungen im 19. Jahrhundert waren, so unbefriedigend blieb die theoretische Situation. So gibt es in der Elektrizität negative und positive Ladungen. Sie sitzen auf unterschiedlichen Teilchen (Elektronen, Protonen). Diese kann man trennen und auch einzeln beobachten. Anders in der Welt des Magnetismus. Nord- und Südpole gibt es nur im Doppelpack. Diese Beobachtungen kollidieren mit einem Grundkonzept der Physik: der Symmetrie. Gefesselte magnetische Pole auf der einen Seite und freie elektrische Pole auf der anderen – das ist einigermaßen asymmetrisch.

Daher postulierte der britische Physiker Paul Dirac 1931, daß es magnetische Monopole geben müsse. In den letzten Jahrzehnten wurde die Jagd nach ihnen verstärkt. Die Magnet-Fahnder konzentrierten sich zuerst auf Einschläge aus dem All. Man nahm an, daß die Monopole als Überbleibsel des Urknalls noch durch den Kosmos geisterten. Auf dem Mond wurde ebenfalls gesucht. Große Teilchenbeschleuniger sollten sie künstlich erzeugen. Alles ohne Resultat. Immerhin: die theoretischen Vorstellungen gewannen Konturen. Das Monopol mußte kleiner sein als ein Proton, etwa so viel Masse haben wie ein Bakterium.

Die Briten Jonathan Morris, Alan Tennant und ihre Kollegen vom Berliner Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie in Berlin testeten einen anderen Weg. Im Labor untersuchten sie einen Kristall aus Dysprosiumtitanat – einem Material, das wegen seiner dem Wassereis ähnlichen magnetischen Eigenschaften auch „Spin-Eis“ genannt wird. Die Wissenschaftler beschossen dieses „Spin-Eis“ mit Neutronen, die an der Kristallstruktur gestreut wurden, woraus die Forscher Rückschlüsse auf dessen magnetische Strukturen ziehen konnten. Dabei fanden sie heraus, daß der magnetische Fluß entlang von wirr angeordneten Schläuchen erfolgt. Deshalb werden die Strukturen auch als „Spin-Spaghetti“ bezeichnet. Durch das Anlegen eines äußeren Magnetfeldes brachten die Forscher diese Spaghetti dazu, sich teilweise zu entwirren, wobei sich an den Enden der Spaghetti magnetische Monopole bildeten.

Diese vielleicht nobelpreiswürdige Entdeckung der Monopole bedeutet nicht nur einen wichtigen Einblick in die innere Struktur der Materie, sie stützt auch die Urknalltheorie. Über die technische Anwendung – wie die Entwicklung neuartiger Speichermedien, neuer Kunststoffe oder Nanomaterialien – kann im Augenblick nur spekuliert werden. Zukunftsmusik ist auch, daß der Physiklehrer einen Magneten mit nur einem Monopol den Schülern auf den Tisch legen kann. Denn die isolierten magnetischen Monopolteilchen existieren nur innerhalb der Kristallstruktur.

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