© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/09 18. September 2009

Von der Justiz um ihr Recht gebracht
Berlin: Elf Studenten haben erfolgreich gegen den Mißbrauch von Geldern durch den AStA geklagt, doch die Urteile bleiben folgenlos
Mail Schulz

Es waren einmal elf Studenten der Humboldt-Universität zu Berlin, die waren es leid, daß sich ihre Vertreter nicht um Hochschulpolitik kümmerten, sondern um alles mögliche. Über den Allgemeinen Studentenausschuß (AStA) flossen ihre Pflichtbeiträge 1999 an Polit-Aktivisten, die etwas gegen die Bundeswehr, die Expo, die Atomkraft und das Patriarchat hatten. Bedacht wurden aber auch revolutionäre Freunde in Mexiko, Kurdistan und Kuba. Auf einer einzigen AStA-Sitzung wurden 1999 knapp 15.000 Mark unter das Volk gebracht, darunter 2.000 Mark an das Soli-Bündnis für den in den Vereinigten Staaten zum Tode verurteilten Polizistenmörder Mumia Abu-Jamal, 4.000 Mark für die „Gefängnisarbeit“ in St. Petersburg, 2.000 Mark gingen als Druckkostenzuschuß an die Verfasser einer Broschüre über die Situation der politischen Gefangenen im Iran und 2.000 Mark an die linksextremistische Zeitschrift Antifa.

Was das mit Hochschulpolitik zu tun hat, fragten sich nicht nur die elf Studenten. Warum man das Elend der Welt bekämpfen muß, wenn an der eigenen Universität Bibliotheks-

etats gekürzt und Laborplätze gestrichen werden? Sie warfen einen Blick ins Gesetz und stellten fest: Die Vertreter der verfaßten Studentenschaft, der sie gezwungenermaßen angehörten, weil sie an der Hochschule immatrikuliert sind, dürfen sich nur zu Fragen äußern, die in einem Zusammenhang mit dem Studium oder der Hochschule stehen. Alle anderen Themen sind tabu. Damals blickten sie mit großem Interesse zur Freien Universität Berlin, wo sich konservative Studenten gegen ihren AStA erfolgreich mit dem Gang vors Gericht gegen derartige Anmaßungen gewehrt hatten. Sie beschlossen, es ihnen gleichzutun und beschritten den Rechtsweg.

Was sie dort erlebten, stimmte sie optimistisch, denn die Richter waren ganz ihrer Meinung: Wer sich an einer Universität immatrikuliert, der ist automatisch Mitglied der verfaßten Studentenschaft und muß auch an sie sein Scherflein abführen. Aber das heißt noch lange nicht, daß man damit auch hochschulfremde Projekte finanzieren muß. Da der AStA das partout nicht einsehen wollte, verhängte das Verwaltungsgericht ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 Mark, unter anderem wegen eines Artikels „Haider ist scheiße!“ in einer AStA-Publikation. Der AStA zog vor das Oberverwaltungsgericht, scheiterte dort jedoch. Und da der AStA in der Zwischenzeit weiterhin studentische Gelder zweckentfremdete, verhängte das Gericht ein weiteres Ordnungsgeld in Höhe von 15.000 Euro.

Gezahlt wurden die Strafen jedoch nicht, und der AStA machte immer weiter. Deshalb klagten sich die Studenten weiter durch alle Instanzen – und bekamen jedes Mal recht. Doch jetzt, zehn Jahre später, ist die Angelegenheit zu einem überraschenden Ende gekommen. Denn nachdem der AStA auch am Bundesverfassungsgericht und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert war, mußten die Kläger feststellen, daß sie zwar recht haben, aber kein Recht bekommen: Dem Verwaltungsgericht Berlin ist nämlich vor kurzem aufgefallen, daß der Anspruch auf Vollstreckung des Ordnungsgeldes seit 2006 verjährt ist.

Wie konnte das passieren? 2004 hatten sich die Streitparteien darauf geeinigt, daß man die Eintreibung der Ordnungsgelder so lange zurückstellen wolle, bis das Bundesverfassungsgericht über die Klage des AStA entschieden habe. Dennoch wollte eine Justizbeamtin, die von dieser Einigung nichts mitbekommen hatte, das Vollstreckungsverfahren einleiten – und wurde zurückgepfiffen. Nachdem im September 2007 das Bundesverfassungsgericht die Klage des AStA abgelehnt hatte, wollte die Beamtin 2008 wieder aktiv werden – und wurde wieder zurückgepfiffen. Die jetzt zuständige Kammer war nämlich nach einer Intervention des AStA zu der Erkenntnis gekommen, daß die Vollstreckung nicht förmlich ausgesetzt worden war und deshalb das Geld nicht mehr eingetrieben werden kann.

Dumm gelaufen, meint dazu der Sprecher des Verwaltungsgerichts. Der Vergleich hätte eigentlich nicht abgeschlossen werden können. In der Sache kann der Vertreter der elf Studenten, Ulrich Schulte am Hülse, nur zustimmen. Doch schuld am Schlamassel sei das Gericht: Als das Bundesverfassungsgericht 2007 entschieden hatte, hätte das Verwaltungsgericht die Ordnungsgelder von Amts wegen vollstrecken müssen und nicht auf den Antrag einer Partei warten dürfen. Außerdem weist er auf eine weitere Ungereimtheit hin: Zunächst habe eine Kammer des Gerichts die Vollstreckung angekündigt, kurze Zeit später jedoch habe eine andere die Verjährung der Vollstreckung mitgeteilt. Ob denn nicht die Zuständigkeit vorher geklärt sein müsse?

Einer der elf, die inzwischen alle nicht mehr studieren, versucht der Angelegenheit eine positive Seite abzugewinnen. An der Schlamperei der Justiz sei man zwar gescheitert – aber nicht in der Sache. Die Androhung von Ordnungsgeldern sei insofern wirksam gewesen, als sich der AStA in den vergangenen Jahren mit Stellungnahmen zu allgemeinpolitischen Fragen merklich zurückgehalten habe. Allerdings, vermutet er, verlege sich der AStA inzwischen darauf, seine illegalen Aktivitäten zu tarnen. Es gebe Anzeichen dafür, daß er zum Schein Mitarbeiter einstelle, damit über ihre Honorare die typischen Projekte finanziert werden. Außerdem sei aufgefallen, daß verstärkt sogenannte Darlehen vergeben worden seien, die offenbar niemals zurückgefordert wurden.

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