© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/09 18. September 2009

WIRTSCHAFT
Der neue Goldrausch
Wilhelm Hankel

Vor 380 Jahren befiel ein Tulpenwahn die Niederlande. Für seltene Exemplare der asiatischen Knolle zahlte man Summen, die ausgereicht hätten, eine Schiffsbesatzung zwei Jahre um die Welt segeln zu lassen. Man wollte seinen Reichtum (er galt als Gottesbeweis für die eigene Vortrefflichkeit) seinen Mitmenschen zeigen. Heute zahlen ihrem Staat zutiefst mißtrauende Bürger Unsummen für ein Metall, das Jahrhunderte dazu diente, Münzen zu prägen, die es heute nicht mehr gibt. Sie wollen nicht ihren Reichtum zur Schau stellen, sondern retten. Sie fliehen aus einem Papiergeld, das Staaten und Notenbanken unbegrenzt drucken, um konkursreife Banken, Firmen und deren Arbeitsplätze zu erhalten. Das Kapital der einen wird vernichtet, um das der anderen zu retten!

Der ins Gold flüchtende Bürger verstrickt sich in ein unauflösliches Dilemma. Sein Protest gegen ein Geld, das morgen möglicherweise nichts mehr wert ist (wie viele ihm kürzlich von Banken verkaufte „Wertpapiere“), ist verständlich. Doch sein Glaube, aus Gold könne wieder Geld werden, weil das auch früher so war, ist naiv. Wer jetzt Gold für 1.000 Dollar pro Unze kauft, macht nur die reich, die es ihm zu Höchstpreisen verkaufen, wie jene Spekulanten, die einst den Pfeffersäcken ihre Zwiebeln andrehten. Damals verflog der Rausch, als ein Matrose eine teure Tulpenzwiebel verspeiste, weil er sie für eine Speisezwiebel hielt. Die Leute erwachten aus ihrem Wahn. Dasselbe könnte den Goldkäufern passieren, wenn sich herumspricht, daß das gelbe Metall als Geldrohstoff nicht mehr gebraucht wird. Es wird nicht mehr mit „Gold aufgewogen“. Der Preis des „barbarischen Relikts“, wie es der wieder zu Ehren gekommene John Maynard Keynes nannte, könnte dann auf sein Niveau von vor dem Goldrausch fallen.

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